Pionierinnen der Neuen Frauenbewegung

Gisela Schneider

Pionierinnen der Neuen Frauenbewegung

Gisela Schneider gründet 1971 die Aktion 218 in Köln. Zu dieser Zeit ist sie Sekretärin beim WDR und sammelt in der Kölner Fußgängerzone Unterschriften für den Appell „Ich habe abgetrieben“. Daraus entsteht die Gruppe „Aktion 218“, die sich später in „Frauenbefreiungsaktion“ umbenennt.

„Warum schickt ihr das Mädchen auf die Schule?“

Gisela Schneider wurde 1943 in einem Dorf im Westerwald geboren. Die Mutter, die als Köchin in der Gastronomie und in Privathaushalten arbeitet, bestärkt ihre beiden Töchter darin, „etwas zu lernen“.[1] Der Vater arbeitet vor dem Krieg im Erzbergbau und als Schäfer. Er kehrt spät aus russischer Kriegsgefangenschaft heim und ist ein duldsamer und zurückhaltender Mensch, der „nicht den wilden Mann markiert“[2] und damit einverstanden ist, dass Gisela die Mittlere Reife macht. Die Tochter erlebt allerdings immer wieder, dass „die Leute mich oder meine Mutter ansprachen und sagten: ‚Was schickt ihr die denn auf die Schule? (…) Die heiratet doch eh, das lohnt sich nicht!‘ Und da habe ich dann mitgekriegt: Nur weil ich ein Mädchen bin, soll ich keine weiterführende Schule besuchen. Das fand ich schon ziemlich krass.“[3]

Selbstbezichtigungs-Kampagne

In der örtlichen Akademie der evangelischen Kirche, für die Gisela Schneider nach ihrem Schulabschluss arbeitet, knüpft sie Kontakte mit den Referenten und geht 1965 nach Köln, um dort als Sekretärin beim WDR zu arbeiten. Nebenher ist sie als Assistentin für Günter Wallraff tätig. „Und der drückte mir eines Tages einen Brief von Alice [Schwarzer, Anm. d. Autorin] aus Paris in die Hand. Die Französinnen hatten ja mit dem Nouvel Observateur eine Selbstbezichtigungs-Kampagne gemacht und Alice schrieb, dass sie diese Kampagne auch in Deutschland machen wollte.“[4]

Gisela Schneider ist sofort klar, dass sie die Kampagne, die bald darauf in der Stern-Titelgeschichte Wir haben abgetrieben! mündet, unterstützen will. „Ich selbst hatte nie abgetrieben, aber ich habe die Katastrophe meiner Schwester miterlebt. Sie wurde mit 18 ungewollt schwanger und hat sich mir anvertraut. Und wir wussten einfach nicht, was wir tun sollten. Wir wohnten auf dem Land, und eine Schwangerschaft oder gar ein uneheliches Kind war ein unheimliches Stigma, wirklich eine soziale Katastrophe. Meine Schwester musste diesen Mann dann heiraten. (…) Und ich habe gedacht: Es kann nicht sein, dass Frauen so im Stich gelassen werden!“[5] Schneider ist klar, dass dieses Problem auch sie selbst und Millionen andere Frauen bedroht. „Das Damoklesschwert einer ungewollten Schwangerschaft schwebte immer über einem. Deshalb war es für mich gar keine Frage, diese Selbstbezichtigung zu unterschreiben.“[6]

Aktion 218

Gisela Schneider will aber nicht nur ihre Unterschrift unter die Selbstbezichtigung setzen, sondern weitere sammeln und sich im Kampf gegen den § 218 engagieren. Am nächsten Samstag stellt sie gemeinsam mit einer befreundeten studentischen WDR-Hilfskraft einen Tapeziertisch in die Kölner Fußgängerzone: „Und dann sind wir überrannt worden. Es war ein Ansturm von allen Seiten. Die Leute haben mit uns und miteinander wild diskutiert. Es gab viel Zustimmung, aber auch heftige Attacken. Viele Frauen fragten auch, ob wir nicht ein Treffen organisieren könnten. Das haben wir gemacht – und so die ‚Aktion 218’ gestartet.“[7]

Die stetig wachsende ‚Aktion 218‘ organisiert Demonstrationen, stürmt im September 1971 einen Ärztekongress in Köln und belagert das Bundesjustizministerium in Bonn. Und die Frauen knüpfen Kontakte zu einigen in der Abtreibungsfrage engagierten Parteipolitikerinnen. „Die Frauen aus den Parteien waren sehr froh, dass wir ihnen von der Straße aus den Rücken gestärkt haben.“[8]

Aus Aktion 218 wird die Frauenbefreiungsaktion

Neben dem Kampf um den § 218 tauchen bald weitere Themen auf, mit denen sich die Frauen beschäftigen wollen. „Wir haben uns in Köln dann umbenannt, von ‚Aktion 218’ in ‚Frauenbefreiungsaktion’.“ (…) Wir haben dann auch verschiedene Arbeitsgruppen gegründet.“[9] Darin geht es um Selbsterfahrung, Frauenbildung, Gewalt gegen Frauen, etc. Die ‚Frauenbefreiungsaktion‘ arbeitet mit anderen Initiativen zusammen, die sich im Zuge der Frauenbewegung gegründet haben, so zum Beispiel mit einer Studentinnengruppe, die dabei ist das erste Kölner Frauenhaus zu initiieren. Ihr Engagement und ihre Erfahrungen mit der Frauenbewegung ermutigen Gisela Schneider schließlich zu einem neuen Lebensschritt. „Mir selbst hat das Ganze auch persönlich zu einem Aufbruch verholfen. Ich habe dann die Abendschule besucht, mein Abitur nachgemacht und bin Lehrerin geworden.“[10]

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Videoclips

Interviewtranskript

Fußnoten

[1] P18-Schneider-01, Interview mit Gisela Schneider, Transkript, S. 1.</p

[2] Ebenda.

[3] Ebenda.

[4] Chantal Louis: Frauenprojekte – Weg mit dem § 218! In: EMMA, 2017, Nr. 2, S. 38-41, hier S. 39.

[5] Ebenda, S. 39.

[6] Ebenda.

[7] Ebenda.

[8] Ebenda, S. 41.

[9] Ebenda.

[10] Ebenda.

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