Alice Schwarzer: Ein Tag im Haus für geschlagene Frauen

Alice Schwarzer, 1977

Dieses Haus geht jede Frau an. Jede könnte morgen darauf angewiesen sein. Denn Männergewalt gegen Frauen ist heute „normal“ und allgegenwärtig.

Moment, wir müssen erst mal ein bißchen aufräumen . . .« Mit geübtem Hausfrauengriff werden leergetrunkene Kaffeetassen gestapelt, Teddys und Spielzeugautos werden gerafft. Acht Uhr morgens im Zimmer 14 im Haus für geschlagene Frauen: sechs Frauen, neun Kinder, sechs Doppelbetten, drei Kinderliegen, zwei Tische und acht Stühle. Mit mir um den Tisch sitzen alle sechs Frauen. Einige von ihnen sind schon seit Wochen hier, andere erst seit Tagen. Die letzte, Gertraut Bongards*, 22, ist gestern mit ihrem Kind dazugekommen.

Die Frauen haben mich zum Frühstück eingeladen. »Wenn Du von der Presse bist, kennst Du doch sicher auch >Meine Geschichte»Die Telefonnummer von hier hab ich von der Auskunft. Ich frag mich nur, was die Frauen vorher gemacht haben, als es das Haus noch nicht gab.«
»Ich bin hundertmal wieder zurückgegangen, weil ich nicht wußte, wohin.«
»Ich hab immer nur davor gezittert, daß er nach Hause kommt.«
»Guck mal meine Narben an … Dreimal hat er mich krankenhausreif geschlagen.«
»Die Nachbarn? Ach die. Die machen doch nur Tür und Fenster zu. Die wollen mit sowas nichts zu tun haben.«
»Und alle wollen sie, daß wir zu ihnen zurückkommen – aber das ist keine Liebe, das ist nur Eitelkeit.«
»Und immer hast Du die Hoffnung, er ändert sich.«

Rechts von mir Gudrun Held, 36 Jahre alt, Mutter von vier Kindern und Hausfrau. Nebenher ging sie putzen. »Ich mußte. Er feierte ja laufend krank.« Am liebsten schlug er sie mit der Hundeleine. Wollte sie nicht mit ihm schlafen, hielt er ihr die Pistole auf die Brust. Nach der Scheidung hat sie ihn wieder geheiratet – er hatte versprochen, sich zu bessern. Außer ihrer Familie kannte sie keinen. Als sie gehen wollte, bekam sie zu hören: »Hau ruhig ab. Kriegst doch keinen mehr mit.« Zwei ihrer Kinder sind verhaltensgestört. Der achtjährige Sohn Stefan hat neulich gesagt: »Wenn ich könnte, würde ich Vater umbringen!« – Frau Held hat ein zweites mal die Scheidung eingereicht.

Gegenüber Ilona Klein, 27 Jahre alt, drei Kinder. Ihr Mann setzte sie nach der Prügel meist vor die Tür. Auch nachts. Oft irrte sie tage- und nächtelang durch die Straßen. Einmal hat er das Kind aus dem Fenster gehalten und gedroht: »Ich schmeiß den Balg raus.« Kommentar der alarmierten Polizei: »Was wollen Sie denn? Das Kind lebt doch noch.« Den Tip mit dem Frauenhaus hat sie von einer Sozialarbeiterin. – Frau Klein hat die Scheidung eingereicht.

Daneben Renate Herzberger, 48 Jahre alt, seit zehn Jahren verheiratet, kein Kind, von Beruf Kassiererin. Auch sie wurde oft ausgesperrt. In der fremden Stadt – sie war wegen ihm nach Berlin gezogen – wußte sie nicht, wohin. Kam sie dann zurück, wurde sie noch mehr zusammengeschlagen. Ihr Körper und ihr Gesicht sind mit Narben bedeckt. Zuletzt hatte sie einen Schädelbruch.

