Alice Schwarzer: Ein Turm für Frauen allein

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An diesem Tag im Juni 1994 gab es einen guten Grund, unter der Glaskuppel des obersten Turmgeschosses die Sektkorken knallen zu lassen: Gerade war, inmitten der Umzugskisten, das 20.000ste Dokument in die EDV eingegeben worden. Inzwischen sind es noch mehr Bücher, Aufsätze, Zeitschriften, Pressedossiers, Plakate und Flugblätter; alle im Computer mit Titeln und Stichworten zu Personen wie Inhalten erfaßt, abrufbar per Knopfdruck. Und jährlich kommen rund 2000 Dokumente dazu.

Jetzt, zehn Jahre nach dem Start, ist der FrauenMediaTurm (bisher: Das Feministische Archiv und Dokumentationszentrum) das besterschlossene Infozentrum zu Frauenfragen im deutschsprachigen Raum. Es gibt Auskunft über das, was bewußte Frauen in den vergangenen Jahrzehnten, Jahrhunderten, ja Jahrtausenden schon alles gedacht, getan und geträumt haben – und das ist so unendlich viel mehr, als wir alle noch bis vor kurzem auch nur ahnten.

Die "lila, weißen und grünen Suffragetten" beim Marsch durch London, Oktober 1908 © Museum of London
Die „lila, weißen und grünen Suffragetten“ beim Marsch durch London, Oktober 1908

Die Spurensicherung im FrauenMediaTurm wird von Frauen betrieben – und das an einem der schönsten und stolzesten Orte, den Frauen je für sich erobert haben. Eines der Schlüsselbücher frauenbewußten Denkens trägt den Titel „Ein Zimmer für sich allein“. Seine Autorin, die englische Schriftstellerin Virginia Woolf (1882-1941) würde es wohl kaum fassen können, daß ausgerechnet bewußte Frauen „einen Turm für sich allein“ haben. Denn nicht nur die Schriftstellerinnen früherer Zeiten schrieben ihre Werke auf dem Küchentisch oder dem Damenschreibtisch im gemeinsamen Schlafzimmer… Männern aber gehört die Welt: von der Eckkneipe über den Fußballplatz und die Chefetage bis hin zum Parlament. Doch Raum für Frauen? Raum, in dem Frauen für sich sein können, alleine oder mit anderen Frauen? Raum, in dem Nachdenken, Besinnung oder Miteinander möglich ist? Raum, in dem Frauen gar das Sagen haben?

Als das Feministische Archiv, das zunächst in Frankfurt war, 1988 nach Köln kam, war noch nicht vorauszusehen, daß es als FrauenMediaTurm bald an den symbolträchtigsten Ort der Kölner Geschichte ziehen würde. Jahrhundertelang wurde auch hier Männergeschichte gemacht, konnten Männer auf dem aufbauen, was andere Männer vor ihnen gedacht, gesagt und getan haben. Männer stehen auf den Schultern von Riesen. Frauen fangen immer wieder von vorne an. Sie sind geschichtslos. Daß das anders wird, dazu will der FrauenMediaTurm beitragen.

Die gemeinnützige Stiftung hat mit der Stadt Köln einen Erbbaurechtsvertrag über insgesamt 70 Jahre abgeschlossen (30 Jahre plus zweimal 20 Jahre Option). Bis mindestens zum Jahre 2061 wird der Bayenturm also ein Frauenturm sein. Danach ist es an den Riesinnen, die auf unseren Schultern stehen, diesen Hort der Frauengeschichte zu erhalten.

