Der Prozeß Augspurg

Lida Gustava Heymann, 1906

Vom 15. bis 23. November fanden im Strafjustizgebäude zu Hamburg die Verhandlungen gegen Anita Augspurg wegen Beleidigung der Hamburger Polizeibehörde statt. Diese fühlte sich beleidigt durch einen Artikel, in welchem Dr. Augspurg die Anordnungen der Polizei am 17. Januar als unklug bezeichnet hatte und die von den unteren Beamten geleisteten Untaten einer gebührenden Kritik unterzogen wurden, außerdem sollte die Angeklagte beleidigende Aeußerungen gegen 4 Schutzleute gemacht haben, die sich mit ihren Knütteln, einer hatte sogar den Säbel gezogen, über einen wehrlosen Passanten gestürzt hatten und ihn schauderhaft zurichteten, so daß er aus einer schweren Wunde blutend davonwankte. Der 17. Januar 1906 bedeutet einen Markstein in der Geschichte der freien Hansestadt. An diesem Tage wurde einem Teil der männlichen Bevölkerung das ohnehin schon recht geringe Wahlrecht um ein Beträchtliches geschmälert. Bei ihrem durch diese politische Tat denn doch einigermaßen beschwerten Gewissen hatten die Hamburger Behörden einen Sturm der entrechteten Bevölkerung gegen das Rathaus erwartet und daher unter Entblößung der übrigen, auch der verrufensten Quartiere, die gesamte Polizeimacht in und um das Rathaus konzentriert. Die Folge war, daß anstatt der erwarteten politischen Rebellion ein Pöbelkrawall zum Zweck des Raubens und Plünderns in einem Kaschemmenviertel ausbrach, der allerdings binnen kurzer Zeit unterdrückt ward, als endlich Polizei in jene Gegend kommandiert wurde. Stundenlang nachher aber und in weit entfernten Stadtgegenden konnte die bewaffnete Macht sich noch nicht wieder von dem Genutze des Dreinschlagens entwöhnen und eine Anzahl Personen wurden in geradezu empörender Weise von den Polizisten mißhandelt, zwei völlig Unschuldige sind an den Folgen gestorben. Keine erschöpfende Darstellung der polizeilichen Ausschreitungen hat durch die Hamburger Zensur ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden, das aber gelang den vom 19. bis 23. November geführten Verhandlungen in weitem Umfange. Moralisch war der Sieg auf Seiten der Angeklagten und hätte die vox populi zu entscheiden gehabt, so wäre Freisprechung erfolgt.

Der Verlauf der Verhandlungen war kurz folgender. Während vier Tagen wurden zirka 100 Zeugen unter Eid vernommen, darunter vielleicht 40 Zivilpersonen den verschiedensten Kreisen der Bevölkerung angehörig, und 60 Schutzleute. Solidarisch wie ein Mann hielten die letzteren vom obersten Beamten bis zum gemeinen Schutzmann zusammen, nur der Polizeihauptmann Niemann gab einmal zu, daß möglicherweise einige Schutzleute ihre Befügnisse überschritten hätten. Irgend welche Ausschreitungen begangen zu haben, wurden von den Schutzmännern auch nicht ein einziges Mal zugegeben, trotzdem sie den Mißhandelten direkt gegenüberstanden. Ein Beispiel für viele: ein Hausbeamter des Rathauses war auf seinem Heimwege ohne irgend eine Veranlassung in menschenleerer Straße von einem Kommando Schutzleuten angefallen und von einem Wachtmeister, der sein Duzfreund war, mit dem Säbel mißhandelt, der Zuruf: „Lütjens, was tust du?“ wurde nicht beachtet. Herr Lütjens bestritt und zwar unter Eid, seinen Freund geschlagen zu haben, erst auf eindringliches Befragen eines Richters gab er die Möglichkeit zu.