Ein um Rat gefragter Anwalt antwortete: »Solange Sie nicht den Kopf unterm Arm tragen, ist sowieso nichts zu machen. Außerdem ist Alkoholismus eine Krankheit und ihr Mann kriegt bestimmt verminderte Zurechnungsfähigkeit.« Die Scheidung hat sie nicht eingereicht. Warum? »Angst. Der würde mich totschlagen.« Und Regine Weiss, 27 Jahre alt, von Beruf kaufmännische Angestellte, Mutter eines Kindes und seither Hausfrau. Sie ist seit drei Tagen hier. Gestern hat sie zusammen mit zwei anderen Frauen ihr Kind aus der Wohnung geholt.

Am mutigsten war bei dieser Aktion Käte. Käte Mielke, 22, Mutter eines Kindes, früher Arzthelferin, heute Animiermädchen. »Meinen Namen brauchst Du nicht zu ändern«, sagte sie entschlossen. »Ich stehe zu allem, was ich zu sagen habe.« Wenn ihr Mann betrunken war, pflegte er sie in den Bauch zu treten, die Treppe runterzuschmeißen, zu würgen und mit einer Pistole zu bedrohen. Seit ihrer Eierstockoperation nennt er sie »taube Nuß«. Außerdem: »Du bist ja nicht mal ne richtige Frau. Du kriegst ja keinen Orgasmus.« Käte fiel in Depressionen und landete in der Psychiatrie. Das war am 5. Dezember vergangenen Jahres. Am 20. Dezember wurde sie wieder entlassen – und ging direkt ins Frauenhaus. »Jetzt versucht er mit allen Mitteln, mich zurückzuholen. So reagieren fast alle Männer der Frauen hier im Haus. Er schreibt mir Liebesbriefe, bombardiert mich mit Anrufen. Neulich stand er sogar vor der Tür und ließ mir ausrichten: >Komm zurück, Schatz. Ich schlag Dich nicht mehr.<« Renate fängt an zu kichern: »Stellt euch mal das umgekehrte Bild vor: Kätes Mann wäre im Männerhaus und sie steht vor der Tür und säuselt: >Kannst ruhig wiederkommen, Schatz, ich schlag Dich nicht mehr . . .<« Käte: »Da wird einem erst klar, in was für einer grotesken Situation wir Frauen sind!« Ilona: »Alle Tricks haben die drauf. Neulich kam einer als Postbote. Und vor ein paar Wochen ist einer im ersten Stock eingestiegen – aber die Frauen waren schlau: Die haben ihn im Zimmer eingeschlossen und die Polizei geholt.«
Männertricks

Regine: »Und gestern war Bombenalarm. Nachts um elf hat uns einer am Telefon gedroht. Seine Frau war bis vor kurzem hier und ist dann zurückgegangen. Jetzt mosert sie wohl so rum und wehrt sich so gut, daß er sauer ist. Die Polizei hatte innerhalb einer halben Stunde seine Adresse rausgefunden . . .«

Renate: »Die meisten rufen hier an und drohen mit Selbstmord. Bei den Ämtern erzählen sie, wir wären Trinkerinnen und gehörten in die Heilanstalt – aber sie würden uns trotzdem gern wieder aufnehmen.«

Gudrun: »Und die Ämter glauben denen mehr als uns. Alle reden sie auf uns ein, wir sollten zurückgehen. Am meisten die Männer . . . Wenn wir Dir die Fotos von unseren Männern zeigen würden – Du würdest staunen. Das sind die Liebsten und Bravsten auf der Welt. Die können kein Wässerchen trüben.« Käte: »Oft beschimpfen sie uns auch. Ihr Schlampen! Ihr Huren! Ihr lesbischen Kühe! – das sind so die Lieblingsausdrücke . . .«

Am 1. November vergangenen Jahres wurde das Berliner Haus für geschlagene Frauen offiziell eröffnet. Es ist das erste in Deutschland. Schon jetzt gibt es zwei weitere: in Köln und in Bremen. Und in mehreren Städten Fraueninitiativen für weitere Häuser (Adressen über EMMA oder in dem Buch »Gewalt in der Ehe«).

