Als die Frauenbewegung startet, ist die Hausarbeit noch qua Gesetz Frauensache. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch darf eine verheiratete Frau nur dann berufstätig sein, wenn sie ihre ‚Häuslichen Pflichten‘ nicht vernachlässigt. Feministinnen kämpfen erfolgreich für die Abschaffung des Gesetzes und sie benennen erstmals den finanziellen Wert der Hausarbeit, die Hausfrauen gratis erledigen.
Bald darauf wird auch die schlechtere Bezahlung berufstätiger Frauen zum Thema und erringen die ‚Heinze-Frauen‘ 1981 mit ihrem legendären Streik einen ersten Etappensieg im Kampf für ‚Gleichen Lohn für gleiche Arbeit‘. Auch die Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Frauen, das vor allem als Vorwand dazu dient, sie von gutbezahlten ‚Männerstellen‘ fernzuhalten, ist eine brisante Forderung der Frauenbewegung. Überhaupt bläst die Frauenbewegung zum Sturm auf die Gewerkschaften und die sogenannten Männerberufe. Feministinnen fordern: „Die Hälfte der Welt für die Frauen, die Hälfte des Hauses für die Männer!“ Damit beginnt die Diskussion um die ‚Vereinbarkeit von Familie und Beruf‘, die bis heute in vollem Gange ist.
1973
In ihrem Buch Frauenarbeit – Frauenbefreiung1 (1985 neuaufgelegt unter dem Titel Lohn: Liebe) benennt und quantifiziert Alice Schwarzer als Erste in der Bundesrepublik das enorme Ausmaß der Gratisarbeit, die Frauen mit der Haus- und Familienarbeit leisten: Es sind, laut einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (der einzigen, die sich bis dato dem Thema gewidmet hatte), 45 bis 50 Milliarden Stunden jährlich. Das entspricht in etwa der Anzahl der Lohnarbeitsstunden. Schwarzer zeigt anhand von Gesprächsprotokollen mit 16 berufstätigen Frauen – von der Fließbandarbeiterin bis zur Filmemacherin, von der Friseurin bis zur Stripteasetänzerin – die Zerrissenheit der Frauen zwischen Familie und Beruf. Denn selbstverständlich leisten auch berufstätige Frauen den Großteil der Hausarbeit.
Zu diesem Zeitpunkt gilt in der BRD noch der § 1356 BGB, der die Frau zur Haushaltsführung verpflichtet: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. […] Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ Erst mit der Familienrechtsreform 1977 wird dieses Gesetz abgeschafft werden. In der DDR gilt seit 1966, dass die Eheleute ihre Beziehung so gestalten, dass „die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann“. Obwohl in der DDR Frauen wie Männer selbstverständlich berufstätig sind, leisten also auch dort die Frauen den Löwenanteil der Hausarbeit.Der Frankfurter Weiberrat postuliert: „Daß den Frauen als primäre Funktion die Arbeit im Reproduktionsbereich zugewiesen ist, macht sie zur niederen Kaste, deren Lebensschicksal in unbezahlter ‚Sklavenarbeit’ im Dienste der übergeordneten Kaste, der Männer, besteht.“2Mit der Benennung des Werts der Hausarbeit beginnt innerhalb der Frauenbewegung eine kontroverse Debatte um einen ‚Lohn für Hausarbeit‘.
