Helene Stöcker zum 70. Geburtstag von Minna Cauer

Minna Cauer
Helene Stöcker, 1920

Frau Minna Cauer hat am 1. November ihren 79. Geburtstag gefeiert. Wir hoffen, ihre Arbeit zum 80. Geburtstag ausführlicher würdigen zu können, möchten aber auch heute schon zum Ausdruck bringen, wie dankbar alle, die an der Entwicklung der Frauenbewegung in den verflossenen letzten Jahrzehnten teilgenommen haben, gerade dieser Führerin gedenken. Wenn sich neben der mehr rechtsstehenden Frauenbewegung – wie sie sich im „Bund deutscher Frauenvereine“ verkörpert, der ja sowohl während des Krieges als auch nach ihm von einem engen Nationalismus nicht loskommt – eine wahrhaft freiheitliche Frauenbewegung entfalten konnte, die sich des engen Zusammenhanges auch mit der proletarischen Frauenbewegung, wie der Arbeiterbewegung überhaupt, stets bewußt war und mit ihr in enger Fühlung zu wirken suchte, so ist das nicht zum kleinsten Teil das Verdienst von Frau Minna Cauer, die deswegen, besonders in den neunziger Jahren, aber auch späterhin noch, die schärfsten Anfeindungen von seiten der weiter rechtsstehenden Gruppen ertragen mußte. Ihrem feinen Verständnis für das Kommende und Werdende ist es zu danken, daß sich die verschiedenen Gruppen und Nuancen der radikaleren Frauenbewegung frei entfalten konnten, in der politischen Frauenbewegung einerseits und in der Mutterschutzbewegung andererseits, deren Verteidigung sie mutvoll unternahm, in einer Zeit, in der es sonst zum selbstverständlichen guten Ton gehörte, mit dem größten Geräusch von uns abzurücken. Dieses Verständnis für eine Bewegung, diese Toleranz ihr gegenüber, obwohl sie selbst zur aktiven Mitarbeit durch ihre politische Arbeit wohl wenig Gelegenheit hatte, wird ihr von unserer Seite nicht vergessen werden. Frau Cauer hat die Freude erlebt, daß eines der Ziele, für das sie seit mehr als einem Vierteljahrhundert gekämpft – das politische Stimmrecht der Frau – seine Verwirklichung gefunden hat. Wir hoffen, daß ihre bewundernswerte Frische ihr auch gestatten wird, noch zu erleben, daß diese äußere Form sich völlig mit dem geistigsten Inhalt erfüllt: daß die klarsten, besonnensten und energievollsten Männer und Frauen die Geschicke unseres deutschen Volkes in einer Weise zu beeinflussen vermögen, die es wirklich wieder zu jenem Volk der Dichter und Denker machen, in der es eines der wichtigsten Kulturfermente für die Welt repräsentiert.

Wir glauben, daß darin auch Frau Minna Cauer wohl das erfreulichste Resultat ihrer Lebenssarbeit erkennen würde.

(Quelle: Stöcker, Helene (1920): Minna Cauer. – In: Die Neue Generation : Publikationsorgan des Bundes für Mutterschutz und der Internationalen Vereinigung für Mutterschutz und Sexualreform, Nr. 11, S. 375 – 376)

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