Tagebücher von Minna Cauer, im Original im FMT © FMT / Bettina Flitner
Tagebücher von Minna Cauer, im Original im FMT

Die politische Idee eines Frauenarchivs ist so alt wie naheliegend. Schon 1895 schrieb Maria Lischnewska in der von Minna Cauer herausgegebenen Zeitschrift „Die Frauenbewegung“: „Das Besondere ganz zu erfassen und doch den Blick auf das Allgemeine nicht zu verlieren, bedarf eines ernsten und mühevollen Studiums. Die Frauenzeitungen sind wohl ein wertvoller Wegweiser dafür, doch erschöpfend zu helfen vermögen sie nicht.“ Daraus gab es für die frühe Frauenrechtlerin nur eine Konsequenz: „Wir brauchen eine Bibliothek für die Frauenfrage und die Reichshauptstadt müßte sie schaffen. Diese Bibliothek denke ich mir als eine Sammelstätte für alles, was Deutschland und das Ausland an bedeutenden Leistungen auf dem Gebiete der Frauenfrage hervorgebracht haben und noch hervorbringen. (…) Die Bibliothek würde der Frauensache der Gegenwart einen großen Dienst leisten. Sie würde uns befähigen, sicherer zu urteilen und konsequenter vorwärts zu schreiten.“ – Der „Radikale Flügel“ der Frauenbewegung setzte die Idee in die Tat um und eröffnete das Archiv „Frauenwohl“. Nur ein geringer Teil der Bestände überlebte die Nazizeit…

Auch für die neuen Feministinnen war es, mehr als ein halbes Jahrhundert später, rasch klar, daß das Wissen über das Leben, Denken und Handeln von Frauen systematisch gesammelt und verbreitet werden müßte, damit Frauen weiterdenken können. Doch im Zeitalter der Informatik genügen nicht mehr der gute Wille und das fleißige Sammeln von Büchern und Dokumenten. Längst ist die Erfassung und Vermittlung von Information zu einer regelrechten Wissenschaft geworden und modernste Technik unerläßlich. Professionalisierung und Technisierung aber bedeuten Geld; mehr Geld, als durch so ein Dokumentationszentrum zu erwirtschaften wäre.

Daß die nötigen Mittel da waren, ist Jan Philipp Reemtsma zu verdanken, der 1983 eine generöse finanzielle Starthilfe gab und die gemeinnützige Stiftung mit einem Grundkapital sowie Mitteln für die Aufbauphase ausstattete. Entstanden war die Idee bei unserer gemeinsamen Initiierung des „Instituts für Sozialforschung“ in Hamburg. Ich gehörte zu der Gruppe politisch engagierter Intellektueller, die das Kind mit aus der Taufe hoben. Spätestens da wurde mir schmerzlich klar, daß es für Frauen noch nicht mal die rudimentärsten Grundlagen zur Forschung gab: keine Fachbibliothek, keinen Hort des Wissens, wenig Voraussetzung zum Weiterdenken…

Als ich Anfang der 7oer Jahre begann, mich für die Sache der Frauen zu engagieren, war es mir wie den meisten gegangen: Ich glaubte mich in der Stunde Null. Auch wir neuen Feministinnen waren damals überzeugt, wir seien – abgesehen von ein paar vereinzelten Vorläuferinnen – die ersten, die es wagen, der Männermacht endlich die Stirn zu bieten. Doch weit gefehlt. Es gab ja so viele vor uns. Und wir hätten von Anfang an weiterblicken können, statt (wieder einmal) von vorne anzufangen.

Verhaftung Emmeline Pankhursts vor dem Buckingham Palace, 1914 © Museum of London
Verhaftung Emmeline Pankhursts vor dem Buckingham Palace, 1914

Daß die Geschichte unserer Unterdrückung und unseres Widerstandes kaum aufgeschrieben, wenig beachtet und gerne verfälscht oder geleugnet wird, ist kein Zufall, sondern hat System. Geschichtslose Frauen sind identitätslose Frauen. Sie bleiben relative Wesen, die sich selbst nur in Relation zum Mann begreifen können. Nach dem heutigen Forschungsstand müssen wir davon ausgehen, daß die Dominanz der Männer schon seit Jahrtausenden währt und es nur wenige begrenzte Ausnahmen von wirklicher Gleichheit oder gar Frauenübermacht gab. Umso bemerkenswerter ist es, daß Frauen trotzalledem nie wirklich resigniert haben. Es gab zu allen Zeiten Frauen, die aus ihren (nur selten vergoldeten) Käfigen und Kemenaten ausbrachen.

