Anekdote

Olympe de Gouges, 1792

Müde und ermattet, wenngleich von der Politik angewidert, doch stets aktiv für die öffentliche Sache tätig, wollte ich an Ostern mit meinem Sohn auf dem Land zu Abend essen. Es war für mich denn auch ein Tag des Glückes, der nicht ahnen ließ, welches Abenteuer meiner auf der Rückfahrt wartete: eine seltsame Begegnung, die alles übertraf, was mir in meinem Leben an Merkwürdigem widerfahren ist. So wurde mir ein allerorten auftauchendes Gerücht hinterbracht, das von etwelchen mir in meiner schriftstellerischen Arbeit „zur Hand gehenden“ Autoren wissen will. Es wird Zeit, diesen Verleumdungen entgegenzutreten; meine Ahnungslosigkeit möge mir als Schutzschild dienen gegen die Angriffe, die meinen guten Ruf zu schmälern suchen.

Ich möchte meinen Leser nicht mit alledem langweilen, was sich gegen diese Pedanten, diese falschen Gelehrten und das ganze Schreiberpack vorbringen ließe. Ich appelliere jedoch an die Spitzen der literarischen Welt, denn nur wahrhaft verdienstvolle Männer können mir gerecht werden. Die offenkundige Plünderung meiner Schriften, diese Ungläubigkeit, mit der man mir begegnet, sind mir nur eine Bestätigung dafür, daß ich über jedes Mittelmaß erhaben bin. Doch nun will ich mich jenem Abenteuer zuwenden, um zum Schluß den Fehdehandschuh in die Runde zu werfen.

Der Ausflug war schön und führte uns weiter hinaus, als wir eigentlich vorgehabt hatten, den Mietwagen hatten wir längst zurückgeschickt. Ich war erschöpft, weshalb mein Sohn für mich um einen Kutschenplatz bat; ein bürgerlicher Einspänner hielt, und ein Mann von ungefähr fünfzig bis sechzig Jahren bot uns mit soviel Artigkeit einen Sitz an, daß mich meine Notlage nicht einen Augenblick zögern ließ.

Als ich im Begriffe war, in den Wagen zu steigen, fiel in einer Gruppe von Leuten, die mit meinem Sohn zurück blieben, mein Name; der Herr, der mir einen Platz angeboten hatte, sagte zu mir: „Man hat Madame de Bouges erwähnt, die ich bestens kenne.“ – „Sie heißt nicht Madame de Bouges“, entgegnete ich, „es handelt sich um Madame de Gouges.“ – „Madame de Gouges“, ließ sich da ein Individuum vernehmen, das ebenfalls in der Kutsche saß, „das ist dieser Schöngeist; ich kenne sie gut, um nicht zu sagen sehr gut!“ Ich drehe mich um und betrachte mir diese seltsame Erscheinung, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. „ Sie kennen sie sehr gut?“ hub ich an, nahm mich aber sogleich zusammen und hörte auf, Madame de Gouges zu sein, um diese Unbekannten dazu zu bringen, möglichst ohne Scheu über meine Person zu sprechen.

Kaum ein Mann hätte so lange wie ich derart standhaft und gleichmütig die Auslassungen dieses Kerls über sich ergehen lassen. Wie rasch entlarvt doch ein plumper Lügner sich selber! Dieser hier trieb seine Unverschämtheit allerdings auf die Spitze, denn wenn ich auch nicht Madame de Gouges war, so mußte er doch zumindest annehmen, ich sei eine ihrer Freundinnen. Er entblödete sich jedoch nicht, uns zu verstehen zu geben, er habe mit jener auf vertrautem Fuße gestanden. Des weitern verbreitete er sich über meine Herkunft, das Los meines Gatten, meinen Entschluß, nicht dessen Namen zu tragen und tausend nichtige Kleinigkeiten dieser Art, wie sie eben die vormals Adligen den Bürgerlichen vorzuhalten pflegen. Nachdem er ausgiebig darüber gelacht hatte, lenkte ich das Gespräch auf die Werke der Madame de Gouges.

