Hedwig Dohm, 1896
Julius Duboc fällt in dem Aufsatz „Die äusserste Linke der Frauenbewegung“ (in ZUKUNFT vom 15. Febr. 1896) ein abfälliges Urteil über die modernen Frauenbestrebungen. Ich möchte einiges darauf erwidern. Aufsätze wie der von Duboc können der Frauenwelt nur willkommen sein. Sie nützen ihr mehr als die lauen Konzessionen, die gemäßigte Gegner der Frauenbewegung neuerdings zu machen pflegen. Jenes Reichstagsmitglied des Zentrums, das die othodoxesten Folgerungen aus der Umsturzvorlage zog, hat mehr zu ihrem Sturz beigetragen als die kühnsten sozialistischen Argumente.
Drei Punkte sind es, ziemlich unwesentliche, scheint mir, die Julius Duboc mit den Pfeilen seines Spottes zu treffen sich bemüht. Gleich am Anfang macht er sich lustig über die Frauenversammlungen, die gleich den Parlamenten, als Rechte und Linke mit einander streiten. Ist Duboc ein Denker? Das heisst, er brauchte gar kein Denker zu sein, um bemerkt zu haben, dass bei jeder sozialen oder politischen Bewegung eine Rechte und eine Linke sich bildet, – nicht als ein unvermeidliches Übel, sondern als ein notwendiger Faktor, ein Perpendikel, das in dem Uhrwerk der Kultur ein Vorgehen oder Nachgehen verhütet. Die Rechte im Parlament, ohne die Linke gedacht, würde einer chinesischen Mauer gleichen, undurchlässig für jede soziale Neugestaltung. Der Druck der Linken bringt sie sacht und allmählich zum Weichen. Der Linken gegenüber verhütet die Rechte, unter Umständen, dass Früchte vom Baum der Kultur gepflückt werden, ehe sie reif sind. Wenn also eine Frauenbewegung überhaupt zu existieren sich erlauben darf, so ist nichts einfacher und natürlicher, als dass alle Meinungschattierungen eines rechten und linken Flügels in ihr zu Tage treten. Aber Herr Duboc lacht. Vor Helene Lange, der Vertreterin der Rechten, legt er seinen neckischen Ausfällen Zügel an. Ob Helene Lange mit ihren Gymnasialkursen, sich nicht als Stürmerin und Drängerin verdächtig machen würde, wenn die radikalen Draufgängerinnen der Linken ihrem edlen Masse nicht zur Folie dienten? In der heutigen Frauenbewegung vertritt die Rechte die praktische Seite, das augenblicklich Erreichbare. Die Linke zeigt die Ziele der Bewegung in der Zukunft. Das zweite Schadenfeuer, das Duboc mit den Wasserstrahlen (ich meine das Wasser nicht böse!) seines Witzes löschen will, ist das eheliche Verhältnis, wie es sich aus der von den Frauen gewollten Neuschöpfung entwickeln würde. Er sagt: „Wenn von Zweien, die sich zusammengetan haben, Keiner der stärkere (im Sinne des Gebieters) sein soll, so weiss ich nicht, wo im Fall von Meinungsverschiedenheiten die Entscheidung herkommen soll. Eine Ehe lässt sich doch nicht sofort bei einer auftauchenden Meinungverschiedenheit auflösen, folglich muss es einen Modus geben, die Entscheidung herbeizuführen … In der Ehe bildet bis jetzt, prinzipiell und gesetzmässig, das ‚Manns Hand baben‘ die Majorität. Tatsächlich dreht sich das Verhältnis auch gelegentlich einmal um, wenn, um im Volksmunde zu reden, die Frau die Hosen anhat. Welcher dritte Fall aber, wenn diese beiden Fälle ausgeschlossen sind, noch denkbar wäre, um eine Entscheidung herbeizuführen, entzieht sich der Berechnung …“ Ja, wie soll das werden? Ich meine, es wird sich nach der Neuschöpfung zu Gunsten der ehelichen Harmonie ändern. Wie ist es jetzt? Sehr gelehrte und sehr arbeitsame Herren, wie Julius Duboc, pflegen selten Zeit und Lust zu haben, sich um das Eheleben ihrer Mitmenschen zu kümmern. Sie würden sonst wissen, dass nicht gelegentlich einmal, wie Duboc meint, die Frau die Hosen anhat, sondern dass sie mindestens in der Hälfte der Ehen – um in seiner Ausdrucksweise zu bleiben – den Pantoffel schwingt. Sie schwingt ihn in allen Fällen, wo sie die Energischere oder die Schlauere oder die Feinere oder auch nur die Praktischere ist. Herr Duboc frage nur seine Frau, falls er verheiratet ist. Aber er wird sie gewiss nicht fragen. Dass in sehr vielen Fällen die Männer nicht merken, dass sie beherrscht werden, ändert an der Tatsache nichts, wenn es auch für das Glück vieler Ehen von unschätzbarem Wert ist. Warum nun wird die von den Frauen erstrebte geistige und ökonomische Selbständigkeit günstig auf die Lösung von Meinungsverschiedenheiten in der Ehe wirken?