Da waren die Denkerinnen der Antike, einem Sokrates oder Platon durchaus ebenbürtig; da waren die religiösen Frauenbewegungen oder Beginen, die in Weisheit und Tüchtigkeit der männlichen Geistlichkeit in nichts nachstanden; da waren die Vordenkerinnen der Renaissance, denen sogar die Männer lauschten; da waren die Handwerkerinnen, Geschäftsfrauen oder Kriegerinnen, die selbstverständlich „ihren Mann“ standen; da waren Pionierinnen wie Christine de Pizan (1365-1429), Mary Wollstonecraft (1759-1797) oder Olympe de Gouges (1748-1793). Im Jahr 1793 veröffentlichte die Citoyenne de Gouges im blutigen Schatten der französischen Revolution ihre stolze „Déclaration des droits de la femme“: Die Frau „ist frei und dem Manne in allen Rechten gleich“ geboren. Und da sie das Recht habe, aufs Schafott zu steigen, müsse sie auch das Recht haben, auf die Rednerbühne zu steigen. Die Feministin de Gouges bekam das Recht, aufs Schafott zu steigen, wo sie am 3. November 1793 enthauptet wurde.

Doch weder durch die Verfolgung und Ermordung einzelner noch durch die Ausrottung (Hexenverfolgung) oder Einschüchterung vieler (die Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu einem gesetzlichen Versammlungsverbot für Frauen ging!) war das öffentliche Denken und Handeln von Frauen nun noch länger aufzuhalten. Mitte des vergangenen Jahrhunderts formierten sich in ganz Europa, in Amerika und Asien Frauenbewegungen, die mindestens so erfolgreich waren – und ebenso umstritten – wie ihre heutigen Nachfolgerinnen.

In Deutschland stehen Namen wie Louise Dittmar (1807-1884), Hedwig Dohm (1833-1919) oder Anita Augspurg (1857-1943) für den Kampf zur Befreiung der Frauen aus dem Sklavenstatus: Zwangsehe, Prügelrecht des Ehemannes, Berufsverbot, Frauenhandel, kein Wahlrecht und Ausschluß von Wissen und Macht. Doch obwohl diese Frauen mit dem Kampf um Menschenrechte für ihr eigenes Geschlecht schon die Hälfte der Menschheit auf den Schultern hatten, richteten sie immer ihren Blick auf die ganze Welt. Die ersten Proteste gegen die Versklavung von Schwarzen kamen von weißen Frauen; unter den wenigen Pazifisten in Zeiten allgemeinen Kriegswahnes wie 1914-1918 waren auffallend viele Frauen und vor allem Frauenrechtlerinnen; und für eine Frau wie Anita Augspurg, die erste deutsche Juristin, war es selbstverständlich, schon 1923 öffentlich die Ausweisung des Österreichers Hitler aus Deutschland zu fordern.

Die engagierte Frauenrechtlerin Anita Augspurg gehörte, ganz wie die heute für den FrauenMediaTurm Verantwortlichen, zu den sogenannten „Radikalen“ (radikal im Sinne von: an die Wurzel gehend). Charakteristisch für die Position der Radikalen – in deren Tradition sich auch der FrauenMediaTurm versteht – ist die Kritik der Ideologie von der sogenannten „Natur der Frau“ und die aus ihrer angeblichen „Andersartigkeit“ abgeleitete Arbeitsteilung und Rollenzuweisung. Kein Wunder also, daß die radikalen Feministinnen als erste auf den Listen der Nationalsozialisten standen. Der Nachlaß von Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann zum Beispiel, die beide 1943 im Züricher Exil starben, wurde von den brandschatzenden Nazihorden ebenso vernichtet wie der aller Frauenrechtlerinnen.

Kurz nach der Machtergreifung der Faschisten wurden dann auch die gemäßigteren und angepaßteren unter den eigenständigen Frauenorganisationen verboten. Die Nationalsozialisten, dieser Gipfel des Männlichkeitswahns, waren eindeutig auch eine Reaktion auf die historische Frauenbewegung. Denn der war es in der Tat gelungen, die Hierarchie der Geschlechter ernsthaft zu erschüttern.

Nach 1945 dauerte es noch ein Vierteljahrhundert, bis auch die deutschen Frauen wieder auf die Barrikaden gingen. Und es war wohl kein Zufall, daß sie innerhalb der westlichen Welt die Zögerlichsten waren und die Letzten. Zu gründlich war gerade ihre Geschichte ausradiert worden.

