Das Weib im Konflikt mit den sozialen Verhältnissen

Mathilde Franziska Anneke, 1847

Louise Aston bringt teilweise in Broschüre das Schicksal ihres äußerlichen Lebens zur Kenntnis des Publikums. Auf ihre innere Gemütswelt vor dem Forum der Öffentlichkeit einzugehen findet sie sich einstweilen noch nicht berufen. Es gilt auch in diesem Falle nur, die Stellung des Weibes innerhalb der Gesellschaft zu vertreten, denn da sogar diese ihm verweigert, da das geschmähte selbst nicht einen Stein mehr findet, sein müdes Haupt niederzulegen, so gilt es vorläufig, seine äußeren Rechte gegen die Gewalten dieser Erde offen zu verteidigen und sich gegen die erhobenen Anschuldigungen zu rechtfertigen. Warum auch sollte das Weib überhaupt die schweigsame Dulderin fortan noch sein? – Warum noch länger die demütige Magd, »die ihrem Herrn die Füße wäscht« – warum noch länger die christlich duldende Magd eines Herrn, der zum Despoten ihres Herzens geworden ist, weil er selber ein Knecht ward? – Die Stimme dieses Büchleins rief manche Schläferinnen wach, die von dem Brodeln ihres Kochtopfes am Herde noch nicht zu tief eingenickt waren. Sie rief manche stille Trägerin, die blutend unter dem Joch des sozialen Elendes ringt, das ungeahnt und ungekannt auf den Frauenherzen lastet, zum Bewußtsein des letzten Rechtes ihrer hinsterbenden Kraft» damit sie sich aufraffe und ermanne, um mindestens nur noch laut ihr Geschick anzuklagen. – Sie goß ihnen Mut in die zagen Seelen, an die Festen des alten übertünchten Tempelbaus, der mit den Myrten geopferter Bräute sich schmückt und mit dem Heiligenscheine von tausend innerlich gebrochenen Ehebündnissen prunkt, zu rütteln – und sei es auch nur an einem Steine dieses morschen Gebaus. – […]

Ihr Frauen, die Ihr Euch willig an ein »Glück« gewöhnen lerntet, nach welchem Ihr wahrlich niemals Sehnsucht im jugendlich erglühten Busen getragen habt. Begreift es, daß Euer erlogenes Glück Euch zu lächelnden Sklavinnen gemacht hat; Ihr seid gefühllos geworden gegen andre und gegen Euch selbst, denn Ihr fühltet den Skorpion nicht einmal mehr, der an Eurem eignen Herzen nagt und Euch um Euer bestes Herzblut betrügt. Ihr nennt Glück, was nimmer auch nur noch ein Schatten von Glück ist. Schmäht das Weib nicht, das die Fesseln Eurer von Euren Götzen geheiligten Eide brach – die reichen Säle hinter sich ließ und in die Kammer ihrer stillen Armut trat, um an der Bahre ihres dahingestorbenen Jugendglücks in keuscher Witwenschaft ihr Trauerjahr zu verbringen. Oh, schmäht es nicht, wenn es, anstatt das reiche Leben in schwelgerisch betäubenden Genüssen zu vergeuden, vorzog, in das Leben, das ernste, hineinzuziehen, mit ihm zu wagen und zu streiten – wenn es länger nicht heuchlerisch Verrat an sich und an der Liebe beging, sondern floh – floh vor der Lüge und ihrem Wahn. […]