Um die aufbegehrenden (Haus)Frauen zu befrieden und auf die sinkende Geburtenrate zu reagieren, hatte die Politik das Thema der unbezahlten Reproduktionsarbeit aufgenommen und diskutiert nun darüber, Hausarbeit mit einem taschengeldartigen ‚Hausfrauengehalt‘ zu entlohnen. Auch ein Teil der Frauenbewegung fordert nun ‚Lohn für Hausarbeit‘. Dessen Verfechterinnen beziehen sich vor allem auf die italienische Initiatorin der Lotta Femminista, Mariarosa Dalla Costa. Sie hatte in ihrer Schrift Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, die 1972 in Italien und 1973 in Deutschland in der Reihe Internationale Marxistische Diskussion erscheint, erklärt: „Mit dem Aufkommen des Kapitalismus organisierte sich die Vergesellschaftung der Produktion mit der Fabrik als Mittelpunkt. Diejenigen, die in den neuen Produktionszentren, eben in der Fabrik, arbeiteten, erhielten einen Lohn; die ausgeschlossen waren, erhielten keinen. Frauen, Kinder und Alte verloren ihre beschränkte Macht, die sie aufgrund der Abhängigkeit der Familie von ihrer Arbeit, die als gesellschaftlich und notwendig betrachtet wurde, besaßen.“3 In mehreren Ländern, darunter Italien, England, den USA und schließlich auch Deutschland, gründen sich ‚Lohn-für-Hausarbeit‘-Gruppen und starten eine Kampagne.
Februar 1974
Brigitte stellt auf einer Tagung die von ihr lancierte Studie der Soziologin Prof. Helge Pross vor. Titel: Die Wirklichkeit der Hausfrau. Die erste repräsentative Untersuchung über nichterwerbstätige Ehefrauen: Wie leben sie? Wie denken sie? Wie sehen sie sich selbst? 4 Das Ergebnis lautete vordergründig: „Hausfrauen sind mit ihrem Leben zufrieden.“ Allerdings ließ die Studie bei genauerem Hinsehen an dieser Schlussfolgerung zweifeln: So wollten zum Beispiel 40 Prozent der 1.200 befragten Hausfrauen lieber in die Berufstätigkeit wechseln. Bei den anderen Befragten, die angaben, nicht berufstätig sein zu wollen, stellte sich die Frage nach den Gründen: Dass Frauen trotz Berufstätigkeit weiter für Haushalt und Kinder zuständig sein würden, war damals nahezu selbstverständlich. Es lag auf der Hand, dass viele Frauen, die Berufstätigkeit ablehnten, dies wegen des Widerstands von Ehemännern und Kindern und aus Angst vor der drohenden Doppelbelastung taten. Thema: ‚Vereinbarkeit von Familie und Beruf‘
September 1974
In der Zeitschrift Pardon veröffentlicht Alice Schwarzer den Kommentar Nehmt euch in acht vor dem Hausfrauenlohn! Sie warnt: „Der Sklavenstatus der Frau würde sich durch ein als Lohn kaschiertes Almosen nicht nur nicht ändern, sondern Männerbequemlichkeit würde erneut institutionalisiert werden. Der Hausfrauenlohn wäre ein Hemmschuh in einem Augenblick, in dem Frauen endlich beginnen, aus der Isolation der ‚weiblichen Innenwelt‘ in die bisher exklusiv männlich beherrschte Außenwelt aufzubrechen.“ Schwarzer plädiert für die Berufstätigkeit der Frauen, da nur sie Frauen ökonomisch unabhängig vom Ehemann mache und außerdem aus der häuslichen Isolation führe. Damit berufstätige Frauen nicht unter der Doppelbelastung zusammenbrechen, müssten Frauen, so Schwarzer, die gleichberechtigte Teilung der Hausarbeit von den Männern einfordern.5
Mai 1975
Der Bundesfrauenausschuss der Deutschen Postgewerkschaft fordert die Aufhebung des Nachtarbeitsverbotes für Frauen.6 Das Verbot geht zurück auf die Arbeitszeitverordnung von 1891, die Arbeiterinnen eine Tätigkeit zwischen 20 Uhr und 6 Uhr und in mehrschichtigen Betrieben zwischen 23 Uhr und 5 Uhr verbietet. Begründung: „Neben den Rücksichten auf die Sittlichkeit gilt es, den Besonderheiten des weiblichen Organismus, der Stellung des Weibes als Mutter und Hausfrau gerecht zu werden.“7
Unter das Verbot fallen allerdings nur weibliche Arbeiter, nicht aber weibliche Angestellte, so dass Nachtarbeit von Frauen zum Beispiel in der Pflege, in Krankenhäusern, in der Gastronomie oder eben bei der Post längst üblich ist. Der Frauenausschuss der Postgewerkschaft liegt mit seiner Forderung quer zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der gegen eine Ausweitung der Nachtarbeit auf Frauen ist.