© Michael Meyborg (FMT-Signatur: FT.02.0026)
Demo gegen BVG-Urteil, 1975

Nach dem spektakulären Aufbruch in den 70er Jahren folgte in den 80er Jahren eine Phase der Differenzierung und Rückbesinnung. Nun begannen auch deutsche Feministinnen, die verschütteten Spuren ihrer Vergangenheit freizulegen – und ihre eigenen zu sichern. Denn schon jetzt ist der neue Feminismus dieser so bewegten und ideenreichen 70er Jahre Geschichte und droht in Vergessenheit zu geraten. Denn feministisches Denken liegt ja immer quer und hat sich täglich neu zu behaupten gegen den Mainstream der Männermedien.

Seit ich mich mit der Geschichte von Frauen beschäftige, drängt sich mir ein Bild auf: Das Bild eines kleinen Sandhaufens am Meer, der, mühsam aufgeschichtet, immer wieder von gewaltigen Wellen weggespült wird. Und dann geht es wieder von vorne los mit dem Aufschichten…

Die Dokumentation im FrauenMediaTurm will Wissen und Erfahrung von Frauen sichern. Sie reicht von historischen Originaldokumenten (wie zum Beispiel den Tagebüchern der führenden Frauenrechtlerin Minna Cauer, 1841-1922) bis hin zu einer minutiösen Chronik der Neuen Frauenbewegung (mit Original-Arbeitsmaterialien, Flugblättern, Artikeln und Büchern).

In dieser Chronik spiegelt sich die erste Tomate, die Sigrid Rüger am 13. September 1968 dem SDS-Bonzen Hans-Jürgen Krahl an den Kopf warf, ebenso wie die Selbstbezichtigungsaktion der 374 Frauen im „Stern“: „Ich habe abgetrieben und fordere das Recht für jede Frau dazu!“ oder die Eröffnung der ersten Gleichstellungsstelle (1982 in Köln) und die Ernennung der ersten Frauenministerin (1986 in Bonn). Wann entstand wo und unter welchen Bedingungen welcher Gedanke? Wie wurde er aufgegriffen? Wer setzte ihn um?

Das Verfolgen feministischer Spuren zeigt, daß zwischen der ersten Forderung von Feministinnen und einer Beachtung des Problems durch eine breitere Öffentlichkeit im Schnitt zehn Jahre liegen und dabei vieles auf der Strecke bleibt. Das gilt zum Beispiel für die von Frauen geleistete Gratisarbeit, die von Feministinnen seit Anfang der 70er aufgerechnet und von der UNO Ende der 70er aufgegriffen wurde (Frauen machen weltweit zwei Drittel der Arbeit, erhalten dafür zehn Prozent des Lohns und ein Prozent des Besitzes), aber von der Politik erst in den 80ern zögernd thematisiert wurde. Das gilt ebenso für den sexuellen Mißbrauch von Kindern, der im deutschen Sprachraum 1978 erstmals in „Emma“ zur Sprache gebracht und erst Ende der 80er für die übrigen Medien überhaupt Thema wurde. Das gilt nicht für das Recht auf Abtreibung, das seit dem ersten spektakulären Protest 1971 ein tristes Dauerthema ist…

© J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Eröffnung des „Jahres der Frau“, Bonn 1.12.1975 : Frauen demonstrieren vor der Beethovenhalle

Sprache ist der Stoff, in dem wir denken und fühlen. Diese Sprache ist selbstverständlich nicht neutral – und formt schon unsere Gedanken. Spätestens die feministischen Sprachforscherinnen haben bewiesen, daß unsere Sprache „männlich“ ist, weit über das vielzitierte „man“ und „frau“ hinaus. Auch Wissenschaft ist nicht neutral. Über Jahrtausende war gerade sie eine Männerbastion, in die sich Frauen überhaupt erst Anfang dieses Jahrhunderts Einlaß erkämpften. Und es ist für Wissenschaftlerinnen auch heute noch nicht leicht, in dieser weiterhin von Männern beherrschten und definierten Domäne unabhängiges und widerständiges Denken zu üben.

