Mit Jutta Oesterle Schwerin zieht 1987 das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands eine offen lesbische Politikerin für die Grünen in den Bundestag. Jutta Oesterle Schwerin ruft nach ihrem ersten Amtsjahr die Bundesarbeitsgemeinschaft Lesbenpolitik ins Leben, die sich für die Abschaffung des Ehegatten-Splittings und das Recht auf Adoption einsetzt. Über ihre Rolle sagt Oesterle-Schwerin „Ich repräsentiere vier Randgruppen auf einmal. Ich bin Jüdin, Frau, Linke und Lesbe.”[1]
23.-25. Januar
Die Frankfurterinnen veranstalten das Lesben-Film-Festival, auf dem sie an drei Tagen lesbische Filme zeigen. Ein viel gesehener Spielfilm innerhalb der Bewegung ist „Mädchen in Uniform“, in der Fassung von 1931 und auch das Remake mit Romy Schneider von 1958.
7.-8. Juni
Das Lesbenpfingsttreffen findet in Hamburg statt. Die Hamburger Lesben wollen mit dem Motto „Mehr Biss in die Bewegung” bringen und zu einer Auseinandersetzung über politische Inhalte anregen. Als musikalischer Gast ist unter anderem Carolina Brauckmann geladen, die mit ihren „Lesbengesängen“ bei den Teilnehmerinnen gut ankommt.
Von den inhaltlichen Diskussionen sind die Besucherinnen weniger begeistert: „Mit sicherem Gang – um den heißen Brei herum“ spottet eine, „Grausen statt dem Biß in der Bewegung,“ kommentiert eine andere.[2] Auch im Oktober auf der 3. Berliner Lesbenwoche wird eine Repolitisierung der Bewegung gefordert.
16. Juli
Verleihung des 1. Lesben-Literaturpreis in Hamburg. Erste Preisträgerin wird Traude Bührmann für ihren Roman „Flüge über Moabiter Mauern“, der von der Beziehung zwischen einer terroristischen Gefängnisinsassin und einer Berlinerin erzählt.[3]
Sommer
Die Deutsche Post verweigert das Versenden von 123.000 Werbebriefumschlägen für Beratung und Kurse zur Frauengesundheit des FFGZ – Feministischen Frauengesundheitszentrum, da auf diesen das Wort „Lesbe“ steht. Denn das FFGZ bietet ebenfalls Kurse „für Mädchen und Lesben“ an.
Die Post erklärt, dass eine solche Werbung gegen die „guten Sitten“ verstieße. Kinder könnten sie lesen oder „Professoren Anstoß nehmen.“ Das FFGZ will gegen diese Entscheidung klagen. Unterstützung bekommen sie von der Grünen-Politikerin Jutta Oesterle-Schwerin. Sie fordert, den Artikel 3 des Grundgesetzes zu erweitern: Niemand solle aufgrund sexueller Orientierung benachteiligt oder bevorzugt werden. Ihre Mitteilung ist klar und deutlich: „Natürlich geht es den Herren, die die Macht dazu haben, Lesben zu diskriminieren weder um Kinder noch um honorige Bürger, sondern nur um ihre eigenen Frauen. Da könnte ja schließlich jede kommen und einfach lesbisch werden, wenn der Mann nicht aufpaßt. Da fällt mir nur noch ein, die Macht der Schwänze hat ihre Grenzen – Frauen gemeinsam sind stark!“[4]
21.-29. August
Ende August findet die Kieler Lesbenwoche „Wir Le(s)ben“ statt. Rund 150 Lesben kommen zusammen. Ziel der Veranstaltung ist die „Demonstration von Präsenz, Gemeinsamkeit und Vielschichtigkeit.“[5]
3.-10. Oktober
Zur dritten Berliner Lesbenwoche kommen ca. 2.000 Frauen nach Westberlin. Und es wird hitzig diskutiert. Lesben mit Behinderung protestieren gegen ihre systematische Ausgrenzung innerhalb der Bewegung, da die wenigsten Treffen, Veranstaltungen und Gruppenräume barrierefrei zugänglich sind. Außerdem kritisieren sie, dass sie Aufgrund ihrer Behinderung für die meisten Frauen als (Sexual-)Partnerin nicht in Frage kommen.[6] Wie bereits im Jahr zuvor auf der 8.ILIS-Konferenz wehren sich viele gegen Rassismus und Diskriminierung, die sie innerhalb der Lesbenbewegung erlebt haben.
