14. Januar
Die ARD sendet den Fernsehfilm Und wir nehmen uns unser Recht! Lesbierinnen in Deutschland von Claus F. Siegfried. An der Konzeption ist die Frauengruppe der HAW maßgeblich beteiligt. Nach der Mitwirkung am Film von Eva Müthel und der Unzufriedenheit über die Zusammenarbeit hatten die HAW-Frauen für zukünftige Medienarbeit Bedingungen erarbeitet.
So sollte gewährleistet sein, „1) daß wir am Konzept mitbestimmen können, 2) daß wir beim schneiden dabei sind, 3) daß unsere Adresse genannt wird.“[1] Der Film, der auch die Diskriminierung lesbischer Frauen im Beruf thematisiert, stößt auf breite (Medien)Resonanz. Der Stern berichtet: „Lesbierinnen wollen heraus aus dem Getto“. Weitere Lesbengruppen gründen sich.
11. Mai
Eine kleine Gruppe innerhalb des Berliner Frauenzentrums initiiert in der TU Berlin das erste öffentliche Frauenfest: die Rockfete im Rock. Zunächst gegen den Widerstand eines Teils des Frauenzentrums, der befürchtet, dass die ‚Frauen an der Basis’ kein Verständnis für ein reines Frauenfest haben würden. Doch die Fest-Initiative setzt sich durch und macht aus der Rockfete im Rock ein Event und ein Politikum. In ihrem Flugblatt heißt es: „Wir sind uns alle einig darin, dass wir diese erste öffentliche Frauenfete unter uns machen wollen. Wir wissen, auch aus den gemachten Erfahrungen, dass unser Verhalten freier ist, wenn Männer nicht dabei sind. Darum, Frauen, kommt an diesem Abend allein.“ Über 2.000 Frauen kommen. Auf dem Fest wird der zensierte Panorama-Film von Alice Schwarzer über eine illegale Abtreibung mit der in Deutschland noch unbekannten Absaugmethode gezeigt. Frauen aus den Gesundheits-Selbsthilfegruppen demonstrieren Selbstuntersuchungen. Ina Deter tritt auf und singt das Lied Ich habe abgetrieben. Für das Fest schließen sich einige Berlinerinnen zur ersten Deutschen Frauenband zusammen. Es sind die späteren „Flying Lesbians“[2]
2.-3. Juni
In Berlin findet das 1. Internationale Pfingsttreffen statt. Motto: „Feminismus die Theorie – Lesbischsein die Praxis?“ und „Homosexuelle Frauen – von der Vereinzelung zur Organisation”. Fast 200 Frauen kommen. Mittlerweile hat sich der größere Teil der politisch aktiven Lesben von der Schwulenbewegung separiert und verortet sich eher in der Frauenbewegung. Das Pfingsttreffen wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich wachsen, zu seinen populärsten Zeiten wird es von bis zu 1000 Frauen besucht. Neben einem umfassenden Workshop- und Kulturprogramm gehört traditionell eine Demonstration in der jeweiligen Stadt zu den Bestandteilen des Treffens.
19. August
In Itzehoe beginnt der Mordprozess gegen Marion Ihns und Judy Andersen, der zu einem Medienspektakel gerät. Begleitet wird der Prozess von Protestaktionen der Lesben- und Frauenbewegung.
September
Der Spiegel titelt: „Frauen lieben Frauen – Die neue Zärtlichkeit“. Das Magazin reagiert damit auf die immer selbstbewusster auftretenden homosexuellen Frauen als Teil der Frauenbewegung. Innerhalb der Frauenbewegung sind überrepräsentativ viele homosexuelle Frauen engagiert.
Im Zuge des gemeinsamen Engagements der Frauen verliebt sich auch so manche bis dahin heterosexuelle Frau in die Feministin von nebenan. Aus der „Neuen Zärtlichkeit“ wird so manches Mal die „Neue Bisexualität“ oder die „Neue Homosexualität“. „Jede vierte Frau ist sich nach Kinsey bewusst, dass sie schon einmal mit sexueller Erregung auf eine andere Frau reagiert hat.“, schreibt der Spiegel.