Schon Wochen vor der Eröffnung des Berliner Hauses kamen die ersten Frauen. Sie kampierten inmitten des Renovierungsgerümpels. Bis Ende Januar wurden 193 Frauen und etwa 300 Kinder aufgenommen. An dem Tag, an dem ich im Haus war, lebten 48 Frauen mit ihren Kindern in den 15 Räumen — längst ist auch der ursprünglich als zweites Büro vorgesehene Raum mit Betten vollgestellt. Ilona Böttcher, die fürs Büro verantwortlich ist, mußte rücken. Zwischendurch kampierten sogar Frauen im Gemeinschaftsraum.

Bisher ging etwa jede vierte Frau zu ihrem Mann zurück (einige sind schon wieder im Frauenhaus . . .). Die anderen haben sich Wohnungen gesucht oder übergangsweise Unterschlupf bei Verwandten und Bekannten gefunden.

Das Haus hat das Prinzip der »offenen Tür«. Keine Frau wird zurückgeschickt. »Das können wir gar nicht verantworten«, erklärt Barbara . . ., eine der Mitarbeiterinnen. »Wer weiß, ob die Frau dann am nächsten Tag noch lebt.« Eine Woche nach Eröffnung, am 7. November, mißbrauchte eine BILD-Reporterin dieses Prinzip und schlich sich als angeblich hilfesuchende Frau ins Haus. Resultat: Am 8. November erschien ein Artikel in BILD mit der Überschrift »Frauenhaus: Ich war froh, als ich draußen war.«

Gesehen hatte die Dame von BILD: »Frauen und Kinder, die nicht lachen können. (. . .) Eine riesige Küche und — Frauen. Die einen starren stumpfsinnig vor sich hin, im Mundwinkel eine Zigarette. Vor sich auf dem Tisch eine Kaffeetasse. Die anderen prügeln sich mit Worten. (. . .) Der Waschraum ist verdreckt. Überhaupt, das ganze Haus ist verdreckt.« Die Frauen waren empört! Zu recht.. .

Erster Gast im Haus war Margit Stiefel, 29 Jahre alt, Sekretärin, Mutter eines Kindes und mit einem Oberamtsrat verheiratet. Margit zitterte am ganzen Körper und war total verstört. Seit drei Tagen irrte sie durch Berlin. Ein fremder Mann hatte sie für eine Nacht aufgenommen und vergewaltigt. Ihr eigener schlägt sie seit Jahren mehrere Male in der Woche und mißbraucht sie meist anschließend. Hinterlassen seine Schläge Spuren, sperrt er sie solange ein, bis nichts mehr zu sehen ist. Margit blieb ein paar Wochen, trank aber so stark, daß sie im Haus eine Entziehungskur machen sollte. Darum ging sie zurück – zu Mann und Alkohol. Nicht wenige der geschlagenen Frauen schlucken Tabletten oder Alkohol. Polizei, Richtern und Jugendamt gegenüber versuchen die Männer, das zum Nachteil der Frauen auszuspielen. Sie vergessen nur eines: Daß die Sucht in den seltensten Fällen Anlaß der Prügelei war, sondern ihre Folge.

Geschlagen wird — das bestätigen alle zuständigen Stellen und auch die wenigen bisher existierenden Untersuchungen – in allen Schichten. Nur scheinen Proletarier offener, lauter zu schlagen. Bürgerliche Angestellte und Akademiker prügeln kaschiert und greifen neben der physischen auch zur psychischen Tortur: Da ist es gang und gäbe, daß den Frauen mit der Einweisung in die Psychiatrie gedroht wird.

Eine englische Untersuchung ergab, daß zwei Berufsstände besonders viel prügeln: Polizisten und Richter. Im Frauenhaus sind mehr Frauen aus Arbeitervierteln. Das liegt wohl daran, daß diese Frauen weniger Beziehungen haben als sozial besser gestellte Frauen, die leichter im Bekanntenkreis unterschlüpfen können. Aber auch nicht immer. Schätzungen über die Zahl der sogenannten »geschlagenen Frauen« schwanken in der Bundesrepublik zwischen 100 000 und vier Millionen. Untersuchungen und Statistiken existieren nicht. Was kein Zufall ist, sondern die totale Ignoranz dieses Problems ausdrückt. Eine geschlagene Frau – das war bisher eine Ausnahme, und außerdem ist sie selber schuld und mag das vielleicht ganz gern, oder?