Mai 1977
Im Vorfeld des 1. Mai 1977 heißt es in der Kampagne ‚Lohn für Hausarbeit‘ in einem Manifest: „An alle Regierungen: Wir geben hiermit bekannt, dass wir gedenken, für unsere Arbeit bezahlt zu werden. Wir wollen Lohn für jede schmutzige Toilette, für jede schmerzhafte Geburt, für jede freche Anmacherei und Vergewaltigung, für jede Tasse Kaffee und jedes Lächeln. Und wenn wir nicht bekommen, was wir wollen, dann werden wir einfach aufhören, zu arbeiten!“8 Der Aufruf stammt vom Londoner Kollektiv Lohn für Hausarbeit, das ihn international verbreitet. In Deutschland veröffentlicht die Courage das Manifest in ihrer Ausgabe vom 15. März 1977. Schon in ihrer Februar-Ausgabe hatte Courage in einem Offenen Brief an Alice pro ‚Lohn für Hausarbeit‘ plädiert: „Hausarbeit bleibt nicht Hausarbeit, wenn sie bezahlt wird. Sie ist dann nicht mehr unsichtbar, nicht ‚Liebe‘, nicht ‚Natur‘ oder ‚Schicksal‘ der Frauen. Dann erst kann ein Mann sich überlegen, ob er sie machen will, dann erst kann sie verringert werden und dann erst kann die unselige ‚Arbeit aus Liebe‘ von der Bildfläche verschwinden.“9
Während in Deutschland die feministische Zeitschrift Courage die ‚Lohn für Hausarbeit‘-Kampagne unterstützt, ist EMMA entschiedene Gegnerin eines Hausfrauenlohns: „Ein Taschengeld wäre nur dünne Vergoldung dieses Frauenschicksals in einer Männergesellschaft, in der Hausfrausein nicht frei gewählt, sondern erzwungen ist und ausschließlich Frauen vorbehalten bleibt. […] Hausfrauenlohn würde Frauen nicht befreien, sondern sie zusätzlich versklaven! Würde sie noch mehr an Kinder und Küche ketten!“10
1. Juli 1977
Die Familienrechtsreform tritt in Kraft. Zentrale Forderungen der Frauenbewegung haben Eingang in die neue Gesetzgebung der SPD/FDP-Koalition gefunden. So obliegt die Haushaltsführung nun nicht mehr gesetzlich fixiert der Frau. Im neuen § 1356 BGB heißt es nun: „Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen.“
10. Mai 1979
Die sogenannten ‚Heinze-Frauen‘ gewinnen vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen einen Prozess um gleichen Lohn für gleiche Arbeit. 29 Mitarbeiterinnen der Abteilung Filmentwicklung des Gelsenkirchener Foto-Unternehmens Heinze hatten darauf geklagt, die gleichen Zuschläge zu ihrem Stundenlohn zu bekommen wie ihre männlichen Kollegen. Das Unternehmen begründete die höheren Zulagen für die männlichen Mitarbeiter damit, dass für den gezahlten Stundenlohn von sechs Mark auf dem Arbeitsmarkt keine Männer zu bekommen seien. Männliche Mitarbeiter würden aber unbedingt benötigt, weil nur diese aufgrund des Nachtarbeitsverbots für Frauen die Nachtarbeit im Fotolabor leisten könnten.
