Essstörungen

„Unser Körper ist Gegenstand eines Krieges“[1], schreibt Susie Orbach in ihrem neuesten Buch – 2021 ist das Thema Essstörungen aktuell wie eh und je. Die Psychoanalytikerin ist eine Pionierin der feministischen Analyse des weiblichen Verhältnisses zum eigenen Körper im Patriarchat. Ihr Buch Fat is a Feminist Issue[2] (dt.: Anti-Diät-Buch, 1979) von 1978 wurde zu einem internationalen Bestseller und bereits 1979 vom Verlag Frauenoffensive auf Deutsch herausgegeben. In ihm entwickelt Orbach als erste eine feministische Analyse des Zusammenhangs von Frauenrolle und Essstörungen. Orbach sieht einen Zusammenhang zwischen dem immer gnadenloseren Schlankheitsdiktat und der Frauenbewegung: „Das hyperdünne Schönheitsideal fällt so präzise mit dem Erstarken der feministischen Bewegung zusammen, dass Misstrauen geboten ist. Es fällt schwer, in dieser ‚Ästhetik der Dürre‘ nicht einen Versuch zu sehen, auf die Forderungen von Frauen nach mehr Raum in der Welt zu kontern.“[3]

Bald folgten weitere Bücher, Zeitschriftenhefte und die Gründung spezialisierter Selbsthilfegruppen und -zentren [mehr].[4] Eine der ersten dieser Gruppen war Cinderella – Aktionskreis für Eß- und Magersucht.

Der Verein wurde 1984 in München von Betroffenen, ihren Angehörigen, LaienhelferInnen und Fachleuten gegründet. Auslöser war eine Studie der Nervenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, die statistisch nachweisen konnte, wie weit verbreitet Ess- und Magersucht unter Mädchen und Frauen in der Bundesrepublik Deutschland waren.[5]  Der Arbeitskreis engagierte sich für die Hilfe zur Selbsthilfe und Aufklärung über Verbreitung, Folgen und Behandlungsmöglichkeiten:

Neben dem Münchner Arbeitskreis entstanden weitere Selbsthilfegruppen, wie das Frankfurter Zentrum für Essstörungen, das 1986 gegründet wurde und nach dem Anti-Diät-Ansatz von Susie Orbach arbeitete. Zwischen 1986 und 1990 eröffneten immer mehr Selbsthilfezentren ihre Türen, beispielsweise Dick und Dünn in Berlin, Kabera e.V. in Kassel und Waage e.V. in Hamburg – alle existieren noch heute. Viele dieser Zentren arbeiteten jahrelang ehrenamtlich und kämpften um öffentliche Anerkennung und Gelder. Sie boten nicht nur Einzel- und Gruppenberatungen in den eigenen Räumen an, sondern knüpften Kontakte zu Schulen und Kliniken und entwickelten Broschüren, um ein breites Präventions- und Beratungsnetz aufzubauen. Heute sind sie mit weiteren Einrichtungen im Bundesfachverband Essstörungen organisiert.

© Bettina Flitner; FMT, FT.03.0714 Essstörungsgipfel in Berlin, 13.12.2007. Initiative von EMMA und der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt

In den 1990er Jahren professionalisierten sich zwar nach und nach die Angebote, aber es dauerte noch ein Jahrzehnt, bis die deutsche Politik begann, sich ernsthaft für das Thema zu interessieren. Einen Höhepunkt stellte die 2007 von EMMA gemeinsam mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt lancierte Kampagne Leben hat Gewicht dar, die auch von der Frauenministerin Ursula von der Leyen und der Bildungsministerin Anette Schavan maßgeblich unterstützt wurde. Heute sind Frauenkörper dank Instagram und Co. nach wie vor ein Schlachtfeld – das war auch das Fazit einer Podiumsdiskussion mit Expertinnen, die der FMT 2021 veranstaltet hat und die ihr hier anschauen könnt:

FMT, FI.05.008 „Echte Körper – Falsche Bilder“: Dr. Regula Stämpfli, Sigrid Borse und Dr. Maya Götz ziehen Bilanz zur Körperpolitik in der digitalisierten Welt

Im kommenden Jahr erschließen wir voraussichtlich weiteres Material zum Thema im Rahmen eines DDF-Projekts. Wir interviewen Expertinnen und archivieren die Unterlagen der Initiative Leben hat Gewicht sowie verschiedener Selbsthilfezentren. Bis dahin: stöbert gerne in unserem Anti-Diät Dossier.


[1] Orbach, Susie: Bodies. Im Kampf mit dem Körper, Arche 2021, S. 13.

[2] Orbach, Susie: Fat is a feminist issue: the anti-diet guide to permanent weight loss. New York 1978.

[3] Orbach, Susie: Wenn der Körper zur Welt wird, in: Schwarzer, Alice (Hg.): Durch Dick und Dünn. – Schwarzer, S. 87.

[4] Die Zeitschrift Courage widmete dem Thema ein Dossier und die EMMA veröffentlichte kurz darauf einen Sonderband: „Durch Dick und Dünn“. (FMT, Z-Ü104:1980-11: Courage, 5. Jg., 1980, H. 11; FMT, KO.09.091-1984: Schwarzer, Alice (Hg.): Durch Dick und Dünn. Emma-Sonderband 4, Köln, 1984.)

[5] cinderella_geschichte.pdf (cinderella-beratung.de)

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