1983
Lesben schließen sich der DeSI – Demokratischen Schwule Initiative – an, ein Jahr später wird aus der Initiative die DeLSI – Demokratische Lesben und Schwulen Initiative. Die DeLSI ist eine bundesweite Organisation mit regionalen Gruppen. Ziel der Initiative ist es, homosexuelle Anliegen stärker in linke Parteiprogramme zu integrieren.[1]
4.-6. Februar
Das erste Bundestreffen der Autonomen Frauen- und der Universitäten und Hochschulen findet in Gießen statt. An erster Stelle des Treffens steht der Erfahrungs- und Informationsaustausch. Unter anderem beschließen die Frauen: „Die Lesbenreferate sollen in erster Linie ein Kommunikationsforum für Lesben sein, sowie Schutz bieten gegen Repressionen, Diffamierung und Diskriminierung.“[2] Die Frauen vereinbaren regelmäßige Treffen.
April
„Lesben offensiv. Texte für alle“ der UHA – Unabhängigen Homosexuellen Alternative erscheint. Die vier Autorinnen, Claudia Brand, Angelika Breidenbach, Barbara Retzlaff und Milka Vagadayova, verhandeln darin ihre Enttäuschung über die Frauen- und die Lesbenbewegung: „Auch in der Frauenbewegung wurde unsere Arbeit in hohem Maße durch Homosexuellenfeindlichkeit behindert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht.“[3] Die Lesbenbewegung sei „aufgrund ihrer elitären Ideologie zu einer weltfremden Clique“ geworden, die in den vergangenen Jahren nichts mehr „bewegt“ habe. Mit ihrer Broschüre, die Teil der Öffentlichkeitsarbeit der UHA ist, möchten sie andere Lesben davon überzeugen, sich politisch lieber an die Schwulenbewegung zu halten, weil die gemeinsamen Diskriminierungserfahrungen beide Gruppen fest miteinander verbänden. Die UHA kämpft gegen sexuelle Diskriminierung und dafür, dass „jede Lebensform erlaubt sein muß, die nicht das Selbstbestimmungsrecht anderer Menschen verletzt.“[4]
23.-24. Mai
In Osnabrück kommen 900 Lesben zum diesjährigen Pfingsttreffen zusammen. Organisiert haben es die Osnabrücker Lesben zusammen mit dem Deutschen LesbenRing e. V. Vorträge gibt es zu den Themen Lesben und Recht, Lesben- und Frauenfilme sowie zwei Vorträge über das Verhältnis von Lesben und der Frauenbewegung von Jill Johnston und Vera Slupik. Jill Johnston hat sich mittlerweile von ihrer viel rezipierten These „alle Frauen sind lesbisch, außer denen die es noch nicht wissen“, distanziert. Ihrer jetzigen Meinung nach sind Lesben nun Bindeglieder zwischen Frauen und Männern und sollen dazu beitragen die verfeindeten Geschlechter wieder einander anzunähern. Die wenigsten Teilnehmerinnen des LesbenPfingsttreffens können sich mit dieser These von Johnston identifizieren.
Weitere Veranstaltungsschwerpunkte sind Workshops, Fotoausstellungen und Sport. Am Abend feiern die Besucherinnen zu den Klängen der Frauenbands Medusa aus Essen und Daisy Duck aus Düsseldorf. Sonntagmittag begeistert die Sängerin Carolina Brauckmann mit „satirischen Lesbengesängen.“ Das Fazit der Autorin der Lila Distel: „Wenn ich mir mal wieder isoliert und verloren vorkomme, denke ich einfach daran, wie viele wir sind und wieviel Kraft, Phantasie und Lebensmut wir Lesben haben!“[5]
Sommer
Hetero- und homosexuelle Frauen demonstrieren von 1983 bis 1994 für mehrere Wochen im Sommer in den Frauenwiderstandscamps bei Reckershausen im Hunsrück. Aufgrund von negativen Erfahrungen in der geschlechtergemischten Friedensbewegung organisieren Frauen ihren eigenen Widerstand. Den Hunsrück als Ort des Widerstandes wählen die Aktivistinnen und Aktivisten der Friedensbewegung bewusst: Zum einen ist das US-Militär dort der größte Arbeitgeber, zum anderen sollen dort Ende des Jahres 1983 Raketen stationiert werden.