Zum neuen Denken kommen die neuen Methoden: Schon das Instrumentarium, mit dem ein feministisches Archiv die Dokumente erschließt, ist weitgehend neu zu erarbeiten. Für all die neubenannten Probleme schufen nicht nur Feministinnen neue Begriffe. Diese neuen Wörter wurden von den Mitarbeiterinnen des FrauenMediaTurms in den vergangenen Jahren systematisch erfaßt und in den ersten feministischen Thesaurus in deutscher Sprache umgesetzt. Die darin alphabetisch wie hierarchisch aufgelisteten Schlagworte sind Grundvoraussetzung für eine qualifizierte dokumentarische Arbeit. Der Thesaurus erscheint im August 1994 zur Eröffnung des FrauenMediaTurm.

Feministische Arbeit ist immer Pionierarbeit, das macht es so schwer, auch in diesem Falle. Zwar sprießen seit Mitte der 80er die Initiativen zur Archivierung von Frauenthemen an Universitäten und in Frauenprojekten und gibt es inzwischen weltweit ein regelrechtes Netz feministischer Archive. Doch es fehlen die Mittel, die Arbeit der Spurensicherinnen ist meist ehrenamtlich. Und genau das macht das Besondere des FrauenMediaTurms aus: Daß er die Mittel für bezahlte Arbeit und Anschaffung von Dokumenten und Technik hat. Nur darum kann die Nutzung des FrauenMediaTurms so kostenfrei sein wie die Nutzung jeder öffentlichen Bibliothek und die Fernnutzung erschwinglich. Konkret: Ab der Wiedereröffnung Ende August 94 ist der FrauenMediaTurm jeden Dienstag bis Freitag von 14 bis 18 Uhr für Nutzerinnen und Nutzer geöffnet. Sie finden Arbeitsplätze und Beratung in der Bibliothek im 4. Stock. Die Möglichkeit zur Fernnutzung – für Medien, Forschung, Politik – beginnt Anfang 1995 zu funktionieren, da der Aufbau des Dokumentationsservices noch nicht ganz abgeschlossen ist.

„Die Geschichte aller Zeiten, und die heutige ganz besonders, lehrt, daß diejenigen auch vergessen wurden, welche an sich selbst zu denken vergaßen“ – so hat es vor fast anderthalb Jahrhunderten die Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters formuliert. An uns also, selbst unsere Geschichte zu machen und sie zu dokumentieren. Die Geschichte des FrauenMediaTurms ist ein Stück davon und sei darum hier auch aus meiner Sicht zuende erzählt.

© FMT / Bettina Flitner
Zeitschriftenregal in der Bibliothek des FMT

Den Tip, mich für das Archiv um den Bayenturm zu bemühen, bekam ich von einem Architekten. Meine erste offizielle Anfrage, ein Brief 1988 an den damaligen Oberstadtdirektor Kurt Rossa, löste Erstaunen aus, aber auch Geneigtheit. Warum nicht. Warum nicht wenigstens einen der vielen Kölner Wehrtürme (statt wie bisher an einen der zahlreichen Karnevalsvereine) zum Beispiel an ein Frauenarchiv geben? An ein Archiv, das die Medienstadt Köln bereichern würde. An ein Archiv, das den Turm zugänglich machen und ihn dennoch „kostenneutral“ halten könnte (was bedeutet: Die Nutzerinnen zahlen soviel Pachtzins, daß der armen Stadt keine weiteren Unterhaltungskosten entstehen). Das leuchtete nicht nur einer entschlossenen Frauenriege ein, sondern auch einigen Männern in Politik und Verwaltung.

Doch ohne die buntgemischte Frauenriege wäre das Frauenarchiv wohl dennoch nie in den Turm gezogen. Eine Riege, die quer durch alle Parteien ging und zu der die energisch-selbstbewußte Vorsitzende der Kölner Frauenvereinigung, Charlotte von der Herberg (CDU) ebenso gehörte wie ihre engagierte Stellvertreterin der Frauenvereinigung (heute Vorsitzende) und NRW-Landtagsabgeordnete Marita Rauterkus (SPD). Hinzu gesellte sich die damalige, hochgeachtete Stadtkonservatorin Prof. Hiltrud Kier. Vor allem Frau Kier – die die Coolness hatte, nie offen politisch zu argumentieren, sondern immer nur betont konservatorisch – trug entscheidend dazu bei, daß der FrauenMediaTurm in dem von ihr beschriebenen „Krimi“ um den Bayenturm nicht als Leiche endete!

