Lesben wollen ein angstfreies Leben und organisieren sich.
Gruppen/ Netzwerke
Unabhängig davon, ob sie sich der Frauen- oder Schwulenbewegung zugehörig fühlen, entsteht ab 1972 mit dem Internationalen Pfingstreffen der HAW, zu dem ca. 30 lesbische Frauen kommen, eine bundesweite Vernetzung lesbischer Gruppen. In den darauffolgenden Jahren gründen sich Lesbengruppen in der gesamten Bundesrepublik. Sie verfolgen das Ziel, die Isolation von Lesben zu durchbrechen und eine rechtliche Gleichberechtigung zu erreichen.[1] Die Wege dazu sind vielfältig, sie betreffen die heterosexistische Kultur der Republik im Großen wie im Kleinen.
So reicht die HAW-Frauengruppe 1973 eine Beschwerde bei der Deutschen Bundesbahn ein. Anlass ist eine Werbeaktion: Das Sonderangebot „fahrt zusammen – spart zusammen“, mit dem Familien und Paare vergünstigt verreisen können, das aber nur heterosexuelle Paare einschließt. Die HAW kritisiert: „Sie schreiben von ‚Ehe- und anderen Paaren‘ und nennen Vater und Tochter bzw. Freund und Freundin. Daraus entnehmen wir, daß jeweils Paare entgegengesetzten Geschlechts zusammen fahren müssen, um in den Genuß der Fahrpreisermäßigung zu kommen. Ihnen ist sicherlich entgangen, daß es nicht wenige Paare gleichen Geschlechts gibt, die durch Ihre Aktion wiederum – wie so oft – diskriminiert werden.“[2]
Die Beschwerde bleibt erfolglos, denn es sei nicht möglich, so die Bahn „alle diese vielfältigen Anregungen“ aus dem Kundensektor für Rabattaktionen „in die Tat umzusetzen.“[3]
Die Homosexuellen Frauengruppe Münster hingegen verteidigt sich erfolgreich gegen ein Verbot der Stadt: Sie wollen vor dem Landesgericht in der Fußgängerzone einen Informationstisch aufstellen, die Stadt befürchtet „Werbung für Homosexualität.“ Vor Gericht setzt die Gruppe ihr Recht auf freie Meinungsäußerung durch. Neben den Pfingsttreffen, die bis heute stattfinden, treffen sich Lesben auch auf weiteren regionalen und überregionalen Veranstaltungen der Lesben- und Frauenbewegung. Gemeinsame Reisen, zum Beispiel nach Femø zum Internationalen Frauencamp, zum Lesbencamp nach Sanguinet in Frankreich oder in das Weihnachtslager im Odenwald ermöglichen Wege aus der Isolation und den Aufbau (internationaler) Netzwerke.
Kleinstadt vs. Großstadt
Zu Beginn der 1970er Jahre entstehen lesbische Gruppen und Netzwerke hauptsächlich in größeren Städten und es gestaltet sich als schwierig, Lesben in Kleinstädten und auf dem Land zu erreichen. Die Lesbengruppen in den Großstädten sind oft besser organisiert, verzeichnen mehr Mitglieder und können deshalb auch eine höhere Aktivität entfalten als Gruppen in Kleinstädten oder in der Provinz. Das wirkt sich auch auf die Spuren aus, die heute von Aktionen und Initiativen der Bewegung erzählen: Von Großstadtgruppen existieren weitaus mehr Zeugnisse der Vergangenheit, und ihre Geschichte lässt sich somit besser festhalten.
