„Frauen, hört ihr Frauen schrein, laßt sie nicht allein!“[1] steht auf dem Schild, das eine Teilnehmerin der ersten Walpurgisnachtdemo im April 1977 mit sich trägt. Eine Passantin blickt auf die als Hexen verkleideten Demonstrantinnen. Was sie über die Demonstration denkt, können wir heute nicht mehr in Erfahrung bringen.
„Frauen, wir erobern uns die Nacht zurück“[1] – unter diesem Motto protestierten Feministinnen 1977 in der BRD zum ersten Mal zur Walpurgisnacht gegen Sexualgewalt. Der Entschluss dazu war auf dem Münchener Frauenkongress gefallen. Mindestens 35.000 Frauen wurden zu diesem Zeitpunkt jährlich in der BRD vergewaltigt – damit sollte endlich Schluss sein.[2]
Die Aktionen fanden in vielen Städten gleichzeitig statt. Die Frauen zogen mit Trillerpfeifen, Transparenten, Fackeln und bemalten Gesichtern durch die nächtlichen Straßen, begleitet von verächtlichen bis gewalttätigen Reaktionen mancher Männer und vielen Solidaritätsbekundungen von Frauen.[3] In Frankfurt setzten sich die Frauen zur Wehr: Pöbelnde Männer wurden kurzerhand verprügelt. Das Flugblatt des Frauenzentrums Berlin war also durchaus ernst zu nehmen:
Doch warum am 30. April? Traditionell galt die Nacht als Fest der Hexen, der Begriff der Walpurgisnacht wurde durch Wolfgang von Goethes Werk Faust (1808) popularisiert. Die Sprecherin des Frankfurter Frauenzentrums erklärte der Frankfurter Rundschau, dass bereits im Aberglauben des ausgehenden Mittelalters diese Nacht den Frauen, die allein aus dem Haus gingen, zum Verhängnis werden konnte: Sie wurden als Hexen verbrannt. 1977 landeten Frauen zwar nicht mehr auf dem Scheiterhaufen, aber ein nächtlicher Ausflug „alleine“ sei immer noch riskant – und ist es bis heute.[4] Die Idee, provokant als „Hexen“ verkleidet unter dem Motto „Take back the Night“ durch die Straßen zu ziehen, kam ursprünglich aus den USA. Dort hatten bereits 1972 und 1973 Frauen mit Besen und schwarzen Gewändern mehr Sicherheit für Frauen eingefordert und gegen Snuff-Pornographie demonstriert.[5]
Am 30. April 1977 sprang das Feuer auch auf die BRD über. In Freiburg loderte die Wut im Frauenzentrum und in der Uni-Frauengruppe besonders hoch, da wenige Tage vorher eine Frau von jungen Männern im Bus vergewaltigt worden war. Niemand war ihr zur Hilfe gekommen.[6] Die Freiburgerinnen demonstrierten mit Banner und Plakaten, trugen Fackeln und benutzen Rasseln, Wecker und Trommeln – alles, was so richtig Krach machte. Auf den Bannern standen Sprüche wie „Wenn Frauen NEIN sagen, dann meinen sie auch NEIN!“[7] oder „Frauen, wir erobern uns die Nacht zurück!“. Die größte Demo fand in Westberlin statt, mit 3000-4000 Frauen. In Hamburg kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die gewalttätig gegen die demonstrierenden Frauen vorging. Das Medienecho war groß und die Protestzüge gegen Sexualgewalt wurden zu einem jährlichen Ereignis.
Sie fanden bis in die 1980er Jahre jedes Jahr am 30. April statt. Bis heute gibt es immer wieder Demonstrationszüge gegen Sexualgewalt, die an die Walpurgisnachtumzüge der 1970er Jahre angelehnt sind.
[1] FMT, FB.07.104
[2] FMT, FB.07.104
[3] „Nacht der Frauen“ mißfiel den Männern, in: Neue Presse, 2.5.1977, in: FMT, PD-FE.03.01.: Chronik der Neuen Frauenbewegung 1977.
[4] FMT, PD-FE.03.01 Frankfurter Rundschau 30.04.1977.
[5] FMT, SE.09.012 Lederer, Laura (Hg.): Take back the night, Toronto Bantam Books, 1980.
[6] FMT, FE.03.054 Poppenhusen, Margot: Viel bewegt – nichts verrückt? 20 Jahre Frauenbewegung in Freiburg, 1972-1992, Freiburg: Fritz, 1992, S. 105.
[7] FMT, FB.07.104