Doch langsam wird klar: Wir sind alle geschlagene Frauen! Die, die zwar nicht viermal in der Woche Prügel beziehen aber immer mit der möglichen Männergewalt zu rechnen haben, ebenso wie die, die regelmäßig zusammengeschlagen werden. Auf der Straße beschleunigen wir den Schritt, sobald abends jemand hinter uns geht. Pöbelt uns ein Besoffener an, erwidern wir nichts, weil wir Angst haben, den kürzeren zu ziehen. Und zu Hause? Selbst der sanfteste Mann, der keiner Fliege was zuleide tut, könnte uns immerhin schlagen. Und aus Erfahrung wissen wir Frauen, daß auch die friedlichsten Männer gewalttätig werden, wenn Frauen gehen – und Frauen gehen zunehmend. Auch ohne Erfahrungen mit Trinkern und Schlägern haben viele Frauen solche Gewalttätigkeiten in Momenten der Trennung über sich ergehen lassen müssen. Die Männer sind fast immer die Stärkeren! Und es ist eine Frage ihrer Freundlichkeit und Gnade, ob sie diese körperliche Überlegenheit ausspielen oder nicht.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Frau, die mir sagte: »Als ich mich scheiden lassen wollte, hab ich in der permanenten Angst gelebt.« Ich fragte, warum. Ob er sie geschlagen habe? Nein. Nie. Aber ich hatte immer Angst, er würde es tun . . .«
Meine Angst

Ich auch. Als mir das Problem der Gewalt bewußt wurde – und das war sehr spät, weil ich aus meiner Kindheit keine prügelnden Männer kannte – da dachte ich zunächst, das alles ginge mich persönlich nichts an. Bis mir langsam klar wurde, was ich so erfolgreich verdrängt hatte: Würgemale, die erst nach Wochen verblaßten – ich hatte mich trennen wollen (und ging dann tatsächlich erst viel später . . .).

Oder, in einer späteren Beziehung, meine langen Grundsatzreden über Gewalt von Männern, und wie ich das verabscheue und daß, wenn je einer wagen sollte, auch nur die Hand zu heben, er was erleben könnte . . . Erst viel später wurde mir klar, daß das meine jämmerlichen und hilflosen Versuche waren, vorzubeugen, zu signalisieren: Wehe, Du wagst es. – Aber was hätte ich tun können, wenn er gewagt hätte? Nichts.

Wir alle sind geschlagene Frauen. Und wenn es heute endlich für die gravierendsten Fälle diese Zuflucht gibt, dann ist das nicht etwa der Männergesellschaft, nicht den Polizisten, Ärzten und Ämtern zu verdanken, sondern ausschließlich den Frauen, präziser: den Feministinnen. Dieses erste Haus für geschlagene Frauen, und auch die weiteren, wurden von Frauen aus der Frauenbewegung initiiert.

In Berlin waren es zunächst acht, die sich seit dem Winter 75 regelmäßig trafen: Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen, Ärztinnen und Anwältinnen. Alles Frauen, die dank ihrer täglichen Erfahrung wußten: Es muß etwas geschehen!

Sie diskutierten, sammelten Informationen, wurden bei Ämtern und Ministerien vorstellig. Ex-Ministerin Focke, im Frühling 76 durch einen eindringlichen Brief um Aufmerksamkeit, Hilfe und Geld gebeten, hielt es damals noch nicht einmal für nötig, zu antworten. Auch dem SPD-regierten Berliner Senat leuchtete die Notwendigkeit solcher Häuser keinesfalls ein. Die Frauen ließen sich nicht entmutigen. Sie veröffentlichten Broschüren und verteilten Flugblätter über das Elend geschlagener Frauen. Und sie klagten die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen an, die es möglich machen, daß Gewalt gegen Frauen für selbstverständlich gehalten wird: von den schlagenden Männern und allzu oft sogar von den geschlagenen Frauen selbst.