Die Frauen „halten Mahnwachen, übernachten an Bunkern, stören Fahnenweihen und Manöver, schneiden Absperrungszäune durch, besetzen Baukräne auf Militärgelände, sabotieren militärische Baustellen, blockieren Zufahrtsstraßen, überwinden Nato-Draht mit Teppichen, stellen Gedenktafeln an Kriegsgräbern auf, demonstrieren in Dörfern, produzieren Transparente und Flugblätter, sprühen Parolen im militärischen Absperrgebiet“ und vieles mehr. Dies hat es bisher in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Auch deswegen bekommen die Frauen große mediale Aufmerksamkeit. Nicht jeder darf auf das Gelände. Männern zum Beispiel ist der Zutritt verboten, weswegen nur Journalistinnen aus dem Camp berichten können.
Die vielen militanten Aktionen ziehen staatliche Repressionen nach sich. Im zweiten Jahr des Bestehens müssen Mitglieder aufgrund von „Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Nötigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt“ vor Gericht und werden mit Bußgeldern und Haft bestraft. Für viele Teilnehmerinnen wird durch das Camp der Traum vom „Frauenland“ Realität.[6] Lesben bringen „ihre Anliegen in die Camp-Diskussionen um feministische Theorie, Lebensformen und alltäglichen Widerstand ein.”[7]
Herbst
Vielerorts werden lesbisch-feministische Institutionen Opfer einer „Welle von Nazi-Drohungen.“ Der Wiesbadener Frauenbuchladen Sappho erhält die Nachricht „Kauft nicht bei Juden und Lesben“, Lillemor’s in München „Dachau mach die Tore auf, Münchner Lesben kommen im Dauerlauf“. Der Wuppertaler Frauenbuchladen Dröppel(fe)mina soll am 26. Oktober brennen, so die Ankündigung der Neo-Nazis. Die Wuppertalerinnen reagieren mit Gegenwehr und ca. 150 Frauen bewachen an dem besagten Abend den Laden. Der Anschlag bleibt aus. Die EMMA erstattet Anzeige und bekommt folgende Antwort von der Polizei: „Die rechtsgerichteten Gruppierungen neigen zu verbalen Rundschlägen, konkrete Aktionen sind selten.“ [8]
Oktober
Das Spinnboden Archiv zur Entdeckung und Bewahrung von Frauenliebe feiert sein zehnjähriges Bestehen.
3.-8. Oktober
„Frauenpolitik zwischen Traum und Trauma“, unter diesem Leitspruch startet die Sommeruniversität der Frauen.
Der Lesbenunrat – GRE(U)L gründet sich mit dem Ziel, lesbische Themen stärker in den Vordergrund zu rücken. Die Gruppe plant gemeinsam mit Lesben aus Berlin, Hamburg, München und Neu-Ulm, Veranstaltungen auf der nächsten Sommeruniversität von und für Lesben zu organisieren.[9]
17.-22. Oktober
Mitte Oktober treffen sich Lesben in Kassel zu ersten Lesbenwoche, um ein lesbisches Netzwerk aufzubauen. Noch existieren in der Stadt keine Lesbengruppen.
Die Lesbenwoche bietet ein vielseitiges Programm: Filme, Kabarett, Literatur, Diskussionsrunden zum „Versteckspiel von Lesben in Schule und Beruf“, zu „Lesbenbeziehungen“ und „Lesbischen Müttern“ sowie zur lesbischen Geschichte.[10]
24.-29. Oktober
Die Lesbenaktionsgruppe Göttingen (LAG), der Frauen-Asta und der Verein für soziale und pädagogische Arbeit e.V. organisieren die Göttinger Lesbenwoche. Die Frauen der LAG lernen sich im Jahr zuvor in einem VHS-Kurs kennen und planen im Anschluss an das Pfingsttreffen in Osnabrück eine Lesbenwoche in Göttingen.