Mag der Mann immerhin annehmen, dass die geistige Superiorität ihm angeboren sei: zugeben wird er, dass Kenntnisse, Stellung, Amt (Sohm besteht wohl nicht ganz zu Unrecht auf den Kausalnexus von Weihe und Kraft!), Weltverkehr usw. angetan sind, seine geistige Höhe wesentlich zu steigern. Wird nun auch die Frau dieser Vorzüge teilhaftig und ihm dadurch einigermassen ebenbürtig, so werden die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen eher zu einer Klärung als zu unlösbaren Konflikten führen. Zweitens: die ökonomisch selbständig gewordene Frau ist der Nötigung um der Versorgung willen den erstbesten Mann zu heiraten, überhoben. Sie wird also, in den weitaus meisten Fällen, den Gefährten wählen, der im Grundton seines Wesens, in Denkart und Gesinnung, mit ihr übereinstimmt, – was eine weitere Einschränkung schroffer und die Ehe zersetzender Meinungsverschiedenheiten zur Folge haben dürfte. Da es bei Ebenbürtigen kein Gebieten und kein Gehorchen mehr gibt, bliebe immer noch das – nach Duboc – unlösbare Rätsel, wer in dem dritten Falle (die dritten Fälle bilden wohl auch jetzt die Mehrzahl), wo weder Mann noch Frau Herrenrechte übt, die Entscheidung herbeiführen soll. Eine lebenslängliche Gemeinschaft zweier Menschen ist in der Tat ohne Meinungverschiedenheiten undenkbar (falls dem einen Teil nicht die Rolle des nickenden chinesischen Pagoden aufgewungen wird) und auch wohl kaum wünschenswert. Ein gemütlicher Pastor, dessen Intelligenz sicher nicht im Entferntesten an den Scharfsinn Dubocs heranreicht, löste dieses Rätsel gelegentlich der Trauung meines Dienstmädchens sehr einfach. „Vertragt Euch!“ sagte er zu dem Brautpaar. „Wir können nicht Alle ejal sein. Eins muss sich in das Andere schicken.“ Ja, gegenseitiges Nachgeben und vor Allem Liebe und Güte, nicht Befehle, überbrücken die Gegensätze. Die gewalttätige Unterdrückung ihrer Äusserungen aber erzeugt Feindseligkeit, hinterlistigen, tückischen Kampf, erzeugt die innere Auflösung der Ehe, die doch nicht weniger verhängnisvoll ist als die äussere. Man darf vielleicht annehmen, dass der in der Frauenfrage so orthodoxe Duboc gottesgläubig ist. Von Mannes wegen soll der Gatte in der Ehe entscheiden; aber auch von Gottes wegen? Müsste nicht, um der Heiligkeit der Ehe willen, die vorzugsweise von unseren Gegnern so begeistert proklamiert wird, der bessere, edlere, sittlichere Teil den Ausschlag geben? Ist das immer der Mann? Kommt es wirklich nur darauf an, dass der Mann herrsche, gleichviel, ob sie ein Tugendspiegel ist und er in der Sünde Maienblüte steht? Oder meint Duboc: Gott wird richten, der Mann aber kann nichts Anderes tun als – natürlich bildlich – feste dreinhauen? Ich war an einem Sylvesterabend zugegen, als so ein Herrenrechtler (er braute noch am Punsch) seine Frau, die mit dem Glockenschlage Zwölf „Prosit Neujahr!“ rief, zur Ruhe wies mit den Worten: „Ich habe hier zu bestimmen, wann Mitternacht ist!“ Sind die auf diesem Standpunkte Stehenden nicht letzte Ritter des Faustrechtes? Nicht Ritter von der traurigen Gestalt? Traurig, nicht sowohl, weil sie an alte Ideale, an überlebte Zustände sich anklammern, als weil sie neuen Idealen höhnend sich entgegenstemmen.