„Ihre Werke“, rief er da aus, „wie können Sie denn glauben, daß sie von dem, was unter ihrem Namen gedruckt worden ist, mich nur je ein Wort zu denken vermochte, kann sie doch nicht einmal lesen!“ – „In diesem Punkt gehe ich mit Ihnen einig. Gerade weil sie keinerlei Bildung hat, erscheinen ihre Kenntnisse in den Wissenschaften denjenigen, die sich darauf besser als ich verstehen, erstaunlich; ja ihre angebliche Unwissenheit soll schon des öfteren bezweifelt worden sein. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie in Anwesenheit mehrerer Personen Theaterstücke verfaßt und damit eine Wette gewonnen hat.“ – „Ah, Madame“, versetzte da mein Ungläubiger in unverschämtem Tone, „das Stück war schon geschrieben, man hat es sie nur noch auswendig lernen lassen!“ „Sind Sie da ganz sicher?“ – „ So sicher“, meinte er, „daß ich wette, sie würde das in meinem Beisein nicht wagen, ich habe nämlich selbst schon eins für sie verfaßt.“

Der andere, ein vernünftiger Mensch, versuchte, so gut es ging, das unüberlegte Betragen dieses feigen Verleumders auszugleichen, unerschütterlich ließ ich jenen indes sein ganzes Arsenal an Ungereimtheiten und Kindereien bis zur Neige ausschöpfen. Vor meiner Haustür angelangt dankte ich dem verständigen Mann für den Platz, den er mir in seinem Einspänner überlassen hatte, und richtete an diesen mit Adelsdünkel und Dummheiten gespickten Lakaien die folgenden wenigen Worte: „Mein Herr, ich bin Ihren dummen Reden mit der Gelassenheit eines Philosophen, der Beherztheit eines rechtschaffenen Mannes und einem wachsamen Ohr gefolgt. Ich bin ebendiese Madame de Gouges, die Sie nie gekannt haben und die zu kennen Sie es gar nicht wert sind. Ziehen Sie eine Lehre aus der Lektion, die ich Ihnen erteilt habe. Männer Ihrer Art finden sich allenthalben; lassen Sie es sich jedoch gesagt sein, daß es Jahrhunderte braucht, um Frauen wie mich hervorzubringen.“ Er suchte sich zu entschuldigen, indem er mir versicherte, es müsse sich um eine andere Madame de Gouges handeln; ich aber überließ ihn seiner Beschämung und ging nach Hause.

Jean-Jacques fand sich in einer ähnlichen Lage, als er von zwanzig Offizieren verhöhnt wurde, die ihn nicht erkannt hatten und seine unsterblichen Schriften heruntermachten, ohne sie auch nur durchgeblättert zu haben. Bei dieser Gelegenheit hielt er eine des J.-J. würdige Rede, würdig seiner großen Natur (schlicht und schüchtern in Gesellschaft, wie jedermann weiß), Er erhob sich von der Tafel und machte dieser lächerlichen Horde von Hohlköpfen den Garaus; jeder beeilte sich, ihn um Verzeihung zu bitten, was seine Verachtung nur noch steigerte.

Ich, die ich gewiß weniger groß bin und meiner Mittel weit weniger sicher denn dieser unsterbliche Mann, finde es unbedingt nötig, öffentlich den Behauptungen jenes Unbekannten entgegenzutreten.

Die Person, die mir einen Platz in ihrem Wagen angeboten hat, ist Ktitgjied des Jakobinerklubs. (…)

Wenn die „Freunde der Verfassung“ wirklich durchdrungen sind von der Sorge um die gerechten Interessen des Vaterlandes, wie ich es zu glauben beliebe, so fordere ich im Namen dessen, was ich für die Nation getan habe, von einem ihrer Mitglieder, von dem ehrenwerten Herrn nämlich, der mich in seinem Einspänner aufnahm, jenes Individuum mit Namen zu nennen, welches mich damals herausgefordert hat. Nicht etwa, weil ich es der öffentlichen Empörung ausliefern möchte, sondern um es zum Eingeständnis seiner Frechheit und seines Irrtums zu zwingen.