Die ersten Reaktionen waren heftig. Prompt horchten die Medien auf. Im Mai 76 erklärte Ministerin Focke in einem Fernsehfilm über das Problem ihr Desinteresse an dem Projekt. Sollten die Frauen sich doch wehren. Folge: »Waschkörbe von Protestbriefen« (so eine Focke-Referentin). Nun war der Skandal nicht länger zu verschweigen. Ausgerechnet in der Vorwahlzeit. Pech für die Politiker, Glück für die Frauen. Denn SPD und FDP, die in der vergangenen Legislaturperiode dank der »progressiven Wählerinnen« an die Macht gekommen waren, sie aber dann bitter enttäuscht hatten, sie mußten fürchten, die Wahlen zu verlieren.

So kam es, daß ganz plötzlich das Geld floß. Ein kleines Präsent für die Damen. Im August erteilte das Bonner Ministerium der Berliner Gruppe »Frauenhaus – Frauen helfen Frauen« eine mündliche Zusage: das Projekt sollte ab Herbst 76 mit 450 000 Mark jährlich als »Modellversuch« finanziert werden, nach drei Jahren sollte der Senat die Kosten übernehmen. Alles rein wahlpolitischer Kalkül. Aber was macht’s. Hauptsache, das Geld war da. Nun begann ein zähes Hick-hack. Die Geldgeber wollten den Wählerinnen gefallen, den Frauen aber gleichzeitig nicht allzuviel Macht geben: Im Haus sollte alles so laufen, wie sie es für richtig hielten.

Schon gingen Politiker und Politikerinnen mit dem Projekt hausieren, noch bevor das Haus eröffnet wurde. Mal verkündete die SPD, mal die FDP, dies sei ja eigentlich ihr Projekt. Und gleichzeitig wurden die eigentlichen Initiatorinnen und Trägerinnen der Sache diffamiert. So hieß es in einem internen Rundschreiben des Senats vom Juni 76: »Es sollte vermieden werden, das Krisenzentrum als eine Einrichtung der Frauenbewegung erscheinen zu lassen, weil diese Sicht des Problems – abgesehen von den Vorurteilen und Widerständen, die eine solche Haltung auslöst – der real gegebenen Komplexität des Problems nicht gerecht werden kann.« Als hätte die »Komplexität« des Frauenproblems den Berliner Senat je interessiert . . . Die gleichen Stimmen predigten bisher heile Familie, wo die Hölle war, und Partnerschaft, wo nicht davon die Rede sein konnte.

Doch die Frauen, inzwischen gewitzt im Behörden- und Parteiendschungel, ließen sich nichts gefallen. Einzige Mini-Konzession: Sie gründeten einen »Trägerverein«, der juristisch und formal für das Projekt verantwortlich ist, und in dem außer ihnen selbst sechs sogenannte »öffentliche Frauen« sind – das heißt, Frauen, die in der Öffentlichkeit »bekannt und angesehen« sind (Senatsformulierung).

Diese »öffentlichen Frauen« sollten ursprünglich eine kontrollierende Funktion haben, waren aber bisher eher eine Verstärkung des Feministinnen-Kampfes gegen Behörden-Starrsinn.
Rechtlos

Denn Frauen sollen in diesem Haus gestärkt und nicht aufs neue entmündigt werden. Sie sollen nicht länger nur Teil einer um jeden Preis zu kittenden Familie sein, sondern auch lernen, an sich selbst zu denken.

Alles im Haus zielt auf Selbständigkeit der zunächst noch sehr hilflosen und hilfsbedürftigen Frauen hin. Die Psychologin Ursula Scheu: »Am erschütterndsten finde ich, wie wenig die hier ankommenden Frauen ihre eigenen Rechte kennen.« Viele müssen bei ihrer Ankunft erst einmal ärztlich versorgt werden und manche sind so eingeschüchtert, gedemütigt und verschreckt, daß sie sich tagelang im Zimmer verstecken.