Im ersten Rundbrief für Lesben, der 1975 verschickt wird, berichten mehrere Lesbengruppen über ihre Arbeit. In den Berichten werden die Unterschiede lesbischer Gruppen in Groß- und Kleinstädten deutlich. So sind die Frankfurterinnen organisatorisch groß genug, um ein eigenes Lesbenzentrum zu betreiben, während Lesben aus Karlsruhe Schwierigkeiten haben, eine eigene Gruppe zu gründen.[4]
1975 bemühen sich gleich zwei Veranstaltungen darum, Lesben außerhalb der Großstädte zu erreichen: Das Kleinstadt Lesbentreffen im Februar in Heidelberg und das Schwarzwald-Lesbentreffen im Oktober. Beide Treffen sollen dazu dienen, mehr Lesben zu erreichen sowie gezielt ein Netzwerk von Kleinstadtlesbengruppen aufzubauen.[5] Zudem wollen sie mehr Lesben aus der Isolation heraushelfen, was der Schwarzwald-Gruppe leider nicht gelingt. Die Organisatorinnen glauben, dass der „Bewußtseinsstand einer überwiegend katholischen Gegend“ dazu führe, dass viele Frauen einem solchen Treffen fernbleiben.[6]
Nach und nach etablieren sich durch mehr Sichtbarkeit von Homosexualität in der Gesellschaft auch in Kleinstädten und in der Provinz Lesbengruppen. Öffentliche Einrichtungen, wie zum Beispiel die Volkshochschule Nürnberg, bieten Gesprächskreise für Homosexuelle an, wodurch Lesben „[…] auch unseren Platz haben, vorhanden sind, sichtbar und auffindbar für andere.“[7]
Bundesweite Treffen
Bundesweite Versammlungen etablieren sich seit den frühen 1970er Jahren als Basis der Bewegung. Hier werden wichtige Themen diskutiert und die Weichen für Richtungsentscheidungen gestellt. Außerdem entstehen nach und nach festere Strukturen. Für diese Entwicklung spielt das Lesbenpfingsttreffen eine zentrale Rolle. Seit 1972 veranstaltet die Homosexuellen Aktion Westberlin jährlich die Zusammenkunft. 1974 findet die Veranstaltung erstmals ohne die schwulen Männer statt.[10] Fünf Jahre später wird das Lesbenpfingsttreffen, wie es seit 1976 heißt, zum ersten Mal nicht mehr in Berlin, sondern in Münster veranstaltet. Die Berlinerinnen haben das Treffen in den vergangenen Jahren hauptsächlich allein organisiert und brauchen nun eine Pause. Bis heute existiert das Event, seit 1991 unter dem Namen Lesbenfrühlingstreffen, und findet jedes Jahr in einer anderen Stadt statt. Im Laufe der Jahre etablieren sich weitere wichtige Termine, wie regionale Lesbenwochen, Sommercamps und internationale Treffen. Dabei wird auf den Treffen nicht nur diskutiert, gestritten und organisiert, sondern auch ausgiebig gefeiert, wie zum Beispiel 1985 in Hamburg. „Die Stimmung war so gelöst, daß sich die Frauen zum Teil ihrer T-Shirts entledigten. Dieses Bild von Frauen mit nacktem Oberkörper vermittelte ein Gefühl von Einheit und Stärke.“[11]
Die Lesbentreffen sind allerdings nicht nur ein Symbol von Einigkeit. Viele Frauen sehen sich auf den Treffen schon bald nicht mehr repräsentiert. Die konfliktreich ausgetragenen Antisemitismus- und Rassismus-Debatten führen in den 1980er Jahren dazu, dass sich verstärkt jüdische, schwarze und migrierte Lesben von den bundesweiten Lesbentreffen zurückziehen und eigene Events veranstalten.[12] Das erste Bundestreffen afro-deutscher Lesben findet im Januar 1988 statt.[13]
Der Deutsche LesbenRing
In den 1980er Jahren wächst der Wunsch nach einer stärkeren Institutionalisierung: „[…] wir [müssen] uns eine Lobby schaffen, um das Recht auf ein angstfreies Leben auch für uns durchzusetzen.“[14] So formuliert es der Deutsche LesbenRing, der 1982 in Osnabrück als eingetragener Verein gegründet wird. Zusätzlich will er die Vernetzung der lesbischen Gruppen sowie die Vertretung der lesbisch-feministischen Interessen voranbringen, „um politischen Forderungen mehr Gewicht zu verleihen”. [15] Die Organisation arbeitet bundesweit und verfolgt Ziele, wie die Finanzierung von Projekten, die Durchführung von Treffen, Presse- und Medienarbeit, Pflege der lesbischen Kultur, Ausbau von Regionalgruppen und die Durchsetzung von politischen Zielen, wie der rechtlichen Gleichstellung von Homosexuellen. Drei Jahre nach der Gründung wird der Verein in einen Dachverband umgebaut.[16] Nun können neben Einzelpersonen auch Gruppen eintreten.[17] Der Lesbenring existiert bis heute. Im Fokus der Arbeit steht die Verhinderung von Gewalt gegen Lesben und der Kampf gegen Lesbophobie.[18] Über die Arbeit des Lesbenrings informiert ab 1982 das Infoblatt, das dazu beiträgt, ein „funktionierendes Kommunikationsnetz“[19] aufzubauen.