Ich schlage deshalb den „Freunden der Verfassung“ vor, einen Wettstreit durchzuführen zwischen mir und dieser Person, die sich Schriftsteller nennt und behauptet, für Madame Gervais mehrere Theaterstücke in Versen geschrieben zu haben, mit denen er alle Zeitungen belästigte.

Es sollen zwei Komödienstoffe zur Auswahl stehen; ich wette fünfzig Louis d’or zugunsten der Soldaten von Châteauvieux, daß ich eines der Themen vor versammelten Jakobinern oder in Anwesenheit von Bevollmächtigten, die sie selber bestimmen mögen, behandeln werde, ich verlange nur einen Sekretär, der ebenso schnell zu schreiben vermag, wie ich spreche. Was nun diesen neuen Midas angeht, dem man wohl lesen und schreiben beigebracht haben wird, so mag er sein Stück selber schreiben oder es diktieren; allerdings immer im Beisem von dazu ermächtigten Beobachtern.

Er wird seinerseits fünfzig Louis d’or hinterlegen, und wenn mein Stück nicht in allen dieser Gattung eigenen Regeln und Normen besser durchgeführt ist als seins, so werde ich wenigstens ein gutes Werk getan haben. Für Stil und Sprache lege ich meine Hand allerdings nicht ins Feuer, auch wenn mein Stuck sogar besser geschrieben sein mag. Ich verbürge mich jedoch für die Anlage der Komödie und ihrer einzelnen Szenen, für die Zeichnung der Charaktere, die Wahrung der Einheit und für das dramatische und schöpferische Genie; in diesen Belangen meine ich meinem Gegner den Vorrang streitig machen zu können.

Angesichts seiner Entwürfe pflegte Racine zu sagen: „Meine Tragödie ist vollendet, nun gut es nur noch die Verse zu schreiben.“

Ich hege keinerlei Zweifel, daß das ehrenwerte Mitglied der Jakobinergesellschaft, welches ich jederzeit wiedererkennen würde, steht mir doch sein Bildnis vor Augen, sich einer Frau gegenüber als Ehrenmann betragen wird. Zumal diese große Umsicht gezeigt hat und mit ihrer Herausforderung eine gute Tat bezweckt, will sie doch nur diesen nichtswürdigen Haufen von Dummköpfen beschämen, die gegen ihre Schriften auftreten und ihr ihr Eigentum steitig machen.

Nur wenige Frauen würden sich in meiner Situation mit solchem Feuer für diesen Wettstreit einsetzen; ich hingegen, die ich nichts fürchte, die ich keinen Schriftsteller persönlich kenne, die ich mich an niemanden habe binden wollen, die ich keinerlei Unterstützung genieße, die ich meine Werke mit zahllosen Grammatikfehlern drucken lasse, – all diese Unvollkommenheiten tragen doch wahrhaftig mein Zeichen.

Wohlan denn, wer besitzt noch die Vermessenheit zu behaupten, diese Fehler würden künstlich eingeflochten! Wieweit doch manche Franzosen die Dummheit treiben! An meinem Exempel soll klar werden, daß einer Anschuldigung kein Glaube mehr zu schenken ist, die nicht nur jedem Bürger sondern auch dem öffentlichen Wohl schaden könnte. Es ist ein leichtes, Unwahrheiten zu verbreiten, Torheit über Torheit vorzubringen, um dem Schaden, den man anzurichten gedenkt, einen Anstrich von Glaubwürdigkeit zu verleihen. Wird man denn in unserem aufgeklärten Zeitalter nicht endlich die Gleichheit einführen; wenn ein Individuum Gerechtigkeit verlangt, darf man sie ihm dann verweigern? Ich fordere sie im Namen meines ganzen Geschlechts, im Namen der Vernunft und im Namen all dessen, was ich für mein Vaterland geleistet habe. Wäre mir dieser Triumph vergönnt, so erschiene er mir ebenso teuer wie eine Ehrenrente der Nation.

