Um den Männernetzwerken in Politik(-wissenschaft) etwas entgegenzusetzen, gaben Wissenschaftlerinnen ab 1992 den Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen heraus. Die Fachzeitschrift bringt als Femina Politica bis heute feministische Perspektiven in die Politik.
Der Aufbau des Netzwerks und der erste Rundbrief
„Vor langer Zeit, nämlich vor 1 ½ Jahren, begab es sich, daß Politikwissenschaftlerinnen aus Berlin zusammensaßen und wieder einmal über Diskriminierungen und mangelnde Koordination/Information/Vernetzung/Ressourcen klagten. Glücklicherweise, ja es ist wie im Märchen, verlockte uns eine holde Fee [Brigitte Young] mit viel Frauenpower und amerikanischen Frauenlobbyismuserfahrungen zur Tat.“[1] So märchenhaft begann der erste Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe ‚Politik und Geschlecht‘ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW), der im Februar 1992 erschien. Der Aufbau des Netzwerks und die Herausgabe der Zeitschrift waren das Ergebnis der Bemühungen einer Gruppe von Politikwissenschaftlerinnen am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, Politologinnen zu vernetzen.[2]
Petra Schäfter, eine der Gründerinnen des Netzwerks und des Rundbriefs, beschreibt die 1980er-Jahre als eine Aufbruchzeit für Frauen an der Universität. Die Struktur sei damals insbesondere auf der Ebene der MitarbeiterInnen und ProfessorInnen sehr männerdominiert gewesen, wobei es unter den Studierenden sehr viele engagierte Frauen gegeben habe. Auch die DVPW war „ein ausgesprochen männerdominierter Verein, ebenso die Themen“, ergänzt die Mitherausgeberin des Rundbriefs und langjähriges Redaktionsmitglied Brigitte Geißel in der Rückschau[3]. In dieser Zeit bildeten sich erste Gruppen, die sich unter anderem für eine Frauenforschungsprofessur einsetzten.[4]
In einem nächsten Schritt gründeten Studentinnen und Dozentinnen Lektüregruppen. Sie diskutierten gemeinsam feministische Grundlagentexte und setzten sich mit anderen Frauen mit politikwissenschaftlichen Fragen auseinander.[5]
Schließlich gründete die Berliner Gruppe das ‚Netzwerk politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen‘, um Frauen aus der ganzen Republik zusammen zu bringen, einen engen Austausch zwischen Theorie und Praxis zu ermöglichen und dadurch wissenschaftliche und ökonomische Perspektiven für Frauen in der Politikwissenschaft zu schaffen.[6]
Damals wie heute wurde bei Kritik an der fehlenden Frauen-Repräsentation in der Öffentlichkeit oft argumentiert, dass man zwar gerne Frauen zu Podiumsdiskussionen, Konferenzen und ähnlichen Veranstaltungen einladen würde, es aber leider keine passenden Kandidatinnen gebe. Deshalb war ein wichtiges Projekt des Netzwerks die Entwicklung einer Datenbank, die die Kontaktdaten und Arbeitsschwerpunkte von politikwissenschaftlich und politisch arbeitenden Frauen zusammenfasste.[7] Die Datenbank ermöglichte die gezielte Abfrage potenzieller Bewerberinnen auf Stellenausschreibungen sowie möglicher Referentinnen an bestimmten inhaltlichen oder regionalen Arbeitsgruppen.[8]
Außerdem verankerten die Frauen feministische Perspektiven in den Wissenschaftsorganisationen und Fachgesellschaften. So gründeten sie die Gruppe ‚Politik und Geschlecht in der deutschen Gesellschaft der Deutschen Vereinigung der Politikwissenschaft‘ anlässlich der Jahrestagung der DVPW im Oktober 1991 und veranstalteten den Workshop „Staat aus feministischer Sicht“.[9] Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Arbeitskreis zur festen Sektion in der Fachgesellschaft DVPW.