„Da in Göttingen bisher Lesben wenig öffentlich in Erscheinung getreten sind, obwohl es natürlich auch bei uns eine Lesbenszene mit dem üblichen Clinch gibt, wollten wir über den Spaß hinaus für die Öffentlichkeit als Lesben unübersehbar werden.“ [11] Der Fokus der Göttinger Lesbenwoche liegt auf Kreativität und Selbsterfahrung, Selbstverteidigung, Massage, Fotografie, Theater, Sport sowie Diskussionsrunden zu Lesben und Sport und Lesben in der Kirche. Für musikalische Begleitung sorgt Carolina Brauckmann.[12]
4.-6. November
Unter dem Leitthema „Zusammenarbeit“ kommen ca. 50 Lesben zu einem regionalen Lesbentreffen in Frankfurt zusammen. Über die Zusammenarbeit mit Schwulen, Hetero-Frauen und Parteien wird in drei Arbeitsgruppen diskutiert.
Die Teilnehmerinnen einigen sich darauf, dass eine Zusammenarbeit mit Schwulen „für machbar gehalten wird“, letztendlich jede Lesbe für sich entscheiden muss, ob sie dies tun möchte. Die Zusammenarbeit mit Hetero-Frauen wird weiterhin befürwortet. Die Arbeitsgruppe „Zusammenarbeit mit Parteien“ kommt zu dem Ergebnis, dass eine Mitarbeit in den großen Parteien sinnvoll und notwendig ist. „Jedoch stellten die Frauen rasch fest, daß eine solche Arbeit wohl zum Kampf an allen Fronten würde“, da lesbische Frauen in den Parteien unterrepräsentiert seien.[13]
Der Lesbentaschenkalender erscheint. Er beinhaltet Adressen und Termine zu Veranstaltungen der Lesbenbewegung.
[1] Vgl.: Lesbenblicke 1990, S. 13 (PD-LE.11.21).
[2] Wozu Lesbenreferate. In: Courage, 4/1983, S. 64 (PD.LE.11.03).
[3] Enttäuscht von der Frauenbewegung. In: Frankfurter Rundschau vom 23.07.1983 (PD.LE.11.03).
[4] Unabhängigen Homosexuellen Alternative: Wer wir sind und was wir wollen, 1983, S.5-7 (LE.11.138).
[5] Bewegung. In: Lila Distel, 26/1983.
[6] Vgl.: Leidinger, Christiane: 11 Jahre Widerstand – Frauenwiderstandscamps in Reckershausen im Hunsrück von 1983 bis 1993, URL: https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/leidinger-frauenwiderstandscamp-reckershausen-hunsrueck.html Zuletzt besucht am: 07.12.2020.
[7] Dennert, Gabriele; Leidinger, Christiane; Rauchhut, Franziska: Die 80er Jahre in der BRD – (gegen) Herrschaftsverhältnisse. In: Dies.: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, S. 126-160, hier S. 128.
[8] Eine Welle von Nazi-Drohungen gegen Feministinnen. In: EMMA 12/1983, S. 4-5.
[9] Bischoff, Susanne: Bewegung-Frauen! Lesbenunrat. In: Lila Lotta, 11/1983 (PD.LE.11.03).
[10] Vgl.: Programm der Lesbenwoche (PD.LE.11.03).
[11] Programm Lesbenwoche Göttingen 24.-29.10.1983 (PD.LE.11.03).
[12] Vgl.: Programm Lesbenwoche Göttingen 24.-29.10.1983 (PD.LE.11.03).
[13] Vgl.: Regionales Lesbentreffen in Frankfurt. In: AZ vom Dezember 1983 (PD.LE.11.03).