Januar
Gertraut Müller trifft sich mit den zehn Frauen, die im Herbst auf ihre zweite Annonce geantwortet haben. Aus diesem vorerst privaten Kreis gründet sich zu Jahresbeginn 1972 die Homosexuelle Frauen Aktion Köln (HFA).[1] Dies ist die erste der Forschung bekannte, reine Lesbengruppe in der Bundesrepublik.
Der WDR zeigt am 31. Januar das erste Mal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen den Film von Rosa von Praunheim, eine bundesweite Ausstrahlung erfolgte ein Jahr später, am 15. Januar 1973. Die Kölner Lesbengruppe ist an der anschließenden Live-Diskussion beteiligt.[2] Der Film wird nicht nur für Männer sondern auch für Frauen zur Ermutigung zu einem Coming-Out. Lesbische Frauen identifizieren und solidarisieren sich mit der entstehenden Schwulenbewegung.
1. März
Nach einer erneuten Vorführung des Films Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt von Rosa von Praunheim gründet sich die Homosexuellen Aktion Westberlin-Frauengruppe, sie bezeichnen sich als „schwule Frauen”.
Der Hintergrund: Sie sind der Meinung, dass die Situation homosexueller Frauen nur bedingt mit der homosexueller Männer vergleichbar ist und homosexuelle Frauen primär als Frauen´diskriminiert würden –wohingegen homosexuelle Männer als Männer von den Privilegien des Patriarchats profitieren. Mittwochabends veranstalten sie in den Räumlichkeiten der HAW-Männergruppe einen Frauenabend. Die HAW-Frauen verstehen sich als Feministinnen und solidarisieren sich auch mit dem Kampf gegen den § 218: „Frauen, wenn ihr meint, der § 218 ginge schwule Frauen nichts an, dann irrt ihr euch gewaltig. Er betrifft alle Frauen, er entmündigt alle Frauen. Er verbietet ihnen, über ihren Körper selber zu verfügen.“
12 & 13. März
Auf dem Bundesfrauenkongress in Frankfurt werden zum ersten Mal Lesben innerhalb der Frauenbewegung sichtbar. Eine Kölnerin reflektiert: „Durch den ersten Frauen-Kongreß in Frankfurt […] hatte ich zum ersten Mal beobachtet, wie sich Frauen ganz unkompliziert gernhatten. Zum ersten Mal wurde mir dadurch klar, daß die Liebe unter Frauen ihren Ort in der Gesamt-Frauenbewegung haben muß. Hier wären sie nicht isoliert …“[3]
29. April
Zum einjährigen Geburtstag der HSM lädt die Gruppe Martin Dannecker nach Münster ein. Zusammen mit anderen Schwulengruppen gehen ca. 200 Männer und Frauen in Münster auf die Straße und demonstrieren für ihre Rechte. Dies ist die erste Demonstration der Nachkriegszeit von Homosexuellen in der Bundesrepublik.[4]
21.-22. Mai
Die HAW organisiert zum ersten Mal ein bundesweites Treffen von Homosexuellen. Es kommen ca. 200 Männer und 30 Frauen zum ersten Internationalen Pfingsttreffen nach Berlin. Das Treffen ist als Netzwerk- und Kennenlerntreffen gedacht. Dies ist ein Novum, denn zum ersten Mal sind mehrere Frauen aus der BRD zusammengekommen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen.[5]
[1] Vgl. Pracht, Andrea: Uns über den Mut zur Konfrontation überall frei bewegen. Lesbenbewegung in Köln? In: „10 Uhr pünktlich Gürzenich“ Hundert Jahre bewegte Frauen in Köln – zur Geschichte der Organisationen und Vereine, Münster 1995, S. 355.
[2] Vgl. Dennert, Gabriele; Leidinger, Christiane; Rauchhut, Franziska: Lesben in Wut. Lesbenbewegung in der BRD der 70er Jahre. In: Dies.: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S. 95-104, hier S. 35.
[3] Vgl. Pracht, ebd.
[4] Aufbruch! Die Anfänge der Homosexuellen-Bewegung in Münster, URL: https://www.stadt-muenster.de/museum/ausstellungen/aufbruch-die-anfaenge-der-homosexuellen-bewegung-in-muenster.html Zuletzt besucht am: 04.12.2020.
[5] Dokumentation Internationales Lesbentreffen 1972-1975, S. 9-11.