Anita Augspurg: Wieder ein Schlag ins Antlitz der Frau

Anita Augspurg, 1905

Die deutsche Rechtspflege scheint befürchtet zu haben, daß sie hinsichtlich der gewohnheitsmäßigen Preisgabe des Rechtsschutzes der Frau vom Ausland überholt würde, sie hat sich´s angelegen sein lassen, den bedrohten Rekord wieder zu sichern. Wenn die Schweizer Frauen glauben, sie allein hätten über die Rechtsprechung ihrer Schwurgerichte Klage zu führen – vergl. den in Nr. 23 v. J. behandelten Fall Frieda Keller in St. Gallen und die vom Bunde Schweizer Frauenvereine gefaßte Resolution, – so können wir ihnen an einem Seitenstück, einem gleichfalls von einem Geschworenengericht in Altona mit Bezug auf ein minderjähriges schutzloses Mädchen von 15 Jahren gefällten Urteil zeigen, daß es hüben wie drüben heißt, die Gewalt steht beim Manne, die Rechtlosigkeit bei der Frau.

Vier junge Burschen von 18, 19, 20 und 24 Jahren, drei Kaufmannsgehilfen und ein Arbeiter, haben an einem Sonntage ein junges 15 jähriges Dienstmädchen zu einer Segelfahrt auf der Elbe eingeladen, sind mit ihm auf einem unbewohnten Sandwerder im Strom gelandet und haben sie dort einer nach dem andern vergewaltigt. Die Dienstherrschaft des in unbeschreiblichen Zustande heimkehrenden Mädchens, erhielt durch ein anderes Dienstmädchen, welches eine Beichte des Vorgegangenen aus dem Mädchen herauslockte, Kunde von der Sache und veranlaßte die Anklage gegen die vier Schurken. Die Verhandlung fand am 13. Januar vor dem Altonaer Schwurgericht unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt und endete mit der kostenlosen Freisprechung der des Verbrechens Überführten und Geständigen, denen der in Frage kommende § 176 StGB Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren zusichert, die sich zudem vor dem Gericht noch mit zynischer Rohheit, welche dem Vorsitzenden Anlaß zur Rüge gab, über ihre Tat geäußert haben. Das Mädchen ist infolge des bestialischen Attentates von Krämpfen befallen, welche drei ärztliche Gutachten für unheilbar erklären, während ein vierter Arzt der Ansicht ist, sie könnten vielleicht im Laufe der Zeit wieder behoben werden. Die vier Burschen waren, kaum aus der Untersuchungshaft entlassen, am nächsten Sonntage, 2 Tage nach der Gerichtsverhandlung, wieder in den Tanzlokalen von Blankenese zu sehen.

Die Zeitungen äußern sich über diesen schändlichen Wahrspruch nicht viel, ihnen bietet der Ausschluß der Oeffentlichkeit genügenden Anlaß zum schweigen; dem sozialdemokratischen „Echo“ gebührt die Ehre, die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses furchtbare Ereignis und auf dieses Urteil gelenkt zu haben, welches dazu angetan ist, das schon so tief erschütterte Zutrauen des Volkes zur deutschen Rechtspflege wiederum aufs schwerste zu verletzen. Wer aber nicht schweigen wird, das sind die deutschen Frauen, die sofort zu einer einmütigen Protestversammlung gegen dieses Urteil, welches das ganze Geschlecht wieder in seiner vollen Rechtlosigkeit hinstellt, gerüstet haben. Frau Regina Ruben in Hamburg hat die Anregung zur Verfolgung der Sache gegeben und sie hofft, sich von der gesamten Frauenbewegung, von der sozialdemokratischen bis zur gemäßigten und christlichen, unterstützt zu sehen. Der Verband Fortschrittlicher Frauenvereine hat selbstverständlich seine tatkräftige Mitwirkung erklärt und über dieses Schwurgerichtsurteil soll am 1. Februar in Hamburg im Saal Sagebiel ein scharfes Volksurteil gesprochen werden.

(Quelle: Beilage zur Frauenbewegung. Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung, 01.02.1905)

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