Louise Dittmar, 1849
Wie der Geist aus allen Verhältnissen entschwunden und in ein mechanisches Getändel ausgelaufen ist, zeigen alle unsere Beschäftigungen, vor allem die der Frauen und des häuslichen Lebens. Das raffinierte Häkeln, Stricken und Sticken der Frauen ist dieselbe geistlose Ausartung der häuslichen Beschäftigungen wie das raffinierte mechanische Getändel der Klavier- und Violinvirtuosen, der Bravoursänger usw. Es fehlt überall die innere Notwendigkeit, die schöpferische Triebkraft. […]
Zu was treibt sich die ganze eine Hälfte der Menschheit in dieser Tretmühle herum? Um die weibliche Bestimmung zu erfüllen, d. h. den Kulminationspunkt des geschäftigen Nichtstuns zu erreichen, um die Zwecklosigkeit und Zweckwidrigkeit aller Privattätigkeit auf die Spitze zu treiben.
Zur Führung eines Haushaltes gehört dreierlei, erstens daß man einen Haushalt besitzt, zweitens die Notwendigkeit und drittens die Geschicklichkeit, ihn zu führen. Aber wir fragen: besitzen alle einen Haushalt, und verstehen alle einen solchen zu führen? Ist es vernünftig, den Menschen zu einem bestimmten Zweck zu erziehen, den er vielleicht nie erreicht, oder wenn dies, selten in der Weise, wie das Verhältnis, worin und wozu er erzogen wurde? Wir fragen ferner, ist es Jeder Eigentümlichkeit entsprechend, ihren Neigungen und Fähigkeiten gemäß einen Haushalt zu führen? Wir sind weit entfernt, diejenigen gering zu schätzen, die mit Vorliebe dergleichen Geschäfte verrichten; wir tadeln nicht die Geschäfte des Hauswesens, sondern den Privathaushalt mit seinen zahllosen Inkonvenienzen.
Da wir sehen, daß weder das Hauswesen für die Frauen noch die Frauen für das Hauswesen ausreichen, da sie auch zu anderen Dingen befähigt und geneigt sind, würde es nicht ersprießlicher sein, sie auch zu anderen Dingen zu erziehen, ihrer Tätigkeit teils einen größeren, teils einen entsprechenderen Wirkungskreis zu erschaffen? Aber nichts für sie zu errichten und dann sagen, „es gibt nichts weiter für sie“, sie zu nichts weiter zu erziehen und dann zu sagen, „das ist ihre Bestimmung“ heißt dies nicht vorausbestimmen?
Die Hausfrau ist in den meisten Fällen nichts als eine vornehme Magd, und der Mann das Lasttier, das mit der Ehe einen Berg von Sorgen auf sich lädt. […]
Betrachten wir doch diese gepriesene Häuslichkeit etwas näher. Das verkochte und verbügelte Leben der Frauen ließe, wie Jean Paul sagt, daran zweifeln, ob die Frauen eine Seele hätten, wenn sie nicht liebten. Aber hat denn diese Liebe nicht auch eine verkochte, verwaschene und verbügelte Seele oder schlimmer noch eine roman- und teeverwässerte? Sollte man an die Gedanken und Erfindungen des 19. Jahrhunderts glauben beim Anblick aller der häuslichen Plackereien, dieses spindelhaften Umdrehens um sich selbst, gebannt in den engsten Kreis. Und wie heute, so morgen. Kann bei diesem zeittötenden Einerlei ein erhebender Gedanke die Seele durchdringen; bleibt für das Interesse der Gesamtheit, für die Erreichung höherer Zwecke, für die Kultur des Herzens, für die Entwicklung der Seelenkräfte noch Zeit, Neigung und Gelegenheit; erschöpfen sich nicht alle Kräfte in der Befriedigung der steten Anforderungen und Bedürfnisse des Augenblicks?
Die Frau müßte ein Genie sein, um halbwegs den Anforderungen zu entsprechen, die ihre seltsame Stellung an sie macht. Ihre Stellung ist zusammengesetzt aus mittelalterlichen Spinnrädern und modernen Nippestischchen. Sie soll haushälterisch sein und die liebenswürdige Wirtin machen, die Dienstboten beaufsichtigen und die Gesellschaft besuchen, die Kinder waschen und den Gatten unterhalten, die Kinder erziehen und die Kinder bekommen, kurz sie muß das Ideal einer Gattin, Mutter, Hausfrau und Gesellschafterin sein, alles können und nichts wollen, alles leisten und nichts brauchen; tugendhaft, liebenswürdig, gebildet, bescheiden, einfach usw. sein, ein Genie in Leistungen und ein Automat im Willen. Denn wenn ihr eine dieser Eigenschaften fehlt, ist es ein empfindlicher Fehler, der notwendig zu Zwiespalt und Mißstand führen muß. Ihre abhängige Lage und die ebenso beengte und bedrückte Stellung des Mannes erfordert in der Tat gebieterisch alle diese Eigenschaften. Und nun urteile man, was von einem häuslichen Glück, vom Familienleben zu erwarten ist, das diese Bedingungen stellt.
Man will die sittliche Natur fördern, und man verdammt eine Hälfte der Menschheit zur Dienerin der sinnlichen Natur. Was ist diese Häuslichkeit anderes als ein stetes Abmühen für die niedersten Bedürfnisse? […]
Die Beschränkung der weiblichen Tätigkeit auf den Haushalt hemmt die Entwicklung des Lebens im höchsten Grade. Welche Kenntnisse würden sich die Frauen in allen Fächern aneignen können, wenn sie statt am eignen Herd, wie heute, so morgen, zu sieden und zu braten, an großen gemeinschaftlichen Anstalten sich beteiligten, wo alles mit Kunst und wissenschaftlichen Hilfsmitteln betrieben würde. Und würden sich hierbei nicht die verschiedensten Fähigkeiten beteiligen und zugleich ihre ökonomische Unabhängigkeit sichern können? Solche Anstalten werden die Notwendigkeit und die Kulturmittel in nächster Zeit herbeiführen. Aber nicht eher wird die Notwendigkeit und ihr Gewinn allgemein anerkannt werden, bis sie der Zufall, d. h. die Not hervorrief. Und nicht eher wird man das jetzige Hauswesen verdammen, nicht eher die Bestimmung der Frau von dieser Tretmühle freisprechen, nicht eher eine wahre Häuslichkeit, d. h. eine behagliche Existenz zu Hause und ein gemütliches Familienleben erreichen, bis diese weibliche Galeerensträflingsanstalt als Folge freibeweglicher, gesellschaftlicher Einrichtungen verbannt ist.
Louise Dittmar, Leipzig 1849
(Textauszug aus: Dittmar, Louise (1849): Das Wesen der Ehe. – In: Frauenemanzipation im deutschen Vormärz : Texte und Dokumente. – Möhrmann, Renate [Hrsg.]. Stuttgart : Reclam, 1980, S. 55 – 58 [hier Titel: Wider das verkochte und verbügelte Leben der Frauen]; Original in: Dittmar, Louise (1849): Das Wesen der Ehe : nebst einigen Aufsätzen über die soziale Reform der Frauen. – Leipzig : Wigand, S. 66 ff.)