Duboc erwähnt den trefflichen Schriftsteller Gasparin, der die Zeit ausmale, wo der Mann dazu verdammt sein werde, den Kochlöffel zu führen und die Kinder zu wiegen. Spass muss sein! Ein anderer, sonst auch trefflicher Herr vertraute mir einmal, dass er sich nie mit einer Ärztin verheiraten würde, aus Angst, sie könnte eines Tages seinen Gänsebraten mit einem Skalpell tranchieren. Ich riet ihm, Vegetarier zu werden. Spass muss sein! Übrigens könnten sich ja die Männer a la Duboc vor der schrecklichen Eventualität, nicht in allen ehelichen Streitigkeiten der ausschlaggebende Teil zu sein, dadurch schützen, dass sie nur von der Frauenfrage unbeleckte und von Duboc gebilligte Jungfrauen ehelichen. Ich fürchte nur, angesichts der erwerbenden Frau – besonders, wenn sie sehr viel erwirbt – werden sie dem Kochlöffel und ihren Prinzipien die Treue brechen und massenhaft ins Lager der Emanzipierten abschenken.
Am Schluss meint Duboc, es dürfte sich nicht empfehlen – obwohl er begreift, dass die Frauenbewegung von den Männern en bagatelle behandelt wird – , die Dinge gar so leicht zu nehmen. „… Kinder spielen ja wohl auch mit Feuerwaffen und Das kann sehr harmlos verlaufen, – nur dürfen die Waffen nicht geladen sein, sonst könnten sie sich und Anderen Schaden tun.“ Sich? ach nein! Aber den Andern. Das heisst: den Epigonen des Faustrechts? Vielleicht! Wenn auch nur dadurch, dass ihnen die Bewegung ärgerlich ist. Vielleicht auch durch die Konkurrenz, die ihnen die Frauen hier und da machen werden. Aber wo steht geschrieben, dass die Frau immer fasten soll, während der Mann an der besetzten Tafel sitzt? Wer von uns kennt nicht ein Geschwisterpaar, von dem der Bruder eben so ungewöhnlich unbegabt wie die Schwester ungewöhnlich begabt ist? Er aber erwirbt vielleicht Millionen (Dummheit kein Hindernis!) oder er nimmt im Staat eine ragende, einflussreiche Stellung ein (Dummheit kein Hindernis!), während sie, hungrig nach Existenz, als „Tante“ oder kärglich besoldete Lehrerin bei Seite steht. Das gefällt vielleicht den Brüdern. Aber den Schwestern gefällt es nicht. Auch die Schwestern wollen Millionen erwerben können, so lange die Millionen noch nicht abgeschafft sind. Auch sie wollen Geheimräte und – ja, auch (alle Dubocs der Welt lachen!) Minister werden und ich möchte einen Eid leisten, die meisten Frauen wären ausser Stande, eine Rede von so kindlicher, so verschollener Einfalt zu halten, wie sie jüngst über eine Frage der Frauenbildung ungeniert und öffentlich von den Lippen eines Ministers (keines preussischen!) geflossen ist.