So wie die heute sehr selbstsichere Renate Herzberger, die aus Angst und Scham in der ganzen ersten Woche noch nicht einmal die Rolladen hochließ. Oder wie Margit Stiefel, die schon zitterte, wenn sie nur eine Männerstimme hörte (damals waren noch Handwerker im Haus).

»Für uns war von Anfang an klar, daß Männer in diesem Haus nichts zu suchen haben. Aber bring das mal dem Berliner Senat bei. . . Der hat monatelang versucht, uns dazu zu bringen, auch männliche Mitarbeiter ins Haus zu lassen«, berichtet die Psychologin Roswitha Burgard.
Hilflos

MITTAG. Ich sitze mit einer der Mitarbeiterinnen, mit Karin Kaltenberg im Büro. Sie berichtet vom täglichen Leben im Haus. Davon, daß die meisten Mitarbeiterinnen nachts schlecht schlafen, seit sie im Haus arbeiten – die Geschichten der Frauen verfolgen sie bis in die Träume.

Da kommt Regine Weiss aus Zimmer 14. Sie fragt, ob ich ein, zwei Stunden Zeit habe. Sie ist mit ihrem Mann, der sie drängt, zurückzukommen, verabredet. Sie traut sich nicht alleine hin . . .

Wir steigen in mein Auto und fahren los. Quer durch Berlin. Auf der Fahrt erzählt sie mir von ihrer Ehe. Wie sie damals aufgehört hat, zu arbeiten, weil das Kind kam. Wie sie Tag für Tag in der Wohnung saß und anfing, zu trinken. Und wie er anfing, zu schlagen. »Aber eigentlich ist er ganz nett«, nimmt sie ihn in Schutz. »An sowas sind ja immer beide schuld. Er weiß sich einfach nicht anders zu helfen. Er hat sogar einen Selbstmordversuch gemacht.« Sie sagt auch, daß sie sich seit Monaten nicht mehr allein auf die Straße traut. Angstzustände.

Wir lesen ihn an der Bushaltestelle 19, Platz der Luftbrücke, auf und fahren zusammen in ein jugoslawisches Restaurant in Neukölln. Zunächst will er in meiner Gegenwart nicht reden. Ich frage sie heimlich, ob ich nicht doch gehen soll. Sie fleht mich an, zu bleiben. Er ist tatsächlich ganz nett. Keines von diesen Monstern, von denen ich im Haus mehr als genug gehört habe. Er hat seine Frau nicht am Stuhl festgebunden, nicht in Gegenwart des Kindes Feuer um sie herum gelegt, bis die Feuerwehr zum Retten kam – so wie Herr Huber. Er hat nicht einen Feuerhaken auf dem Hals seiner Frau verbogen und ihr das Knie ausgerenkt – so wie Herr Herzberger. Er hat auch nicht mit Kollegen zusammen seine Frau geprügelt und sie reihum vergewaltigen lassen – so wie Herr Schmiederer. Er hat seine Frau »nur« alle paar Tage geschlagen. Immer, wenn er Aggressionen hatte oder nicht mehr weiter wußte . . .

Er will, daß sie zurückkommt. »Ich hab dich doch noch gern.« Und sie? Sie hat Angst, Angst, Angst. Als ich behutsam versuche, ihm ihre Angst klarzumachen, wischt er das mit einem gar nicht böse gemeinten »Ach die spinnt doch! Die hat doch gar keine Angst!« vom Tisch. Regine verstummt, fängt an zu zittern, wird rot, schnappt nach Luft, rennt raus und schluckt Tropfen. Sie ist seit Monaten in Behandlung. Schwaches Herz. Als wir mit dem Kind zusammen zurück ins Haus fahren, sagt sie: »Gut, daß Du dabei warst. Allein hätt ich es nicht geschafft.«
Neues Leben

ABEND Alle Frauen duzen sich. Auch die Mitarbeiterinnen. Das Team ist gleichberechtigt, es gibt keine Chefin und keine Hierarchie. Die Bewohnerinnen haben eine regelmäßige Hausversammlung, in der auch Mitarbeiterinnen vertreten sind. Außer einigen Minimalregeln gibt es keine Hausordnung. Die Mitarbeiterinnen möchten, daß allen Beteiligten ihre gemeinsame Verantwortung klar wird. Das klappt natürlich nicht immer – denn für viele der Frauen, die bisher in der totalen Abhängigkeit gelebt haben, sind gleichberechtigte Beziehungen neu.