Der Rundbrief diente als Organ des Netzwerks und der Informationsvermittlung und Vernetzung seiner Mitglieder. Die Herausgeberinnen wollten mit ihm über das aktuelle Geschehen in der (feministischen) Politikwissenschaft informieren, Diskriminierungserfahrungen als Politikum thematisieren und inhaltliche Diskussionen beginnen und weiterführen.[10] Er informierte zudem über die verschiedenen Initiativen des Netzwerks. Die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer erinnerte sich an „[Die] Freude und Lust, mit der wir damals debattierten“.[11] Die ersten Jahre in der Redaktion stellten für die Wissenschaftlerinnen einen aufregenden Aufbruch in neue Gefilde dar.[12]
Der Rundbrief als Forum für Information und Diskussion
Die Zeitschrift erschien zweimal jährlich zu Semesterbeginn und konnte für einen Jahresbeitrag von 20 DM abonniert werden.[13] Der Aufbau der Hefte orientierte sich weitgehend an wissenschaftlichen Publikationsgepflogenheiten: Neben einem Schwerpunktthema informierten weitere Rubriken über Aktivitäten der ad-hoc-Gruppe, Berichte aus dem Netzwerk und den Regionalgruppen, Neues aus Lehre und Forschung, Tagungsberichte, Rezensionen und Ankündigungen und Infos.[14]
Die Rubriken „Aktivitäten“ und „Netzwerk-News“ dienten dazu, die LeserInnen über die Initiativen und Projekte der Gruppe zu informieren. Neben der Dokumentation der eigenen Aktivitäten sollte der Rundbrief auch über neue Entwicklungen an den Hochschulen informieren. Die Rubrik „Neues aus Lehre und Forschung“ berichtete beispielsweise über die Einrichtung neuer Studiengänge oder stellte den Anteil von Frauen an Stipendien der Begabtenförderungswerke dar.[15] Weitere Rubriken boten einen Überblick über nationale und internationale Konferenzen, Rezensionen von Neuerscheinungen und Ankündigungen von Tagungen.[16] In jedem Heft sollte ein politikwissenschaftliches Schwerpunktthema möglichst kontrovers diskutiert werden. „Die Themen entstanden quasi ‚von selbst‘, über Vorschläge einzelner Frauen, die häufig zu den Themen arbeiteten,“ erinnert sich Brigitte Geißel.[17] Die erste Ausgabe thematisierte das Verhältnis von feministischer Politikwissenschaft und Frauenbewegung.[18] Andere Hefte befassten sich mit Themen wie Rechtsextremismus und Rassismus[19] oder mit der feministisch-politologischen Lehre und Forschung in der Bundesrepublik[20]. Die Redaktion reagierte mit ihrer Themenwahl immer auf aktuelle Entwicklungen und Debatten.[21] Im Jahr 1994 wurde die Rubrik Tagespolitik ergänzt. Hier sollten Themen besprochen werden, die in den Tageszeitungen nicht ausreichend oder gar nicht behandelt wurden. So wurde im ersten Beitrag dieser Rubrik die Rede der kurdischen Politikerin Leyla Zana dokumentiert.[22]
„Die Tage des Rundbriefes sind gezählt.“[23]
Im Jahr 1997 ging aus dem Rundbrief die professionell erscheinende Femina Politica – Zeitschrift für feministische Politik-Wissenschaft hervor, die damit zur Fachzeitschrift wurde und bis heute erscheint. So wurde Raum für feministische Perspektiven in der Politikwissenschaft geschaffen – denn diese fanden in den Fachmedien so gut wie keine Berücksichtigung.[24] Ermutigt von dem Erfolg der ersten Jahre hatten Mitglieder des Arbeitskreises mit der Konzeption dieser im deutschsprachigen Raum einzigartigen Zeitschrift begonnen.[25] Der neue Name verweise darauf, so die Gründerin Petra Schäfter, dass sich Frauen den politischen Raum zurückerobern wollten, aus dem man sie im Laufe der Geschichte verdrängt habe.[26]
Vom Selbstverlag zum Profi-Druck
Die Femina Politica zeichnet bis heute eine hohe Kontinuität der Mitarbeiterinnen aus: So war zum Beispiel die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Gabriele Abels über 27 Jahre lang Teil der Redaktion.[27] Bis in die 2000er-Jahre hinein erschien die Zeitschrift im Selbstverlag. Gabriele Wilde berichtete im Jahr 2000: „Wir tragen noch immer Zeitschriften von der Druckerei ins Otto-Suhr-Institut, fahren sie danach selber zur Poststelle.”[28] Ab 2005 änderte sich das: Nun erschien die Femina Politica im Verlag Barbara Budrich und die Redakteurinnen konnten sich ganz der Redaktionsarbeit widmen.[29]
Die Zeitschrift erhielt von Beginn an zahlreiche LeserInnenbriefe, Beiträge und Hinweise, für die Redaktion ein willkommenes Zeichen des lebhaften Interesses. Außerdem gab die Kritik den Herausgeberinnen einen Professionalisierungsschub.[30] Auch die Präsenz der Femina Politica auf Kongressen der Fachtagungen[31] und die Veröffentlichung von Beiträgen international renommierter ForscherInnen führten mit der Zeit zu einer wachsenden Bekanntheit und Anerkennung.[32] 1999 wurde sie schließlich mit dem Margherita-von-Brentano Preis ausgezeichnet.[33]
25 Jahre Rundbrief und Femina Politica
Mittlerweile gibt es die Femina Politica seit 25 Jahren und es sind insgesamt über 50 Hefte erschienen. Im Laufe der Zeit behandelte die Redaktion Themen aus klassischen Politikfeldern wie Innen- und Außenpolitik ebenso wie Themen, die Grenzgebiete etablierter Politikwissenschaft um feministische Perspektiven erweiterten, wie zum Beispiel Digitalisierung[34] und Gesundheit.[35]
Anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens resümierte die Redaktion, dass sich zwar das Äußere der Zeitschrift im Laufe der Zeit verändert habe, aber das (wissenschafts-)politische Ziel das gleiche geblieben sei. Man wolle auch in Zukunft weiterhin „kritischem Denken Raum […] geben“[36] und „in den politikwissenschaftlichen und politischen Mainstream“[37] intervenieren.