Duboc sieht voraus, dass die Frau der Zukunft, dem Manne gegenüber das „ôte-toi, que je m’y mettel“ ins Werk setzen werde. Ja, Das wird sie, Das soll sie, in all den Fällen, wo er durch unlauteren Wettbewerb – indem er sein Geschlecht ins Treffen führt – ihr den Sieg streitig macht. Verwunderlich, dass gerade Duboc dieses „ôte-toi, que je m’y mette!“ von der Frau fürchtet, da doch, nach seinem Dafürhalten, der Mann der geistig Stärkere ist. Aus Galanterie wird er sich doch nicht verdrängen lassen, um so weniger, da ja bekanntlich die Emanzipationslustigen mit Unschönheit und Ältlichkeit von Gott gezeichnet sein sollen. Müsste er nicht schadenfroh die Frau gewähren lassen, damit sie sich, wie der Skorpion, in ihren eigenen Stachel sticht und, durch ein klägliches Fiasko ihre Unfähigkeit beweisend, dem Nimbus des Mannes zu frischem Glanze verhilft? Unsere Herrenrechtler pflegen in der Hauptsache die Minderwertigkeit der Frau auf ihre Natur zurückzuführen. Die Natur des Weibes! Und die Natur des Mannes? Ist der Mann von heute etwa ein natürliches Produkt der Schöpfung? Nicht eben so wie die Frau ein durch bestimmte soziale Bedingungen historisch Gewordenes? Hätte z.B. Schopenhauer, wie Stuart Mill, eine edle und intelligente Frau geheiratet, anstatt sich einen Harem zu halten, er wäre sicher in seinen Urteilen über die Frau zu ganz anderen Resultaten gelangt. Von ursprünglicher Natur kann etwa bei dem Wilden die Rede sein, der, wenn er Hunger hat, seine Hitmenschen auffrisst und der das Weib vergewaltigt, wenn ihn die Lust dazu anwandelt. Gott schütze uns vor der ursprünglichen Natur! Ich brauche Niemand zu fragen, was in der Frauenbewegung das Richtige ist. Ich weiss es. Der, dem ein Dachziegel auf den Kopf fällt, weiss, dass das Dach schadhaft ist. Er braucht es nicht erst untersuchen zu lassen. Wenn man mich um des Umstandes willen, dass ich mit weiblicher Körperbildung zur Welt kam, des Rechtes beraubte, meine Individualität zu entwickeln, wenn man der nach Wissen und Erkennen Verlangenden den – von Duboc wirklich überschätzten – Kochlöffel in die ungeschickte Hand drückte, so jagte man damit eine Menschenseele, die geschaffen war, herrlich und nutzbringend zu leben, in ein wüstes Phantasieland wilder und unfruchtbarer Träumereien, aus dem sie erst erwachte, als dieses Leben zur Neige ging. Wer so des Weibtumes ganzen Jammer in der eigenen Brust gefühlt hat, Der ermisst an dem Schmerz der nie vernarbenden Wunden die tötliche Ungerechtigkeit der bisherigen Weltordnung.
Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt. Darum eben lacht Herr Duboc. Übrigens muss ich ihm das Zugeständnis machen, dass es keine quantité négligeable unter den Frauen ist, die seine Gesinnung teilt. Ich war selbst kürzlich sehr erstaunt, als in einem Kreise von Damen – sehr gebildeten – die meisten die Minderwertigkeit ihres Geschlechtes bejahten, scheinbar mit einiger Berechtigung, denn diese Damen waren untergeordnet, – aber nicht nur vielen Männern, sondern auch vielen Frauen. Und wollt ihr wissen, wie von Kindheit an das Superioritätsbewusstsein im männlichen und das Inferioritätsgefühl im weiblichen Geschlechte genährt und grossgezogen wird? Ich weiss ein Beispiel, ich weiss ein Lied aus dem Büchelchen KINDERWELT,
das ich unlängst in den Händen meiner kleinen Enkelin fand:
JUNGEN UND MÄDCHEN
Müller, Müller, mahl‘ er!
Die Jungen kosten ’nen Taler,
Die Mädchen kosten ’nen Taubendreck,
Die schuppt man mit den Beinen weg.
Müller, Müller, mahl‘ er!
Die Mädchen kriegen ’nen Taler,
Die Jungen kriegen ’n Reiterpferd
Das ist wohl tausend Taler wert.
Herr Duboc lacht. Ich nicht.
Hedwig Dohm
DIE ZUKUNFT, Berlin, 14. März 1896
herausgegeben von Maximilian Harden.
(Quelle: Dohm, Hedwig (1896): Herrenrechte. – In: Erinnerungen und weitere Schriften von und über Hedwig Dohm. – Rahm, Berta [Hrsg.]. Zürich : Ala-Verl., 1980, S. 111 – 124)