Die Architektur – ein Text von Dörte Gatermann
"Dörte? Hier ist Alice. Ich habe ein Problem." So begann für mich eines der spannendsten und interessantesten Bauvorhaben. "Du weißt doch, der Bayenturm wird wieder aufgebaut, und wir werden mit dem Feministischen Archiv und Dokumentationszentrum da reingehen."
Meine Bedenken, in das schon begonnene Bauvorhaben einzusteigen, wurden rasch vom Tisch gewischt. "Nun sieh es dir doch erst einmal an und sag mir, was ich machen soll."
"In den mittelalterlichen Mantel habe ich ein Kleid des 21. Jahrhunderts gestellt!"
Meine Vorstellung war die eines neuen Inhaltes in der alten Hülle: wie wenn in ein altes Futteral ein neuer Gegenstand hineingeschoben würde, der durch die Löcher der alten Umhüllung durchscheint. Das hieß für alle neuen Einbauten, daß sie die Sprache der heutigen Architektur sprechen und sich von der historischen Hülle deutlich abheben müßten, nicht nur in Material und Farbe, sondern auch durch einen tatsächlichen räumlichen Abstand.
Der Grundgedanke, die neuen Einbauten frei in die alte Hülle zu hängen (wie bei den Stahlgalerien) oder zu stellen (wie bei den Möbeleinbauten), trennt nicht nur Alt und Neu, sondern hat - wie sich später herausstellen sollte - auch den großen Vorteil, daß die Bücher nicht direkt mit dem alten oder neuen Mauerwerk in Berührung kommen können und der zwischen Mauer und Regalabhängung zwangsläufig entstehende unterschiedlich große Luftraum die Wände langsam, ohne Beeinträchtigung des gelagerten Papiers, austrocknen kann.
Die Nutzung eines modernen Dokumentationszentrums mit Arbeitsplätzen benötigt eine sachlich angenehme Atmosphäre, die mit der wehrhaften, eher düsteren Stimmung des historischen Turmes wenig gemein hat - auch unter diesem Aspekt war der Ansatz "neuer Kern in alter Schale" oder auch "Leicht in Schwer" begründet.
Es existierten einige Vorstudien für die Unterbringung des Archivs und Dokumentationszentrums im Turm, die davon ausgingen, die geringe Grundfläche des Turmes durch Galerien in den hohen Räumen zu erweitern, was mir vernünftig schien. Jedoch sollten diese Galerien an Wandkonsolen im alten Mauerwerk befestigt werden.
Die Vorstellung des Einbaus einer alten hölzernen Treppe aus der Severinstorburg in der obersten, für die eigentliche Bibliothek vorgesehene Ebene behagte mir nicht. Und den Abschluß dieser Ebene sollte auch noch ein Holzdach bilden, so daß kein Kontakt zum Himmel und der Zinnenkranz nie begehbar gewesen wäre.
Da der oberste Turmraum, die Bibliothek, nur über vier Fenster verfügt, die im unteren Wandbereich und jeweils zu einer Himmelsrichtung angeordnet sind, läge ohne eine obere Belichtung die Galerie im Dunkeln und die Höhe des Raumes wäre so wenig erlebbar wie die Nähe zum Himmel.
Die Lösung war eine mittige, 2,5 mal 2,5 Meter große, sprossenlose Glaspyramide. Sie ist das "Himmelsauge" und garantiert Tageslicht ohne direkten Lichteinfall auf die Bücher und war deshalb ein unbedingt notwendiger Bestandteil der Raumkonzeption. Die Kosten dafür übernahm, nach der strikten Weigerung der Stadt Köln, das sonst gerade in Geldfragen hart fightende Archiv.
Der Bayenturm erscheint mir wie eine junge Frau, die das Kleid ihrer Großmutter angezogen hat. Auf den ersten Blick sehen wir die alte Frau. Sobald wir aber genauer hinsehen, wird die junge darin lebendig.
Auszüge aus dem Text von Architektin Dörte Gatermann, in: Alice Schwarzer (Hrsg.) Turm der Frauen. Der Kölner Bayenturm. Vom alten Wehrturm zum FrauenMediaTurm. 1994, S. 34-51.
Kompletter Text als pdf zum Download
Prämiert wurden die Zusammenarbeit zwischen Bauherrin und Architektin sowie das moderne Konzept von Dörte Gaterman mit drei Auszeichnungen:
Deutscher Architekturpreis 1995, Anerkennung
Vorbildliche Bauten NRW 1994, Auszeichnung
Kölner Architekturpreis 1995, Anerkennung