Unbeschreiblichen Nöten und Ängsten ist Louise Aston ausgesetzt gewesen. Das Ärgste aber, was ihr in ihrer äußeren Stellung widerfahren konnte, war die Verweisung der Hauptstadt, ihres bisherigen Aufenthalts. […] Es drängt uns unwillkürlich, die staatsgefährlichen Träume einer Frau, denen man in der Hauptstadt des mächtigen Königreichs Preußen eine so große Wichtigkeit beigelegt hat, näher kennenzulernen. Wir fragen daher: »Was mag dies Glaubensbekenntnis der Frau Aston Schlimmes enthalten haben, daß die Behörde durch dessen Feststellung genügende Beweismittel in die Hände bekam, um die Ausführung ihres Vorhabens zu begründen?« Nur aus der uns in ihrer kleinen Broschüre dialogisch mitgeteilten Unterredung bei der persönlichen Audienz, die sie vor dem Minister von Bodelschwingh erlangt hat, schließen wir, daß der hauptsächliche Anstoß, den Frau Aston gegeben hat, darin beruht, daß sie ihre religiösen Ansichten frei und laut geäußert. – Nachdem S. Exzellenz ihr zuerst den Vorwurf gemacht, daß sie sich so »frivol« und außergewöhnlich benommen habe, daß man sich wundern müsse, wie sie es noch wagen könne, gegen ihre Verweisung zu protestieren – nachdem sie einwendet, daß sie nicht wisse, was S. Exzellenz »frivol« nenne -, stellt letzterer, ohne weiter auf eine Auseinandersetzung einzugehen, an sie die Frage: »Warum sie ihrem Glaubensbekenntnis voranstelle, daß sie nicht an Gott glaube?« Sie beantwortet dieselbe: »Weil sie nicht heuchle.« […]

Warum ist solch Bekenntnis in dem Munde eines Weibes gerade so schwer verpönt? Warum soll dem Weibe die Wahrheit verhüllt bleiben, die Wahrheit, die das Erbteil unserer Zeit und die im Kampfe mit der Lüge beginnt, siegreich über sie zu erstehen? Warum erscheinen die Ansichten, die den Männern seit Jahrhunderten bereits angehören durften, einem Staate gerade bei den Frauen so sehr gefährlich? Etwa weil sie die Macht der Verbreitung dieser Ansichten mehr denn jene in Händen haben und diese in ihrer ausgedehnteren Verbreitung die heutige Welt- und Staatsordnung zu erschüttern drohen? – Weil sie mit ihrem Herzblut den besseren Glauben an eine neue Menschwerdung nähren und in der folgenden Generation Euch das gesundere, freiere Geschlecht überliefern können, das sich nimmermehr zu feilen Sklaven knechten lassen wird? – Darum? – Ja, darum: weil die Wahrheit, von den Frauen getragen, als Siegerin hervorgeht, welche Throne und Altare der Tyrannen und Despoten stürzt. Weil die Wahrheit einzig uns frei macht und erlöst aus den Banden der Selbstverleugpung, aus den Fesseln der Sklaverei. Weil die Wahrheit uns befreit von dem trüglichen Wahn, daß wir dort oben belohnt werden für unser Lieben und Leiden, für unser Dulden und Dienen; weil sie uns zu der Erkenntnis bringt, daß wir gleichberechtigt sind zum Lebensgenusse wie unsere Unterdrücker; daß diese es nur waren, die die Gesetze machten und sie uns gaben, nicht zu unserm, nein zu ihrem Nutzen, zu ihrem Frommen. Weil die Wahrheit diese Gesetzestafeln zerschmettert, fortan als Siegerin dasteht und nimmermehr die gehetzte Flüchtlingin zu sein braucht, die überall anklopft und die nirgends herbergen kann. Weil dieser Wahrheit, sobald die Herzen der Frauen ihr gänzlich erschlossen sind, der ewige Hort bereitet und das Erbteil für die Menschheit errungen ist. –