Wenn bis anhin den Frauen ihre Werke streitig gemacht wurden, wie übrigens auch einer beträchtlichen Zahl von Männern, so wird man jetzt sagen können, daß eine Frau gegen diese Ungerechtigkeit anzugehen wußte. Zum Schluß möchte ich nur noch anmerken, daß man mir den zu behandelnden Stoff erst bei Beginn des Wettstreits zur Kenntnis bringen soll, da ich alles vor Publikum niederschreiben will. Dieser Vorschlag ist der neuen Ordnung würdig, vereinigt er doch, man mag es betrachten wie man will, Anteilnahme, Wetteifer und den Standpunkt der Ausgewogenheit, wie es sich für das erneuerte Frankreich geziemt.
In wenigen Tagen werde ich dem Band, der demnächst erscheinen wird, noch weitere Anekdoten beifügen, die nicht minder bemerkenswert sind.

Ich zweifle nicht, daß die Freunde eines ausgefallenen Wettkampfes sich mir anschließen werden, um ihm das Aufsehen zu verschaffen, das ihm gebührt; im übrigen wiegt er gut und gerne ein Pferderennen des Ancien Regime auf. Als erste habe ich das Fundament gelegt zu einem Schiedsgericht, das in Zukunft die öffentliche Meinung vertreten soll, und an das sich all jene wenden mögen, die wie ich zu Unrecht den unwahrscheinlichsten Beschuldigungen ausgesetzt sind. Dieses literarische Schiedsgericht soll von den „Freunden der Verfassung“ geschaffen werden; es wird sich nur mit auserlesensten Fällen zu befassen haben, die zur Verfeinerung des Kunstsinns beitragen werden.

Die echten Talente sollen nicht mehr im Mittelmaß ersticken; die Plagiate, die Federfuchser, welche die schriftstellerische Produktion Ungebildeter zurechtstutzen, die betrügerischen Zeitungsschreiber, was immer auch die Entfaltung des menschlichen Genies stören könnte, soll hier entlarvt und verspottet werden. Diese Einrichtung, die ausschließlich den Grundsätzen der Ehre verpflichtet sein soll, kann ebenso wirksam sein wie ein in Recht und Gesetz verankertes Dekret.
Mögen diese meine nur hastig aufs Papier geworfenen Ideen, wie all meine bisherigen Denkanstöße, tiefgreifende und nützliche Überlegungen hervorrufen.

Schließlich möchte ich alle „Freunde der Gesellschaft“ bitten, sich zu überlegen, wer mich am Osterfest gegen abend von Passy nach Paris mitgenommen haben könnte, und dies freundlichst Herrn Collot d‘ Herbois, der mein Anwalt sein soll, bezeugen zu wollen. Er wird vielleicht darüber nicht eben glücklich sein, denn die Wiederherstellung eines unrechtmäßig zerstörten Rufes mag Balsam für die gekränkte Eigenliebe des Betroffenen sein, was schöne Seelen jedoch weit mehr beschäftigen und interessieren dürfte, sind doch wohl die hehren Angelegenheiten der Menschlichkeit; nun sei es wie es wolle: ich brenne geradezu darauf, zu unterliegen und meinen Einsatz zugunsten eines guten Zweckes zu verlieren.
Dieses Jahr ist wirklich reich an Herausforderungen, nun ist noch eine weitere hinzugekommen, beschimpft man mich doch als Demagogin, Jakobitin und macht mir meinen eigenen Charakter streitig!
(…)

(Quelle: Gouges, Olympe de (1792): Anekdote. – In: Schriften. – Dillier, Monika [Hrsg.] ; Mostowlansky, Vera [Hrsg.] ; Wyss, Regula [Hrsg.]. Basel : Roter Stern, 1980, S. 57 – 63; Original in: Gouges, Olympe de (1792): Le bon sens Francois ou l’apologie des vrais nobles, dédiée aux Jacobins)

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