29. April
An der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entsteht die Homophile Studentengruppe (HSM). Als einzige Frau unterzeichnet Anne Henscheid die Satzung der Gruppe. Sie leitet innerhalb der HSM die Frauengruppe, Versuche mehr Frauen zum Mitmachen zu bewegen, bleiben erfolglos.[1] Dies ist der früheste Nachweis für organisierte Lesben innerhalb der Emanzipationsbewegungen der BRD.
Mai
Die Kölnerin Gertraut Müller setzt eine Zeitungs-Annonce auf, in der sie nach einer Partnerin sucht. Vorerst verfolgt sie damit keine politischen Absichten. Da sich vorrangig heterosexuelle Paare auf ihre Annonce melden, die auf der Suche nach einer dritten Sexualpartnerin sind, setzt Gertraut Müller die Annonce im Herbst desselben Jahres erneut auf. Diesmal melden sich auch lesbische Frauen. Gertraut Müller entschließt sich, alle interessierten Frauen zu einem Treffen einzuladen, um die Isolation, die viele Lesben in ihrem Alltag empfinden, aufzubrechen. Das Treffen findet 1972 statt.[2]
3. Juli
Im Rahmen der Berlinale wird der Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt von Rosa von Praunheim und Martin Dannecker im Forum des jungen Films uraufgeführt.[3] Ein halbes Jahr später läuft der Film, den Praunheim im Auftrag des WDR produziert hat, auch im Fernsehen. In zahlreichen Kinos in der Bundesrepublik wird der Film ebenfalls ausgestrahlt. Er thematisiert das Leben und die rechtliche Situation von homosexuellen Männern in Deutschland, sowie die damit verbundene Diskriminierung.
Der Film gilt neben der Reform des §175 als Initialzündung der Schwulenbewegung in der Bundesrepublik. In der Folge gründen sich in Westdeutschland zahlreiche Homosexuellen-Gruppen, darunter am 15. August 1971 als erste die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW). In der HAW sind, wie in anderen Gruppen, auch homosexuelle Frauen aktiv, allerdings weit in der Minderzahl.
1971
Sigrid Schäfer veröffentlicht ihre Studie „sappho 70. Zur Situation der lesbischen Frau heute“, die erste Untersuchung in der BRD, die weibliche Homosexualität nicht pathologisiert. „Homosexualität ist kein Problem an sich,“ schreibt sie, „sie wird erst durch die gesellschaftliche Diffamierung zum Problem.“[4] Für ihre Studie untersucht Schäfer anhand von Fragebögen, wie lesbische Frauen in der BRD leben und thematisiert die gravierenden Folgen ihrer Diskriminierung, z.B. die hohen Selbstmordraten. Außerdem untersucht sie anhand von Befragungen in der Hamburger Innenstadt Einstellungen der Bevölkerung zur weiblichen Homosexualität und erläutert den aktuellen Forschungsstand der Wissenschaft.
[1] Aufbruch! Die Anfänge der Homosexuellen-Bewegung in Münster, URL: https://www.stadt-muenster.de/museum/ausstellungen/aufbruch-die-anfaenge-der-homosexuellen-bewegung-in-muenster.html Zuletzt besucht am: 04.12.2020.
[2] Vgl.: Pracht, Andrea: Uns über den Mut zur Konfrontation überall frei bewegen. Lesbenbewegung in Köln? In: „10 Uhr pünktlich Gürzenich“ Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln – zur Geschichte der Organisationen und Vereine, Münster 1995, S. 355.
[3] Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Nicht_der_Homosexuelle_ist_pervers,_sondern_die_Situation,_in_der_er_lebt Zuletzt besucht am 27.11.2020. Die Datumsangabe wurde durch eine E-Mail von Daniel Baranowski von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung bestätigt. Sigusch, Volkmar: Homosexuelle zwischen Verfolgung und Emanzipation, in: Bundeszentrale für politische Bildung [Hrsg.]: Homosexualität. APuZ – Aus Politik und Zeitgeschichte 15-16/2010, S. 3-7, hier S. 5.
[4] Schäfer, Siegrid: sappho 70. Zur Situation der lesbischen Frau heute, Henstedt-Ulzburg 1971, S. 18.