Und der Tag ist gekommen, wo sie an Eure Herzen anklopft, öffnet sie weit, weit und nehmt teil an Eurem und Eurer Kinder Erbteil. Bleibt länger nicht die Betrogenen! Ihr bleibt es, wenn Ihr selbst nicht mutig mit eignen Händen dessen Besitz ergreift. Mit Weihrauchduft will man Euer Sinnen umnebeln, mit glatten Worten Euch betören, in Blütenduft gehüllt Euch Märchen für schlichte Wahrheit darreichen. Geistvolle Sänger haben Eurem Wachen und Denken süßklingende Schlummerlieder vorzugirren, sie haben die Andacht auf der Stirn der Frauen in melodischen Klängen zu lobpreisen gewußt. – Und diese Andacht! – ich sage Euch – ist nichts wie Heuchelei und Lüge im Glorienschein, daran Tränen der Entsagung, des Wehs und des Unglücks, ja Tränen der Not, des Grams und des Harms wie Diamanten zitternd funkeln! – Die Andacht, diese Heuchelei und Lüge im Glorienschein, hat das Weib zur Schwärmerin gemacht, und in ihr vergeudet es seine Glut – verträumt es seine Kraft, die unerlässig zum frischen, tätigen Leben ist. In der Andacht, dieser unbestimmten Sehnsucht des Geistes, hat es aufhören müssen zu denken – ach, dem Weibe war ja stets zu denken verboten -, da hat es aufhören müssen zu prüfen das Gute, zu spähen nach dem Besten, hat es selbst aufhören müssen zu handeln! In blinder Ergebung hat es sich nur dem Zufall anheimgegeben. Und diesen »Zufall« nennt es die »weise Fügung eines Gottes«, dieses »blinde Ungefähr«, die »höhere Macht«, die da liebend über ihr walten soll!! Oh, tut die Augen auf und seht, wie man mit Euch gespielzeugt hat; ja, tut die Augen auf, da seht Ihr’s stündlich, wie Ihr betrogen seid, wie in allem Widerspruch liegt, was man Euch lehrte und gebot. […]

‚Was ich einfach und offen und in gedrängtester Kürze als mein Bekenntnis hier aussprach, es ist hundert- und abermals hundertmal von andern, nur erwiesener und gründlicher, gesagt worden; es ist aber nicht zu Euch hingedrungen, weil es in einer Sprache gesagt war, die nur Auserwählten verständlich und die gleichsam als Hohepriester im Tempel der Wissenschaft dastanden. Uns ward eine »Auslegung« dieser Hohenpriester und Schriftgelehrten zuteil – aber das richtige, das einfache, klare Verständnis blieb uns vorenthalten! Wir alle sollten ins Heiligtum nicht eindringen und die Wahrheit erkennen, die nun auch die Herzen der Frauen mit Macht ergreift, und uns mit mutigen Händen den Vorhang zerreißen heißt. […]

Erringt Euch Überzeugung von der Wahrheit und durch sie helft rüstig das Werk für die Menschheit vorbereiten. – Wähnt nicht, Ihr Mütter und Frauen, ich lege ein zu großes Gewicht auf Euren Beistand! Wähnt nicht, ich habe mich von den herrschenden Zeitideen berauschen lassen, indem ich die Sorge um jenes erhabene Werk, die Mühen und Arbeiten für dasselbe Euren schwachen Frauenschultern mit aufbürde und die Lösung des Weltgeschicks mit Euch verkünde! – Oh, seht Eure Säuglinge, Ihr Mütter, in Euren Armen ruhen! Wollt Ihr sie mit der Ammenmilch der Lüge fortan noch nähren? Wollt Ihr sie nicht an Eurer Brust schon mit dem gesunden Hauche des neuen geistigen Frühlings kräftigen und sie zum heiligen Empfange der vollständigen Wahrheit vorbereiten? An Euch liegt es, sie für die Wahrheit oder – für die Lüge empfänglich zu machen; an Euch, dem freien Vater den freien Sohn zuzuführen, damit er vollende, was und wie Ihr begonnen! – an Euch liegt es, Töchter zu erziehen, die keinen Sklaven jemals mit ihrem Lächeln beglücken werden!

(Textauszug aus: Anneke, Mathilde Franziska (1847): Das Weib im Konflikt mit den sozialen Verhältnissen. – In: Frauenemanzipation im deutschen Vormärz : Texte und Dokumente. – Möhrmann, Renate [Hrsg.]. Stuttgart : Reclam, 1980, S. 82 – 87; Ausführlicherer Text in: Anneke, Mathilde Franziska (1847): Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen. – [o.O.] : [o.V.], S. 5 – 13)

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