Warum muss die Frauenbewegung eine unabhängige bleiben?

Minna Cauer, 1897
Vortrag von Minna Cauer, geh. im Verein Frauenwohl, am 4. März.

Die allgemeine Frauenbewegung kann also keinem Parteiprogramm nähertreten. Sie kann ihren politisch und religiös verschiedenartigen einzelnen Gliedern keinen Zwang anthun. Sie muß alle diese Glieder umfassen. Die Frauenbewegung ist zu groß für eine Partei!

Zweitens wäre es auch taktisch durchaus falsch, sich an eine Partei zu binden.

Unsere Bewegung ist eine reformierende. Sie will und muß mit ihren Ideen das ganze Vaterland zu durchdringen und also allmählich alle Parteien zu gewinnen suchen. Dabei kommen uns die verschiedenen politischen und religiösen Schattierungen unserer einzelnen Glieder sehr zu statten, so daß wir unsere Fühler überallhin strecken und überall festgreifen können. Anbahnungen sind in der That auf diese Weise schon in allen Parteien getroffen, wie man z. B. aus den Reichstagsdebatten über die die Frauen betreffenden Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches ersehen hat. Auf diese Weise sind ja unsere jüngsten Brüder gewonnen worden.

Wir können noch gar nicht wissen, welcher Partei wir deutschen Frauen einmal am meisten zu danken haben werden. In England tritt z. B. die konservative Partei, mit Salisbury an der Spitze, augenblicklich am energischsten für die politischen Rechte der Frauen ein.

Auch die Konservativen könnten mit der Zeit eine günstige Stellung zu uns einnehmen. Sie könnten den Gedanken erwägen, daß sie von den Frauen in der Mehrzahl in der Erhaltung überkommener, althergebrachter Einrichtungen wohl unterstützt werden würden.

Auch den Ultramontanen wird es in nicht zu langer Zeit zweckmäßig erscheinen, das Heer der Frauen, welches im Stillen ihre Hauptmacht bildet, öffentlich für die Kirchlichkeit eintreten zu lassen. Sollte von dieser Partei nicht bei der Entwickelung der betreffenden Verhältnisse vielleicht einmal ein Eintreten für Frauenrechte zu erwarten sein?

Und die liberalen Parteien, welche die Gleichberechtigung auf ihre Fahne geschrieben haben, werden wiederum aus theoretischen Gründen leichter dazu kommen, die Gleichberechtigung endlich über die Phrase zu erheben und sie auf die größere Hälfte des deutschen Volkes auszudehnen. Die Süddeutsche Volkspartei hat ja schon einen kleinen Anfang gemacht.

Die Gewinnung aller dieser Parteien würde natürlich durch unsern näheren Anschluß an eine derselben sehr erschwert. Man weiß, wie da Vorurteile mitspielen, wie z. B. an sich Gutes und Vernünftiges – sei es in den Parlamenten, sei es in der Berliner Stadtverordnetenversammlung – unbesehen kalt gestellt oder niedergestimmt wird, wenn es eben von einer mißliebigen Partei ausgeht.

Also auch aus taktischen Gründen muß ein näherer Anschluß der Frauenbewegung an eine Partei unterbleiben.

Außerdem kann die Frauenfrage in jeder Partei nur eine mehr oder minder große Nebenrolle spielen. Die Frauenfrage ist aber unserer innersten Überzeugung nach nicht nur von einschneidender Wichtigkeit für das Los der Frauen, sondern sie ist für unser ganzes Volksleben von hoher kultureller Bedeutung. Sie kann solche Bedeutung und Anerkennung derselben natürlich nur durch eine selbstständige Bewegung gewinnen und behaupten, in welcher sie als Hauptfache, ohne durch andere Punkte zersplittert zu werden, von festen Frauenhänden durchgeführt wird.

Frauen müssen die selbständigen Leiter ihrer eigensten Bewegung sein und bleiben. Hier vor allem gilt es darzuthun, daß die unserer Gesamtheit angedichtete, oft süß besungene Epheunatur – um derentwillen man uns in Wahrheit so geringschätzig zu behandeln wagte – nicht ein Merkmal der Weiblichkeit ist, sondern nur ein durch falsche, verweichlichende Erziehung hervorgerufener krankhafter Auswuchs oder eine kränkliche Veranlagung einzelner. Die charaktervolle Frau braucht sich nicht anzuklammern; sie fühlt Vertrauen zu sich und Festigkeit in sich selber.

Frauen müssen die selbständigen Leiter ihrer eigensten Bewegung sein und bleiben, wenn diese Bewegung die hohe Kulturaufgabe lösen soll, zu welcher die Frauen sich ihrem ureignen Wesen nach vor allem berufen fühlen. Ich meine die Versittlichung des Volks in allen Zweigen, und ich weise besonders auf die Sittlichkeitsfrage hin, ohne deren rechtzeitige Lösung die Nation degenerieren muß. Sie kann nicht ohne die Frauen und kann in erster Linie nur durch die Frauen gelöst werden, da den Männern im allgemeinen das Gefühl für das, was sittlich und unsittlich ist, infolge der herrschenden doppelten Moral mehr oder weniger abgestumpft ward, – wie z. B. aus der Affaire Leist vor der ganzen Öffentlichkeit besonders deutlich hervorging.

Deshalb muß die Frauenbewegung, auch wenn sie ihre äußeren Ziele dereinst erreicht haben wird, noch lange eine Bewegung der Frauen bleiben! Denn gerade um des Ganzen willen darf sie noch lange nicht im Ganzen untergehn.

Die Frauenbewegung muß unabhängig bleiben!

Sie ist zu groß für eine Partei.

Sie muß womöglich alle Parteien zu gewinnen suchen, wenn unsere Ideale verwirklicht werden sollen. Der nähere Anschluß an eine Partei würde praktisch ein Hindernis für die Gewinnung der anderen bedeuten.

Nur eine unabhängige, von allen anderen Zunften absehende Bewegung kann unserer Sache Kraft und Ansehen und eine große Direktive verleihen.

Die Selbständigkeit der Frauenbewegung ist Ehrensache! Und nur in einer völlig selbständigen Bewegung kann die Eigenart weiblichen Wesens gewahrt werden und der Gesamtheit unseres Volkes zum Segen gereichen.

Das müssen und werden auch unsere Freunde und Bundesgenossen in den schon gewonnenen Parteien einsehen, wenn ihnen in Wahrheit an der Förderung unserer Sache gelegen ist, – wenn sie, wie wir fest annehmen, unsere Sache um ihrer selbst willen zu der ihren gemacht und sie nicht etwa aus Nützlichkeitsrücksichten in ihr Programm aufgenommen haben.

Sie werden uns stets um der Gerechtigkeit willen unterstützen und uns als gute Bundesgenossen und Berater willkommen sein.

Die Frauenbewegung muß unabhängig bleiben!

(Textauszug aus: Cauer, Minna (1897): Warum muß die Frauenbewegung eine unabhängige bleiben?. – In: Die Frauenbewegung : Revue für die Interessen der Frauen, Nr. 7, S. 72 – 73)

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