Vernetzung durch Lesbenzeitschriften
Zeitschriften spielen seit Mitte der 1970er Jahre eine wichtige Rolle für Informationsfluss, Organisation und Kultur der Lesbenbewegung. Sie sind in den 1970er Jahren das „Forum für lesbische Interessen.“[20]
1975 gründen sich gleich zwei Lesbenzeitschriften, die zu einer eigenständigen Organisation und Kultur beitragen. Unsere kleine Zeitung der Berliner Gruppe „L74″ erscheint in einer Auflage von 200 Exemplaren im Januar. Im Monat darauf folgt die Lesbenpresse des Lesbischen Autonomen Zentrums, ebenfalls aus Berlin. Die Zeitschriften informieren über bundesweite Veranstaltungen, berichten von den Lesbenpfingsttreffen, diskutieren über Literatur und fokussieren auf feministische Themen aus lesbischer Perspektive.
Neben der Selbstorganisation geht es den Zeitungsmacherinnen auch darum, der diffamierenden Berichterstattung über Lesben in der deutschen Mainstreampresse etwas entgegenzusetzen. Das hatte zum Beispiel der mediale Rummel um den Mordprozess gegen Judy Andersen und Marion Ihns gezeigt.
Dabei verfolgen verschiedene Zeitschriften unterschiedliche Ziele. Die Lesbenpresse versteht sich als ein politisches Medium und sieht ihre Aufgabe in der Stärkung der feministisch-lesbischen Gegenkultur. Man wolle „revolutionäres Potenzial vernetzen.” Lesbisch sein wird in der Lesbenpresse als politische Kategorie verstanden, um gegen patriarchale Herrschaft zu kämpfen.[21] In den folgenden Jahren erscheinen weitere Lesbenzeitschriften, wie Lesbenstich oder K(r)ampfader aus Kassel und viele weitere. Die Zeitschriften spiegeln die Vielfalt der Lesbenbewegung in diesen Jahren wider.
Fazit und Ausblick
Lesbenpolitik wird in den 1980er Jahren zum zentralen Leitmotiv der Bewegung. Nachdem sich Organisationstrukturen und kulturelle Lesbenvielfalt gefestigt haben, konzentrieren sich die
Aktivistinnen darauf, die rechtliche Gleichstellung von lesbischen Frauen zu erreichen. Die Politikerin Jutta Oesterle Schwerin, die als erste offene lesbische Frau 1987 für die Grünen in den Bundestag einzieht, wird zur politischen Hoffnungsträgerin. Bis zur rechtlichen Gleichstellung dauert es aber noch viele Jahre. Die Projekte der autonomen Lesbenbewegung der 1970er und 1980er Jahre erleben vielerorts den Aufbruch der Wiedervereinigung nicht mehr.
