Charlotte Bunch / Rita Mae Brown – Was jede Lesbierin wissen sollte

Charlotte Bunch / Rita Mae Brown

Das LAZ (Lesbisches Aktionszentrum Westberlin) veröffentlichte 1975 in einem ersten Buch, „Frauenliebe“, amerikanische Texte. Sie erschienen zu einem Zeitpunkt, zu dem es hier zwar bereits Lesbengruppen gab, eigene politische Analysen zum Lesbianismus jedoch noch nicht verfaßt worden waren. Vor allem die Texte aus Amerika gaben den hiesigen Lesbengruppen entscheidende Anstöße. Das Buch wurde allein im darauffolgenden Jahr zweimal neu aufgelegt. Der nachstehende Auszug ist einem der Texte, „Was jede Lesbierin wissen sollte“ von Charlotte Bunch und Rita Mae Brown, entnommen.

Lesbischsein bedeutet: sich selbst lieben. Sich – eine Frau. Und das in einer Kultur, die Frauen für minderwertig hält und verachtet. Die Gesellschaft gesteht dem Mann den höchsten Platz zu. Lesbischsein aber heißt, die Frau an die erste Stelle zu setzen. Darum trifft der Lesbianismus die männliche Vorherrschaft im Kern. Politisch bewußt und organisiert könnte Lesbianismus die Speerspitze im Kampf gegen die Männerherrschaft sein!

In der Vorstellung der Männergesellschaft von Lesbianismus spiegelt sich ihre Vorstellung von Frauen überhaupt: Sie denken an uns nur im Zusammenhang mit Sexualität. Lesbierinnen sind für sie Frauen, die miteinander schlafen, Punkt. Aber keine richtigen Frauen, weil eine richtige Frau mit einem Mann schläft.

Unsere Gesellschaft verlangt, daß Frauen ausschließlich Liebesbeziehungen zu Männern haben. Die Lesbierin aber, die auf Frauen bezogene Frau, ist anderen Frauen verpflichtet – sowohl politisch und ökonomisch, als auch gefühlsmäßig und körperlich. Die Lesbierin bindet sich an Frauen nicht nur als Alternative und Ausweg aus den unterdrückenden Mann-Frau-Beziehungen, sondern sie bindet sich an sie um der Frauen selbst willen: weil sie Frauen liebt! Eine Frau, die nicht bereit ist, eine Bindung, die auch die sexuelle Liebe mit einschließt, mit einer anderen Frau einzugehen, verweigert damit ihrem eigenen Geschlecht einen den Männern selbstverständlich gewährten ersten Platz in ihrem Leben: verweigert ihnen die Liebe und damit die größte Wertschätzung.

Lesbianismus ist also mehr als eine sexuelle Vorliebe. Lesbianismus ist eine politische Entscheidung! Sie ist politisch, weil in einer männerbeherrschten Welt, deren Macht auf der Heterosexualität basiert, alle Mann-Frau-Beziehungen zwangsläufig politisch sind. Indem die Lesbierin Mann-Frau-Beziehungen aktiv ablehnt und Frauen wählt, stellt sie sich gegen dieses herrschende politische System.

Natürlich haben nicht alle Lesbierinnen bewußt Frauen gewählt. Ebenso fühlen sich nicht alle verpflichtet, bei dem Kampf gegen die Unterdrückung, die sie als Frauen und Lesbierinnen erfahren, mitzumachen. Auch genügt Lesbischsein allein nicht. Es ist eine Herausforderung, aber deswegen noch lange keine Lösung.

Die Herausforderung des Lesbianismus liegt in der Zerstörung der Lüge von der weiblichen Unterlegenheit, Schwäche, Passivität und dem angeblich angeborenen Bedürfnis nach dem Mann. Wir brauchen keine Männer, die uns sagen, wer wir sind. Die Unabhängigkeit der Lesbierin und ihre Weigerung, Männer zu unterstützen, untergräbt die persönliche Macht, die Männer über Frauen haben, sie greift die Männerherrschaft privat und gesellschaftlich an.

Da Männer aller Rassen und Klassen auf weibliche Unterstützung und Unterwerfung angewiesen sind – sowohl was die praktische Arbeit angeht, als auch das psychologische Gefühl der Überlegenheit – wird unser Widerstand einige Männer dazu zwingen, ihr sexistisches Verhalten zu hinterfragen, mit ihren zerstörerischen Privilegien zu brechen und gegen diese vielleicht sogar zu kämpfen.

Sie werden lernen müssen, in einer gesellschaftlichen Struktur zu leben, die ihnen keine Macht über andere Menschen mehr gibt.

Heterosexualität spaltet Frauen. Sie zwingt sie dazu, gegeneinander um Männer und um die Privilegien, die von ihnen gewährt werden, zu konkurrieren. Gleichzeitig aber bietet die heterosexuelle Gesellschaft Frauen eine kleine Entschädigung für die freiwillige Aufgabe der Freiheit. So werden Mütter und Ehefrauen zum Beispiel gesellschaftlich geachtet, und es wird ihnen eine gewisse wirtschaftliche und emotionale Sicherheit gewährt (zumindest zum Schein). Auch ist eine Frau mit Mann nicht Freiwild für die anderen Männer. Diese kleinen Vorteile verführen Frauen dazu, persönlich wie politisch den Status quo aufrechtzuerhalten.

In unserer Gesellschaft arbeiten Frauen für Männer, um zu überleben. Im Beruf und im Haushalt. Die Lesbierin lehnt die Grundlage dieser Arbeitsteilung ab: sie weigert sich, sich der unbezahlten Arbeit in Haus und bei der Kindererziehung zu unterwerfen. Sie verweigert sich der Kleinfamilie als Grundeinheit von Herrschaft, Produktion und Konsum in der patriarchalisch-kapitalistischen Gesellschaft.

Auch am Arbeitsplatz ist die Lesbierin eine Bedrohung. Sie ist nicht die passive Teilzeitarbeiterin, auf die der Kapitalismus für die Verrichtung unterbezahlter und monotoner Handlangerarbeit zählen kann. Sie weiß, daß sie selbst für sich sorgen muß, darum ist der Beruf für sie lebenswichtiger als für viele andere Frauen. Darum kümmert sie sich energischer um Arbeitsbedingungen, Lohn, Beförderung und Status. Auch das muß – je mehr Frauen sich so verhalten – das System ins Wanken bringen, denn der Kapitalismus kann nur einen ganz kleinen Prozentsatz von Frauen absorbieren, die solche Forderungen stellen.
Wir glauben, daß Frauen und Männer niemals frei sein können, bevor Frauen nicht aufhören, sich in die Männerherrschaft zu schicken. Erst wenn Männer merken, daß wir es ernst meinen mit der Aufhebung unserer Unterdrückung und daß sie Gefahr laufen, allein zurückzubleiben – erst dann werden sie sich ändern.

Doch solange „normale“ Frauen weibliche Homosexualität als Schlafzimmerproblem begreifen und für sich ausschließen, solange halten sie eine Entwicklung auf, die der Männerherrschaft ein Ende setzen könnte. Und solange ermöglichen sie es Männern, sich nicht mit ihrer eigenen Frauenverachtung befassen zu müssen. Warum sollten sie auch? Werden sie doch weiterhin geliebt. . .

(Auszug in: Schwesternlust & Schwesternfrust – 20 Jahre Frauenbewegung. EMMA Sonderband, Oktober 1991, S. 90.)

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