16. September
Ungefähr 15 Frauen aus Berlin und Hamburg starten im Gerichtssaal in Itzehoe eine Protestaktion. Auf ihren weißen T-Shirts stehen Slogans „Gegen geile Presse – für lesbische Liebe” geschrieben. Mit Rufen und Sprüchen, wie „Lesbische Liebe ist schön” und „Haut der geilen Männerpresse eine in die Fresse” protestieren die Frauen gegen Berichterstattung und Prozess. Die Frauen werden aus dem Gerichtssaal entfernt. Dies hält die Frauen allerdings nicht davon ab, weiter zu demonstrieren, nur nicht mehr im Gerichtsaal sondern auf der Straße. Lesbische und heterosexuelle Frauen demonstrieren zusammen in Itzehoe, denn „es war feministischer Konsens, die Kriminalisierung von Lesben abzulehnen und die Prozessführung und Medienberichterstattung zu kritisieren.”[3]
1. Oktober
Im Mordprozess gegen Marion Ihns und Judy Andersen ergeht das Urteil. Beide Frauen werden für den Auftragsmord am Ehemann von Marion Ihns zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Frauengruppen aus ganz Deutschland demonstrieren nach der Urteilsverkündung vor dem Gerichtsgebäude in Itzehoe. Motto: „Die Mordanklage ist Vorwand – am Pranger steht die lesbische Liebe!“
22. November
Die Gruppe „L“74 gründet sich in Berlin. Das Kollektiv stammt aus dem Umkreis der HAW-Frauen, kann sich allerdings mit deren „radikalen utopischen Forderungen“ nicht anfreunden. Zudem fühlen sie sich in der „teilweise hektischen Atmosphäre zwischen Matratzen und leeren Bierflaschen nicht wohl.“[4] Sie suchen nach einem gemäßigteren Kreis.[5] Die Gruppe „L“74 richtet sich vor allem an berufstätige und/oder pensionierte Lesben; manche von ihnen haben die Weimarer Republik erlebt und das Dritte Reich überlebt. Die Gruppe entwickelt sich für manche Frau schnell zu einem „Familienersatz“, da lesbische, unverheiratete Frauen oft ohne Familien und somit häufiger einsam sind.[6]
23. November
Auf der 2. Rockfete im Rock feiern 3.000 Frauen zusammen. Das zweite Fest ist genauso ein Riesenerfolg wie das erste im Mai.[7]
8. Dezember
Die HAW-Frauen diskutieren seit dem Sommer über eine Umbenennung ihrer Gruppe. Im Dezember ist es dann soweit: Aus der Frauengruppe der Homosexuellen Aktion Westberlin wird das Lesbische Aktionszentrum Berlin – kurz LAZ. Damit lösen sich die Berliner Frauen öffentlich von der Schwulenbewegung.[8] „Als Zeichen unserer Unabhängigkeit von den homosexuellen Männern und um unsere Zugehörigkeit zur autonomen Frauenbewegung zum Ausdruck zu bringen.“[9]
Ab 1974
18 Frauen der Münchner Frauenbewegung gründen die Frauenoffensive, Deutschlands ersten autonomen Frauenverlag. Noch im selben Jahr folgt der Frauenselbstverlag Berlin. Der Verlag nennt sich bald drauf Frauenpresse, ab 1980 sub rosa frauenverlag und seit 1986 Orlanda Frauenverlag[10] Neben allgemeiner feministischer Literatur ist auch lesbische Literatur im Fokus der beiden Verlage.
Der Orlanda Frauenverlag konzentriert sich zudem auf afrodeutsche Literatur. Mit dem Verlag war die afroamerikanische Autorin Audre Lorde stark verbunden, die in Deutschland für lesbische und afrodeutsche Politik und Diskurse eine wichtige Rolle gespielt hat.[11]
[1] Homosexuelle Aktion Westberlin Frauengruppe: Eine ist keine – Gemeinsam sind wir stark, HAW-Frauen, Dokumentation, S. 83.
[2] Vgl.: Ergänzung zur Dokumentation des LAZ. Frauentreffen, Aktionen, Frauentreffen (PD.LE.11.01-1975).
[3] Kühn, Monne: “Haut der geilen Männerpresse eine in die Fresse”. Itzehoer Prozess-Protest 1974. In: Dennert, Gabriele; Leidinger, Christiane; Rauchhut, Franziska [Hrsg.]: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S.68-71, hier S. 69.
[4] Vgl.: Gruppe L 74: L wie Lesbos, in: Lenz, Ilse [Hrsg.]: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden 2008, S. 242.
[5] Lenz, Ilse [Hrsg.]: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden 2008, S. 241.
[6] Vgl.: Gruppe L 74: L wie Lesbos. In: Lenz, Ilse [Hrsg.]: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden 2008, S. 242.
[7]Vgl.: Ergänzung zur Dokumentation des LAZ. Frauentreffen, Aktionen, Frauentreffen (PD.LE.11.01-1975).
[8]Vgl.: Ergänzung zur Dokumentation des LAZ. Frauentreffen, Aktionen, Frauentreffen (PD.LE.11.01-1975).
[9] Kokula, Ilse: Formen lesbischer Subkultur. Vergesellschaftung und soziale Bewegung, Berlin 1983, S. 72 (LE.11.162).
[10] https://orlanda.de/
[11] Vgl.: Bubeck, Ilona: Lesbisch-literarischer Spiegel. Frauenbuchläden, Verlage und Vertrieb. In: Dennert, Gabriele; Leidinger, Christiane; Rauchhut, Franziska [Hrsg.]: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S. 225-228, hier S. 226.