Die Frauen begründen ihre Klage für gleichen Lohn mit Art. 3 des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Nachdem die Firma Heinze Berufung eingelegt hat, ergeht schließlich am 6. September 1981 vor dem Bundesarbeitsgericht das endgültige Urteil: Die unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. (1982 erscheint eine Dokumentation des Kampfes der ‚Heinze-Frauen‘ als Buch Wir wollen gleiche Löhne!11) Die Klage der ‚Heinze-Frauen‘ erregt Aufsehen im ganzen Land, viele Solidaritätsaktionen werden gestartet. Nach dem Sieg der Klägerinnen, der einen Präzedenzfall geschaffen hat, folgen eine Flut weiterer Klagen von Frauen auf gleiche Bezahlung.
14. August 1980
In das Bürgerliche Gesetzbuch wird ein Diskriminierungsverbot von ArbeitnehmerInnen aufgrund ihres Geschlechts aufgenommen.In § 611a heißt es nun: „Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme, insbesondere bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses, beim beruflichen Aufstieg, bei einer Weisung oder einer Kündigung, nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen.“ Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber.
Januar 1982
Die Bundesregierung veranstaltet ein Hearing zu einem geplanten Antidiskriminierungsgesetz, bei dem es auch um das Nacharbeitsverbot für Frauen geht. EMMA fordert in ihrer Stellungnahme zum Hearing die Aufhebung des Nacharbeitsverbotes. Der DGB spricht sich nach wie vor gegen die Nachtarbeit von Frauen aus. Begründung: Zwar sei Nachtarbeit erwiesenermaßen gleichermaßen gesundheitsschädlich für beide Geschlechter. Frauen sei es jedoch „meist nicht möglich, am Tage zum nötigen Schlaf zu kommen, da ihnen in der Regel vorwiegend die familiären Aufgaben übertragen sind“. In ihrem Artikel Gefährlicher Schutz kritisiert EMMA diese Haltung als „vornehme Umschreibung des patriarchalischen Hausarbeitszwangs“.12 EMMA erklärt das Nachtarbeitsverbot zum vorgeblichen Schutz der Frauen für bigott, da Hunderttausende angestellte Frauen Nachtarbeit sowieso schon leisten. Gleichzeitig habe das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen massive Nachteile: Betriebe mit Nachtarbeit lehnten die Ausbildung weiblicher Lehrlinge entweder gleich ab oder übernähmen sie nach abgeschlossener Ausbildung nicht. Außerdem sind Frauen von den oft gut und mit hohen Zulagen dotierten Nachtarbeitsstellen ausgeschlossen. Fazit: „Weil […] de facto dieser ‚Schutz‘ vor Nachtarbeit nur ein erneuter Vorwand zur Benachteiligung von Frauen ist, wäre es ehrlicher, dieses spezielle Frauennachtarbeitsverbot endlich abzuschaffen! Und gleichzeitig einen konsequenten Kampf gegen Nachtarbeit überhaupt zu beginnen. Und zwar für Frauen wie Männer.“13
Das Bundesverfassungsgericht hält das Nachtarbeitsverbot für Frauen aufgrund ihrer „schwächeren Konstitution“ dennoch weiterhin für gerechtfertigt.14 Die Volkszählung 1987 wird ergeben, dass in der BRD 1,3 Millionen Frauen ständig, regelmäßig oder gelegentlich in Nachtschichten arbeiten.
Wie geht es weiter?
1988 erklärt das Bundesarbeitsgericht die sogenannten ‚Leichtlohngruppen‘ für rechtswidrig. Schon 1955 hatte das Bundesverfassungsgericht es für verfassungswidrig erklärt, Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts niedrigere Löhne zu zahlen als Männern. Arbeitgeber hatten daraufhin ihre Löhne nach ‚leichter‘ und ’schwerer‘ Arbeit differenziert, wobei die Arbeit, die Frauen ausübten, quasi immer als ‚leicht‘ definiert und daher in den ‚Leichtlohngruppen‘ ausschließlich Frauen eingruppiert wurden. Das Bundesarbeitsgericht erkennt in dieser Praxis eine „mittelbare Diskriminierung“ von Frauen. Erstritten wurde das Urteil von Metallarbeiterinnen einer Wittener Kabelfirma. Das BAG erklärt in seinem Urteil, dass unter „körperlich schwerer Arbeit auch solche Arbeit verstanden wird, die stehende Tätigkeiten, eine taktgebundene, sich wiederholende Arbeit, nervliche Belastungen oder Lärmbelästigung beinhaltet“.15
Mit der Wiedervereinigung 1990 gilt das Nachtarbeitsverbot der BRD nun auch für die Frauen der Ex-DDR. Entlassungen sind die Folge.