1994 wird endlich der § 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. 2001 tritt das Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft, welches homosexuellen Paaren ermöglicht, ihrer Beziehung einen rechtlichen Rahmen zu geben. Ein wichtiger Meilenstein in der Anerkennung der Rechte von Homosexuellen wird am 1. Oktober 2017 erreicht. Seitdem können homosexuelle Paare staatlich und kirchlich heiraten.
[1] Homosexuellen Aktion München: Von den Frauen: An die Frauen, FB.04.140.
[2] Homosexuelle Aktion Westberlin Frauengruppe: Eine ist keine – Gemeinsam sind wir stark, HAW-Frauen, Dokumentation, S.69.
[3] Homosexuelle Aktion Westberlin Frauengruppe: Eine ist keine – Gemeinsam sind wir stark, HAW-Frauen, Dokumentation, S.72.
[4] Rundbrief für Lesben Nr.1 1975, S.4-5.
[5] Unsere Kleine Zeitung, Nr.10/1975, S.3 und: Lesbenpresse, Nr. 2/1975, S. 23.
[6] Unsere Kleine Zeitung, Nr.10/1975, S.3.
[7] Courage 9/81.
[8] o.A.: Voll daneben. Eine Podiumsdiskussion zum Mißstand der Lesbenbewegung, in PD.LE.11.03.
[9] Lenz,Ilse (Hrsg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden 2008, S.1016.
[10] Dokumentation Internationales Lesbentreffen 1972-1975, S.85.
[11] Lesben Pfingsttreffen Hamburg 24.5-27.5.85, in FAMM, Sommer 85, in PD.LE.11.03 und: Von den Lesben vom Lesbenhof: Lesbenhof Oberpfaffing – Auch eine Chance, in: Schäfer, Anke/ Lahusen, Kathrin [Hrsg.]: Lesbenjahrbuch 1. Rücksichten auf 20 Jahre Lesbenbewegung, Wiesbaden 1995, S.239-245, hier S.239.
[12] Dennert, Gabriele/ Leidinger, Christiane/ Rauchhut, Franziska: Die 80er Jahre in der BRD – (gegen) Herrschaftsverhältnisse, in: Dies.: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, S.126-160, hier S.133.
[13] Dennert, Gabriele/ Leidinger, Christiane/ Rauchhut, Franziska: Die 80er Jahre in der BRD – (gegen) Herrschaftsverhältnisse, in: Dies.: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, S.126-160, hier S.133.
[14] FB.04.123. Information des Deutschen LesbenRings e. V.
[15] https://www.lesbenring.de/der-lesbenring/
[16] LesbenRing e.V.: Bundesweite Lesbenorganisation – Eine Utopie? in: Vorbereitungsgruppe Lesbenwoche [Hrsg.]: „Mit allen Sinnen leben“ Dokumentation der 1. Berliner Lesbenwoche 26.10-2.11 1985, Berlin 1986, S.164-168, hier S.168.
[17] Lesbenring e.V.: Bundesweite Lesbenorganisation – Eine Utopie? in: Vorbereitungsgruppe Lesbenwoche [Hrsg.]: „Mit allen Sinnen leben“ Dokumentation der 1. Berliner Lesbenwoche 26.10-2.11 1985, Berlin 1986, S.164-168, hier S.165.
[18] https://lesbenring.de/lesbenthemen/
[19] FB.04.123. Information des Deutschen LesbenRings e. V.
[20] Dokumentation Internationales Lesbentreffen 1972-1975, S.3.
[21] Fieseler, Franka: Vernetzte Netze – vielfältige Foren. Zur Geschichte lesbisch-feministischer Zeitschriften in Deutschland, in: Susemichel, Lea/ Rudigier, Saskya/ Horak, Gabi [Hrsg.]: Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestreams, Königstein/ Taunus 2008, S.134-150, hier S. 139.