Sie kämpfte für das Ende des Hausfrauenehe und setze sich als Juristin unermüdlich für eine gleichberechtigte Gesetzgebung vor allem im Familienrecht ein: Barbelies Wiegmann gehörte zu den Pionierinnen der Abschaffung und Änderung von Gesetzen, die Frauen diskriminierten. Im Zeitzeuginnen-Interview erzählt sie von ihrem Kampf – und ihrer Zeit bei den Bonner Blaustrümpfen.
Ein Satz änderte ihre Perspektive: Als Studentin hörte Barbelies Wiegmann in den 1950er Jahren Marie Lüders bei einer Veranstaltung des Deutschen Juristinnenbundes sprechen. “Wenn die Männer keine besseren Gesetze machen können, sollen sie es lassen“, so erinnerte sich Wiegmann im Interview noch Jahrzehnte später an Lüders Worte.[1] Ihre beruflichen und familiären Erfahrungen nach dem Studium öffneten ihr dann endgültig die Augen. Die Versorgung ihrer eigenen Kinder und ihres Ehemanns neben der Tätigkeit als Anwältin sowie die Lage vieler ihrer Klientinnen, die als Hausfrauen bei Scheidung und Trennung aufgrund ihrer existentiellen Abhängigkeit vom Ehemann in eine oft ausweglose Lage gerieten, öffneten ihr die Augen für die Diskriminierung von Frauen im Recht und im Alltag. Sie spezialisierte sich fortan auf das Familienrecht.
Obwohl der Gleichberechtigungsgrundsatz nach langem Kampf seit 1949 endlich im Grundgesetz stand, war die bundesdeutsche Gesetzgebung bei weitem nicht gleichberechtigungskonform, auch deshalb, weil die regierende CDU die für die Angleichung angesetzte Frist immer wieder verstreichen ließ. Der Mann galt deshalb nach wie vor als Familienoberhaupt und konnte per Gesetz über seine Familie verfügen.[2] Die Ehefrau musste eventuelles Vermögen an ihren Mann abgeben und ihre Berufstätigkeit beim Eintritt in die Ehe aufgeben, wenn der Mann dies forderte. Die Wiederaufnahme einer Lohnarbeit nach der Heirat war von der Erlaubnis des Ehemannes abhängig. Die Ehefrau verlor auch das Recht an ihrem eigenen Körper. Das bedeutete unter anderem, dass sie immer sexuell verfügbar sein musste und der Ehemann sich das Recht auf Beischlaf auch mit Gewalt nehmen durfte. Auch zur Hausarbeit waren Ehefrauen nach wie vor gesetzlich verpflichtet.
Bei einer Scheidung, die bis zur Reform des Ehe- und Familienrechts 1976/77 nach dem Schuldprinzip erfolgte, wurde oft zugunsten des Mannes entschieden. Auch nach der Reform blieben Frauen benachteiligt. Im Fall einer Scheidung standen sie häufig ohne Ersparnisse, Rentenansprüche oder der Garantie auf Unterhaltszahlungen und mit dem alleinigen Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder da – und mussten sich und ihre Kinder mit einer schlecht bezahlten Erwerbsarbeit über Wasser halten.[3] Das normalisierte Modell der Hausfrauenehe sah die Anwältin deshalb als „trügerische Existenzgrundlage“[4] an. „Ich hab gemerkt, wie eigentlich die Rechtslandschaft aussah für Frauen. (…) Vor allen Dingen bei Trennung und Scheidung, wo ich sah, dass die Frauen, die (…) den Kindern zuliebe zu Hause geblieben waren, keinen Beruf ausgeübt oder den Beruf aufgegeben hatten – bei einer Scheidung ganz schlimm dastanden. (…) Oft waren sie auf Sozialhilfe angewiesen. Ich habe mich da wirklich sehr für Frauen eingesetzt, und zwar aus vollem Herzen, weil ich das so ungerecht fand“, erinnerte sie sich im Interview.[5]
Über diese Gefahr klärte sie unermüdlich auf. So verfasste sie zahlreiche Beiträge für die feministische Zeitschrift EMMA, die Frauen über die Rechtslage informierten, unter anderem zu den Themen Ehevertrag, Scheidung und Namensrecht. [6]
1980 erschien Wiegmanns Klassiker: ihr Plädoyer für das „Ende der Hausfrauenehe“. Hierin ließ sie Frauen zu Wort kommen, die Opfer des Rechtssystems geworden waren. Denn trotz der verbesserten Rechtslage, so Wiegmann, sei es zu risikoreich, „der Familie zuliebe“[7] den Beruf aufzugeben und nicht auf eigenen Füßen stehen zu können. Ihr Alternativvorschlag: „eine Partnerschaft, in der Frau und Mann sowohl für Beruf als auch für Kinder und Haushalt in gleichem Umfang zuständig sind.“[8]
Mehr über Barbelies Wiegmann.
Mehr zum Thema [Recht und Rechtsprechung].
[1] P20-Wieg-01, Interview mit Barbelies Wiegmann, Transkript, S. 2.
[2] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Mütter des Grundgesetzes, 2023, S. 5.
[3] FMT, AR.07.026 Wiegmann, Barbelies: Ende der Hausfrauenehe. Plädoyer gegen eine trügerische Existenzgrundlage, Hamburg: Rowohlt, 1980, S. 7.
[4] FMT, AR.07.026 Wiegmann, Barbelies: Ende der Hausfrauenehe. Plädoyer gegen eine trügerische Existenzgrundlage. Rowohlt 1984.
[5] P20-Wieg-01, Interview mit Barbelies Wiegmann, Transkript, S. 5.
[6] Wiegmann, Barbelies: Frauenrecht. Die neue Scheidung, in: EMMA 1977, Nr. 8, S. 42; Wiegmann, Barbelies: Frauenrecht. Wer hat Recht auf Unterhalt?, in: EMMA 1978, Nr. 2, S. 40; Wiegmann, Barbelies: Frauenrecht. Das neue Namensrecht, in: EMMA 1977, Nr. 5, S. 14.
[7] FMT, AR.07.026 Wiegmann, Barbelies: Ende der Hausfrauenehe. Plädoyer gegen eine trügerische Existenzgrundlage, Hamburg: Rowohlt, 1980, S. 7.
[8]FMT, AR.07.026 Wiegmann, Barbelies: Ende der Hausfrauenehe. Plädoyer gegen eine trügerische Existenzgrundlage, Hamburg: Rowohlt, 1980, S. 8.