Das Bundesverfassungsgericht erklärt am 28. Januar 1992 das Nachtarbeitsverbot für Frauen für verfassungswidrig.16 Gegen das Verbot geklagt hatte die Brotfabrikantin Rosemarie Ewers. Die mittelständische Unternehmerin hatte mehrere Bußgeldbescheide erhalten, weil sie Frauen nachts in ihrer Bäckerei beschäftigt hatte. Ewers hatte argumentiert, dass sie auf die weiblichen Beschäftigten angewiesen sei, weil nur diese bereit seien, in Teilzeit zu arbeiten. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: „Das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen verstößt gegen Art. 3 III GG.“17 Die Karlsruher RichterInnen lassen die zwei Hauptargumente gegen die Nachtarbeit von Frauen nicht gelten und folgen damit der Argumentation des Deutschen Juristinnenbundes, der sich ebenfalls gegen ein Verbot der Nachtarbeit für Frauen ausspricht.
Argument 1. Die Mehrbelastung von Frauen durch Nachtarbeit, weil diese tagsüber zusätzlich für Haushalt und Kinderzuständig seien.
Dazu erklärt das Gericht: „Die zusätzliche Belastung mit Hausarbeit und Kinderbetreuung ist kein hinreichend geschlechtsspezifisches Merkmal. Es entspricht zwar dem tradierten Rollenverständnis von Mann und Frau, dass die Frau den Haushalt führt und die Kinder betreut, und es lässt sich auch nicht leugnen, dass diese Rolle ihr sehr häufig auch dann zufällt, wenn sie ebenso wie ihr männlicher Partner berufstätig ist. Diese Doppelbelastung trifft aber in ihrer ganzen Schwere nur Frauen mit betreuungsbedürftigen Kindern, soweit sie alleinstehen oder der männliche Partner ihnen trotz ihrer Nachtarbeit die Kinderbetreuung und den Haushalt überlässt.“18
Argument 2. Frauen seien auf ihrem nächtlichen Weg von und zur Arbeitsstelle besonderen Gefahren ausgesetzt.
Dazu erklärt das Gericht: „Das trifft sicherlich in vielen Fällen zu. Aber auch dies rechtfertigt es nicht, allen Arbeiterinnen die Nachtarbeit zu verbieten. Der Staat darf sich seiner Aufgabe, Frauen vor tätlichen Angriffen auf öffentlichen Straßen zu schützen, nicht dadurch entziehen, dass er sie durch eine Einschränkung ihrer Berufsfreiheit davon abhält, nachts das Haus zu verlassen.“19
Und schließlich argumentiert das Gericht: „Frauen werden dadurch bei der Stellensuche benachteiligt. Arbeit, die mindestens zeitweise auch nachts geleistet werden muss, können sie nicht annehmen. In einigen Branchen hat das zu einem deutlichen Rückgang der Ausbildung und des Einsatzes von weiblichen Arbeitskräften geführt. Darüber hinaus werden Arbeiterinnen daran gehindert, über ihre Arbeitszeit frei zu disponieren. Nachtarbeitszuschläge können sie nicht verdienen. All das kann auch zur Folge haben, dass Frauen weiterhin in größerem Umfang als Männer neben einer Berufsarbeit noch mit Kinderbetreuung und Hausarbeit belastet werden und dass sich damit die überkommene Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern verfestigt. Insofern erschwert das Nachtarbeitsverbot einen Abbau von gesellschaftlichen Nachteilen der Frau.“20