»Die Frauen sind zwar selbständig, aber sie fühlen sich nicht selbständig«, erklärt mir Ruth Nehren, eine der Mitarbeiterinnen. »Du darfst nicht vergessen: eine der Hauptwaffen der Männer ist neben der körperlichen Gewalt die seelische. Die reden den Frauen immer wieder ein, sie seien dumm und minderwertig.«

Erst im Frauenhaus hebt so manche Frau nach langen Jahren erstmals wieder den Kopf. Lore Hansmann, 28, Tochter eines Taxifahrers, erfüllt sich einen Jungmädchentraum: Sie lernte Busfahren und karrt nun die Frauen und Kinder im Haus-Bus zum Einkaufen oder macht Möbel-Transporte. Auch im Haus machen die Frauen mit. Sie verwalten Küche und Wäsche, putzen alles selbst, kümmern sich um neu ankommende Frauen, trösten sie, nehmen ihre Personalien auf und erklären ihnen die tausend erforderlichen Behördengänge (siehe dazu auch die Seite »Frauenrecht«).

Ein ganz großes Problem sind die Kinder. Helga Tomek und Sylvia Krug, die sie betreuen, erzählen: »Da ist einmal die Umstellung: Eine fremde Umgebung, eine neue Schule. Und dann sind die meisten Kinder sehr sehr verstört. Oft wurden sie selbst vom Vater geprügelt – und nicht selten mußten sie die für die Mütter demütigendsten und traumatisierenden Szenen mit ansehen . . . Viele der Kinder lernen erst hier wieder spielen und lachen.«

Das Haus kann und will nur Übergangsstation sein. Schon jetzt ist klar, daß es selbst für Berlin nicht reicht. Nach den gemachten Erfahrungen halten die Frauen Anschlußhäuser für notwendig. Solche, in denen halbwegs stabilisierte Frauen in weitgehender Eigenverantwortung zusammen leben können, bevor sie sich ganz auf die eigenen Füße stellen (und dann allein oder mit anderen Frauen gemeinsam eine Wohnung nehmen). Auch sind dringend therapeutische Frauenwohngemeinschaften nötig, die Frauen, die auf längere Sicht nicht allein existieren können, aufnehmen. Das ist die praktische Seite. Doch auch politisch muß noch viel geschehen.

Warum werden Frauen geschlagen? Weil sie ökonomisch, sozial und psychisch so abhängig und physisch so schwach sind. Aber warum lassen Frauen sich in dieser Abhängigkeit und Schwäche halten? Weil Frauenschwäche und Männerstärke in unserer Gesellschaft »normal«, die Norm sind. Erfunden von Männern und akzeptiert von Frauen. Dagegen müssen wir kämpfen, wenn es eines Tages keine geschlagenen Frauen mehr geben soll!
Schlagende Liebe

Frauenhäuser sind dazu nur ein erster Schritt. Haben wir uns die materiellen Voraussetzungen zum Handeln geschaffen, muß sich Grundlegendes in unseren Köpfen ändern. In den Männerköpfen, in denen Prügel und Liebe identisch sind (ein von Sarah Haffner interviewter Mann antwortete auf die Frage, warum er seine Frau schlage: »Aus Liebe.«). Und auch in Frauenköpfen.

Frauen müssen umdenken. Und sie müssen stark genug werden, um auch unwillige Männer zum Umdenken zwingen oder aber gehen zu können. Frauen müssen lernen, sich zu wehren: auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Sie müssen lernen, daß diese Gewalt, die sie einschüchtert, eine der Hauptstützen der Männergesellschaft ist. Worauf warten wir, empört zu sein über die Verachtung und Erniedrigung, die uns da ins Gesicht geschlagen wird!

Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

(Quelle: EMMA 3/1977, S.7- 12)

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