Autorin:
Svenja Hubbeling schließt derzeit ihr Masterstudium der Public History an der Universität zu Köln ab. 2022 hat sie ein Praktikum im FrauenMediaTurm – feministisches Archiv und Bibliothek absolviert.
Veröffentlicht im DDF-Portal am 22.04.2024.
[1] Editorial, in: Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 1. Jg., 1992, H. 1, S. 5‒7, hier S. 5.
[2] Ebenda.
[3] Geißel, Brigitte: E-Mail an Autorin, 09.02.2023.
[4] Brunnauer, Cornelia/Bruckner, Sabine: FEMINA POLITICA. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft. Im Gespräch mit Petra Schäfter, einer der Gründungsfrauen in Berlin, in: Gender Studies. Zeitschrift des Zentrums für Gender Studies und Frauenförderung der Universität Salzburg, 15. Jg., 2016, Nr. 33, S. 38‒42, hier S. 38.
[5] Ebenda.
[6] Ebenda, S. 39.
[7] Ebenda, S. 40.
[8] Das Netzwerk politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der Arbeitskreis „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, in: Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 5. Jg., 1996, H. 2, S. 127‒130, hier S. 130.
[9] Editorial, in: Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 1. Jg., 1992, H. 1, S. 5‒7, hier S. 5.
[10] Ebenda, S. 6.
[11] Birgit, Sauer: Engel der Geschichte. Ein Rückblick über die Zukunft feministischer Politikwissenschaft. Festrede anlässlich des Symposiums „Kritischem Denken Raum geben. 20 Jahre Femina Politica, in: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politik-Wissenschaft, 26. Jg., 2017, H. 2, S. 117‒127, hier S. 121.
[12] Ebenda
[13] Editorial, in: Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 1. Jg., 1992, H. 1, S. 5‒7, hier S. 6.
[14] Ebenda.
[15] Neues aus Lehre und Forschung, in: Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 1. Jg., 1992, H. 1, S. 15‒17, hier S. 15.
[16] Telefonat mit Petra Schäfter, 16.12.2022.
[17] Geißel, Brigitte: E-Mail an Autorin, 09.02.2023.
[18] Ruf, Anja/Holland-Cunz, Barbara: Zum Verhältnis von feministischer Politikwissenschaft und Frauenbewegung, in: Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 1. Jg., 1992, H. 1, S. 28‒30.
[19] Schwerpunkt. Rechtsextremismus/Rassismus, in: Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 2. Jg., 1993, H. 2, S. 28‒63.
[20] Schwerpunkt. Feministisch-Politologischer Lehre und Forschung in der Bundesrepublik. Gibt es das?!, in: Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 2. Jg., 1993, H. 1, S. 39‒72.
[21] Telefonat mit Petra Schäfter, 16.12.2022.
[22] Editorial, in: Rundbrief des Netzwerks politikwissenschaftlich und politisch arbeitender Frauen und der ad-hoc-Gruppe „Politik und Geschlecht“ in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, 3. Jg., 1994, H. 2, S. 3‒4, hier S. 4.
[23] Abels, Gabriele / Wilde, Gabriele: Die Tage des Rundbriefes sind gezählt. Es lebe Femina Politica, in: Politik der Medien und Medien in der Politik. Mediokratischer Backlash oder Neue Medien als brachliegendes Emanzipationspotential, Berlin 1996, S. 14‒16.
[24] Geißel, Brigitte: E-Mail an Autorin, 09.02.2023.
[25] Editorial, in: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politik-Wissenschaft, 26. Jg., 2017, H. 1, S. 7‒10, hier S. 7.
[26] Brunnauer, Cornelia/Bruckner, Sabine: FEMINA POLITICA, S. 41.
[27] Telefonat mit Prof. Dr. Gabriele Abels, 19.12.2022.
[28] Freie Universität Berlin, https://www.fu-berlin.de/presse/artikelarchiv/2000/000401_femninna_politica/index.html.
[29] Editorial, in: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politik-Wissenschaft, 26.Jg., 2017, H. 1, S. 7‒10, hier S. 8.
[30] Telefonat mit Petra Schäfter, 16.12.2022.
[31] Telefonat mit Prof. Dr. Gabriele Abels, 19.12.2022.
[32] Telefonat mit Petra Schäfter, 16.12.2022.
[33] Der Margherita-von-Brentano Preis der Freien Universität Berlin würdigt Projekte im Bereich von Frauen- und Geschlechterstudien. Freie Universität Berlin, 01.04.2000: Margherita-von-Brentano Preis 1999 für Femina politica, Zugriff am 12.12.2022 unter https://www.fu-berlin.de/presse/artikelarchiv/2000/000401_femninna_politica/index.html.
[34] Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politik-Wissenschaft, 23. Jg., 2014, H. 2.
[35] Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politik-Wissenschaft, 18. Jg., 2009, H.1., s. a. Lepperhoff, Julia: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, in: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 26, H. 3, 2013, S. 34‒37, hier S. 34.
[36] Editorial, in: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, 26. Jg, 2017, H. 1, S. 7‒10, hier S. 8.
[37] Ebenda.