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) tritt 2006 in Kraft. In § 2 verbietet das sogenannte ‚Antidiskriminierungsgesetz‘ die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern aufgrund ihres Geschlechts: „Benachteiligungen sind unzulässig in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt.“21
Der Equal Pay Day, der in den USA schon 1996 vom National Comittee for Pay Equity (Nationales Komitee für Lohngleichheit) ins Leben gerufen wurde, wird erstmals am 15. April 2008 auch in Deutschland begangen. Frauen protestieren gegen den sogenannten ‚Gender Pay Gap‘, also die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, die in Deutschland bei ungefähr 20 Prozent liegt. Dabei ist die direkte Lohndiskriminierung nur eine Ursache des Gender Pay Gaps. Die Lohnlücke kommt auch dadurch zustande, dass Frauen weit häufiger als Männer Teilzeit arbeiten bzw. in schlechter bezahlten „Frauenberufen“. Der Protesttag markiert den Tag, bis zu dem Frauen umgerechnet seit Anfang des Jahres umsonst arbeiteten, bekämen sie den gleichne Lohn wie Männer. Das Frauennetzwerk Business and Professional Women hat, finanziell unterstützt vom Bundesfrauenministerium, den Equal Pay Day nach Deutschland geholt. Symbol der Protestaktionen ist eine rote Tasche.
Im September 2013 gibt das Arbeitsgericht Koblenz einer Mitarbeiterin der Firma Birkenstock Recht, die darauf geklagt hatte, den gleichen Lohn zu bekommen wie ihre männlichen Mitarbeiter. Auf einer Betriebsversammlung im Herbst 2012 hatte die Angestellte erfahren, dass sie und ihre Kolleginnen jahrzehntelang rund einen Euro weniger Stundenlohn erhielten als die Kollegen. Das Landesarbeitsgericht Mainz bestätigt das Urteil und erklärt die Praxis des Schuhproduzenten, die Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts schlechter zu bezahlen, für „eklatant rechtswidrig“. Das Urteil ist eine der wenigen Entscheidungen der Gerichte gegen Lohndiskriminierung, weil diese aufgrund fehlender Transparenz der Lohnstruktur in Betrieben in der Regel nicht nachgewiesen werden kann.22
Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig (SPD) legt im Dezember 2015 einen Entwurf für ein ‚Entgeltgleichheitsgesetz‘ vor. Betriebe sollen ihre Löhne und Gehälter transparent machen, damit MitarbeiterInnen nachvollziehen können, ob sie womöglich allein aufgrund ihres Geschlechts schlechter bezahlt werden. „Wir wollen mit mehr Transparenz dafür sorgen, dass Lohnunterschiede nicht mehr verheimlicht werden können“,23 erklärt die Ministerin. Nach Protesten der Arbeitgeberverbände wird der Gesetzentwurf entschärft: Die Auskunftspflicht soll nur für Betriebe mit über 500 MitarbeiterInnen gelten, außerdem kritisiert der Deutsche Juristinnenbund in seiner Stellungnahme zum Gesetz, dass das „freiwillige“ und nicht zertifizierte Prüfverfahren. Fazit: „Da der Gesetzentwurf teilweise sogar mehr Intransparenz schafft und zudem Verhalten zu fördern imstande ist, die Diskriminierungsfreiheit nur vorgaukeln, ist er geeignet, dem Anliegen der Entgeltgleichheit für Frauen und Männer zu schaden.“24
Quellen
1 Frauenarbeit - Frauenbefreiung : Praxis-Beispiele und Analysen (1973). - Schwarzer, Alice [Hrsg.]. 1. Aufl. - Frankfurt am Main : Suhrkamp (FMT-Signatur: AR.07.040-1973).