Man gewann unwillkürlich den bedauerlichen Eindruck, daß die Hamburger Polizisten am 17. Januar in sinnloser Wut auf alles einhieben, was ihnen in den Weg kam und daß die von Dr. Augspurg geübte Kritik in dem in Frage stehenden Artikel in vollem Umfange berechtigt war. Des weiteren förderten die Verhandlungen ein klares Bild zutage, wie auf der Hamburger Polizei gearbeitet wird. Beschwerden, die am 18. Januar einliefen, wurden nach erfolgter Mahnung vom 20. Februar am 24. Februar dahin beantwortet, daß nichts ermittelt worden sei. Auf die Frage des Verteidigers, Herrn Rechtsanwalts Känzler aus München, wie die Ermittlungen angestellt worden seien, wurde vom Herrn Polizeimajor die verblüffende Antwort erteillt: es sei eine Umfrage angestellt, „aber keiner der Schutzleute hätte sich als Täter gemeldet“. Eine andere Beschwerde vom 23. Januar 1906 ist bis heute unbeantwortet geblieben. Auf die Akten eines Falls, der nachweislich den Tod des Mißhandelten zur Folge hatte, war vom Staatsanwalt vermerkt: „Ermittlungen werden nicht verfügt.“ Diese Akte umfaßte wenige Blätter, die Akten aber, welche sich über den Hamburger Zweigverein der internationalen Föderation auf der Polizeibehörde befinden, sind zu zwei dicken Folianten angewachsen. Im ersten Fall handelt es sich um einen totgeschlagenen, bayerischen Arbeiter, was liegt daran! – Im zweiten um die Bekämpfung der im polizeitechnischen Sinn nicht existierenden Bordelle, da sind die heiligsten Güter der Hamburger Männerwelt in Gefahr! – Logik, dein Name ist Mann; uns Frauen aber ekelt vor diesem in unserem Männerstaat geschaffenen menschenunwürdigen Zuständen.

Der Verteidiger war in der Auswahl seiner Zeugen sehr vorsichtig gewesen, er hatte nur solche zugelassen, gegen deren Ehrenhaftigkeit und Wahrheitsliebe kein Bedenken vorlag, sie machten durchschnittlich einen vorzüglichen Eindruck und versagten selbst dann nicht, wenn das Verhör sie kreuz und quer zu führen suchte und sich über eine Stunde ausdehnte. Drei Zivilpersonen hatten sich der beleidigten Polizeibehörde zur Verfügung gestellt. – Der eine, ein Graf Dahn, war, nachdem das Gericht ihm auf Verlangen einen Vorschuß von 100 Mk. gesandt hatte, von Paris gekommen; er sagt aus, vom dem fraglichen Vorfall nichts zu wissen. Seine Ansprüche an das Gericht betrugen einige achtzig Mark, die zuviel erhaltenen 12-15 Mk. hat der „Herr Graf“ sich geweigert, dem Gerichte wieder heraus zu geben. Der zweite war „am Erscheinen verhindert“ und hatte seine Aussagen kommissarisch unter Eid gegeben; da hieß es unter anderem, die Persönlichkeit, welche am 17. Januar die Polizei beleidigt hat, trug einen Kneifer. Die Leser dieser Zeitschrift wissen wissen, daß Frl. Dr. Augspurg niemals einen Kneifer getragen hat. Seine Unvoreingenommenheit dokumentiert sich darin, daß er einem von der Polizei brüskierten Herrn auszureden suchte, sich zu beschweren, indem er sagte: „Sie werden sich doch nicht auf die von einer Anita Augpurg angebotene Zeugenschaft berufen!“ Auch der dritte Zivilzeuge, der von dem Herrn Staatsanwalt als ganz besonders zuverlässig hingestellt wurde, ist ein erbitterter Gegner der Frauenbewegung. Er gab zu, geäußert zu haben: „Was tun die Frauenzimmer überhaupt hier, sie sollen sich nach Hause scheeren.“ Auch das Wort: „Wir wollen hier keine Weiberwirtschaft, schmeißt die Weiber in die Alster,“ muß von einem der Zeugen gefallen sein, obgleich nicht festzustellen war, von wem. Daß die Zeugenaussagen solcher Menschen mit Vorsicht aufzunehmen waren, ist klar für jeden Menschen, der auch nur ein ganz klein wenig psychologisches Verständnis besitzt. Zudem verwickelte sich der Vernommene in mehrfache Widersprüche und es wurden ihm durch die Zeugin Frau Ruben mehrere Unwahrheiten nachgewiesen.

Der Zuschauerraum war immer dicht gefüllt, das Hamburger Publikum, Männer und Frauen, brachten den Verhandlungen großes Interesse entgegen, welches beständig im Wachsen begriffen war, je höher die Chancen der Angeklagten stiegen; am dritten Tage erwartete man im Zuhörerraum nur noch die Freisprechung.
(Schluß folgt in der Beilage dieser Nr.)

(Quelle: Heymann, Lida Gustava (1906): Der Prozeß Augspurg. – In: Die Frauenbewegung : Revue für die Interessen der Frau, Nr. 23, S. 177 – 178)

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