Ein Konflikt sorgt dieses Jahr für Aufruhr. Junge Berliner Lesben aus der Gruppe Kanalratten greifen die Wildwasserfrauen an, eine Selbsthilfegruppe von Frauen, die als Mädchen missbraucht oder vergewaltigt wurden. Die Kanalratten fordern freie Sexualität mit und für Kinder.[7] Daraufhin fordern viele die Auseinandersetzung mit dem Thema „Frauen als Täterinnen sexueller Gewalt“ und den Ausschluss der Kanalratten von Veranstaltungen. Ab Mai 1989 werden Gruppen wie die Kanalratten von Lesbentreffen grundsätzlich ausgeschlossen.[8] Ein Höhepunkt der Veranstaltung ist eine Lesbendemo durch Berlin, auf der Slogans wie „Lieber 1x mit Schneewittchen als 7x mit den Zwergen“ zu lesen sind.
24.Oktober
Der Deutsche Lesbenring und der Bundesverband Homosexualität veranstalten in Bremen eine Gedenkveranstaltung für die homosexuellen Opfer des NS-Regimes. Beide Verbände kritisieren auf der Veranstaltung die Bundesregierung dafür, eine Anerkennung homosexueller Opfer des Nationalsozialismus zu verweigern. Der Lesbenring hebt hervor, dass lesbische Frauen in „doppelter Weise“ zu vergessenen NS-Opfern gehören, da sie nicht unter dem „Rosa Winkel“ sondern unter der Kategorie „asozial“ verfolgt und interniert wurden. Die Verbände fordern neben einer Aufarbeitung der Geschichte eine Rehabilitation und Entschädigung für die lebenden homosexuellen KZ-Opfer. Ihre Ansage an die Bundesregierung ist klar und deutlich: „Wer die Unteilbarkeit des Respektes vor allen Opfern des Faschismus leugnet, betreibt die Fortsetzung der NS-Politik mit den denselben Mitteln!“ [9]
Herbst
Das von Frauen aus dem Umkreis beider Kirchen herausgebrachte Buch Hättest Du gedacht, dass wir so viele sind? Lesbische Frauen in der Kirche erscheint. Autorinnen sind Herta Leistner, Monika Barz und Ute Wild.
[1] Neues in der Liebe. Die Bonner Grünen sind uneins, wie sie das Thema Aids angehen sollen, in: Der Spiegel vom 23.März 1987, URL: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13523112.html Zuletzt besucht am: 07.12.2020
[2] Vgl.: Lesbenpfingsttreffen in Hamburg. Mehr Bewegung – aber wehe eine beißt…, in Dorn Rosa, Juli 1987. Lesbenpfingsttreffen in Hamburg 87, in: Krampfader, in PD.LE.11.05.
[3] Vgl.: Lesberatur. Der erste Hamburger Lesben-Literaturpreis wurde verliehen, in: Hamburger Frauenzeitung Nr.16/1987, S.6-7.
[4] Die Deutsche Bundespost diskriminiert Lesben, in: Lesbenstich Okt-Weihnachten, Nr.3, 1987.
[5] Vgl.: 1.Kieler Lesbenwoche, in: Dorn Rosa Oktober 1987.
[6] Vgl.: Dennert, Gabriele/ Leidinger, Christiane/ Rauchhut, Franziska: Die 80er Jahre in der BRD – (gegen) Herrschaftsverhältnisse, in: Dies.: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, S.126-160, hier S.135.
[7] Vgl.: Snippe, Gudrun: Die Dritte, in: Lila Lotta Nov.1987, S.10-11.
[8] Vgl. Dennert, Leidinger, Rauchhut: Kämpfe und Konflikte um Macht und Herrschaft – Lesbenbewegung in der BRD der 80er Jahre, in: Diess. [Hrsg.]: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S.126-159, hier S.147.
[9] Pressemitteilung 11/1987, in: Reader 1987, Hrsg.v. Lesbenring, S.1