2 Women's liberation : Frauen gemeinsam sind stark! ; Texte und Materialien aus der neuen amerikanischen Frauenbewegung (1972). - Becker, Barbara [Hrsg.] ; Kramer, Helgard [Hrsg.] ;
Kiderlen, Elisabeth [Hrsg.] ; Krechel, Ursula [Hrsg.] ; Margit, Mayer [Hrsg.] ; Schoen, Barbara [Hrsg.]. Frankfurt am Main : Roter Stern, S. 10. (FMT-Signatur der Ausgabe von 1977: FE.04.NA.002)
3 Dalla Costa, Mariarosa ; James, Selma (1973): Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft. - Berlin : Merve-Verl. (FMT-Signatur: AR.07.019).
4 Pross, Helge (1976): Die Wirklichkeit der Hausfrau : die erste repräsentative Untersuchung über nichterwerbstätige Ehefrauen ; wie leben sie? ; Wie denken sie? ; Wie sehen sie sich selbst?. -
Reinbek bei Hamburg : Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (FMT-Signatur: AR.07.025), siehe auch Pressedokumentation: Unbezahlte Arbeit: Hausfrauen, Hausarbeit (FMT-Signatur: PD-AR.03.01, Kapitel 5 und 6).
5 Schwarzer, Alice (1974): Nehmt Euch in acht vor dem Hausfrauenlohn! : Die verhängnisvollen Folgen eines angeblichen Ausweges. - In: Pardon, Nr. 9, S. 26 - 27 (FMT-Signatur: AR.07-a, Obj. Nr. 72477).
6 Interview mit Ingridlotte Richter: Nachtarbeit für Frauen verbieten? (1980). - In: Stern, Nr. 9, S. 200, siehe Pressedokumentation: Frauenarbeitsschutz 1962-1992 (FMT-Signatur: PD-ST. 13.16, Kapitel 3).
7 Slupik, Vera (1982): Gefährlicher Schutz. - In: EMMA, Nr. 5, S. 28.
8 Lohn für Hausarbeit (1977). - In: Courage, Nr. 3, S. 16 - 17.
9 Lohn für Hausarbeit : offener Brief an Alice (1977). - In: Courage, Nr. 8, S. 38 - 40 (FMT-Signatur: Z-Ü104:1977-8-a). Auch verfügbar unter: library.fes.de/cgi-bin/courage.pl
10 Schwarzer, Alice (1977): Hausfrauenlohn?. - In: EMMA, Nr. 5, S. 3. und siehe auch http://frauenmediaturm.de/chronikderfrauenbewegung-1974/
11 Wir wollen gleiche Löhne! : Dokumentation zum Kampf der 29 "Heinze"-Frauen (1980). - Kaiser, Marianne [Hrsg.]. Reinbek bei Hamburg : Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (FMT-Signatur: AR.10.013).
12 Slupik, Vera (1982): Gefährlicher Schutz. - In: EMMA, Nr. 5, S. 28.
13 Ebenda, S. 30.
14 Pfarr, Heide (1992): Auf Nachtarbeit folgt für Mütter die zweite Schicht im Haushalt. - In: Frankfurter Rundschau, Nr. 107, 08.05.1992, S. 15, siehe Pressedokumentation: Frauenarbeitsschutz 1962-1992 (FMT-Signatur: PD-ST.13.16, Kapitel 3).
15 DGB (2013): Gleiches Geld für gleichwertige Arbeit , 10.10.2013. - Verfügbar unter: frauen.dgb.de/++co++54aeb962-31c0-11e3-8336-00188b4dc422/
16 Bastion der Männer (1992). - In: Der Spiegel , Nr. 6, 03.02.1992. Verfügbar unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-13686238.html
17 Windthorst, Kay (Hrsg.): Zum BVerfG - Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen. Online unter: esolde.uni-bayreuth.de/entscheidungen/350-grundrechte/einzelne-grundrechte/gleichheitsgrundrechte/spezielle/art-3-abs-3-gg/144-bverfg-nachtarbeitsverbot-fuer-arbeiterinnen
18 Ebenda.
19 Ebenda.
20 Ebenda.
21 Die aktuelle Fassung des Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Verfügbar unter: www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.html
22 Koschnitzke, Lukas (2015): Ungleicher Stundenlohn : Birkenstock zahlte Frauen einen Euro weniger. - In: Der Spiegel, Nr. 11, 07.03.2015. Verfügbar unter: www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/birkenstock-frauen-bekamen-weniger-lohn-als-maenner-a-1022162.html
23 Louis, Chantal (2015): Wir wollen mehr Lohn! - In: EMMA, Nr. 3, S. 44.
24 DJB (2017): Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Familienausschusses des Deutschen Bundestages am 6. März 2017. Verfügbar unter: www.djb.de/
Alle Internetlinks wurden zuletzt abgerufen am 5.09.2017.
Auswahlbibliografie
Online verfügbare Quellen
Bursig, Beatrix (1992): „Ohne Frauen geht es nicht“. - In: Die Zeit, 17.04.1992.
„Bastion der Männer“(1992). - In: Der Spiegel, Nr. 6, 03.02.1992.
Empfehlungen
Frauenarbeit – Frauenbefreiung : Praxis-Beispiele und Analysen (1973). - Schwarzer, Alice [Hrsg.]. Frankfurt am Main : Suhrkamp (FMT-Signatur: AR.07.040-1973).
Pross, Helge (1976): Die Wirklichkeit der Hausfrau : die erste repräsentative Untersuchung über nichterwerbstätige Ehefrauen ; wie leben sie? ; Wie denken sie? ; Wie sehen sie sich selbst?. - Reinbek bei Hamburg : Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (FMT-Signatur: AR.07.025).
Weltmarkt Privathaushalt : bezahlte Haushaltsarbeit im globalen Wandel (2002). - Gather, Claudia [Hrsg.] ; Geissler, Birgit [Hrsg.] ; Rerrich, Maria S. [Hrsg.]. - Münster : Westfälisches Dampfboot (Forum Frauenforschung ; 15) (FMT-Signatur: AR.07.082).
Arbeit : Perspektiven und Diagnosen der Geschlechterforschung (2009). - Aulenbacher, Brigitte [Hrsg.] ; Wetterer, Angelika [Hrsg.]. Münster : Westfälisches Dampfboot (Forum Frauen- und Geschlechterforschung ; 25) (FMT-Signatur: AR.01.063).
Allmendinger, Jutta (2010): Verschenkte Potenziale? : Lebensverläufe nicht erwerbstätiger Frauen. - Ebach, Mareike [Mitarb.] ; Hennig, Marina [Mitarb.] ; Stuth, Stefan [Mitarb.]. Frankfurt am Main [u.a.] : Campus-Verl. (FMT-Signatur: AR.07.050).
Slaughter, Anne-Marie (2016): Was noch zu tun ist : damit Frauen und Männer gleichberechtigt leben, arbeiten und Kinder erziehen können. - Köln : Kiepenheuer & Witsch (FMT-Signatur: AR.07.096).
Pressedokumentation
Pressedokumentation zum Thema Arbeitskämpfe/Frauen in Gewerkschaften: PDF-Download
Pressedokumentation zum Thema Berufliche Bildung und Frauenförderung: PDF-Download
Pressedokumentation zum Thema Berufe, Karrieren, Lohndiskriminierung, Frauen in Führungspositionen etc.: PDF-Download
Pressedokumentation zum Thema Debatte um das Nachtarbeitsverbot: PDF-Download
Pressedokumentation zum Thema Debatte um Lohn für Hausarbeit, Unbezahlte Arbeit: PDF-Download
Die Pressedokumentation des FMT umfasst strukturierte, thematisch aufbereitete und inhaltlich erschlossene Beiträge der allgemeinen und feministischen Presse, meist angereichert mit weiteren Materialien wie z.B. Flugblättern und Protokollen.