Entschlossen agierte die Frauenfront über all die Jahre – von meinem ersten Schreiben am 14.3.1988 an die Stadt über die Vertragsunterzeichnung am 3.7.1991 bis zum endgültigen Einzug im Frühling 1994 – pro Frauenarchiv und Hand in Hand mit einer wachsenden Minderheit sympathisierender Männer (zu denen sich ohne Zögern auch unser Notar, der Ex-CDU-Vorsitzende Dr. Axel Rodert gesellte).

Zum Glück. Denn ohne diese Unterstützung hätte ich den oft nervenaufreibenden Kampf um diesen so stolzen Ort vielleicht doch irgendwann aufgegeben. Schließlich intrigierte gleichzeitig eine entschlossene Front gegen das Frauenarchiv, und das vor allem hinter den Kulissen. Dabei spielten die Grünen bedauerlicherweise eine hervorragende Rolle. Anscheinend haben sie mir nie verziehen, daß nicht die von ihnen favorisierte Jazzhaus-Schule den Zuschlag für den Turm erhielt, sondern ein feministisches Archiv. Hinzu kommt, daß sie, wie alle männerbeherrschten „fortschrittlichen“ Politverbände, im Dauerkonflikt mit den autonomen, den wirklich unabhängigen Feministinnen stehen. Wie lange dieser Konflikt schon schwelt und welche politischen Hintergründe der Kampf der Linken gegen die Feministinnen hat (von der Querelle des femmes im 15. Jahrhundert bis zum Spott der Studentenbewegung im 20.) – auch das ist im FrauenMediaTurm nachzulesen.

Da ist es fast ein Wunder, daß das Archiv doch noch in den Turm eingezogen ist. Hinzu kam der Glücksfall, daß der FrauenMediaTurm für den Innenausbau des Turms eine Architektin gewinnen konnte, deren Arbeit selbst ein Stück feministischer Utopie verkörpert.
Dörte Gatermann (Architekturbüro Gatermann + Schossig) setzte rigoros das Konzept eines „modernen Kleides im historischen Mantel“ durch. Die strikte Funktionalität und Sachlichkeit ihrer Architektur wird vollkommen durch die Sinnlichkeit und Harmonie von Farben und Formen, die bis ins letzte Detail geht. Hier vereinen sich die angeblich „weiblichen“ oder „männlichen“ Qualitäten ganz einfach zu Qualität. Bei Gatermanns Architektur steht der Mensch im Mittelpunkt – gleichzeitig aber ist ihre Architektur eine Herausforderung für den Menschen. Und ein Vergnügen. Es ist einfach schön, in diesen Räumen zu arbeiten!

Da das Frauenarchiv, dank der bürokratischen Mühlen, die bekanntlich langsam mahlen, erst mit zwei Jahren Verspätung einziehen konnte und das dann immer noch in eine regelrechte Baustelle, hatten wir Muße zu beobachten, wie die Mehrheit der am Wiederaufbau und Ausbau beteiligten Männer sich der Qualität der Architektur nicht entziehen konnten und nun auch ihrerseits ihr Bestes lieferten. Doch als „die Frauen“ dann wirklich einzogen, wurde es einigen mulmig. Ziehen denn hier wirklich nur Frauen ein? Wollen Sie ganz alleine in dem Turm bleiben? Und wo ist ihr Chef? So und ähnlich lauteten die Sprüche… Spätestens bei der Eröffnung wird klar werden: Dieser Turm ist keineswegs eine Nummer zu groß für Frauen. Höchste Zeit, die Männergeschichte der Türme dieser Welt durch die Frauengeschichte zu ergänzen!

Nicht zufällig sind „Feministinnen der ersten Stunde“, Pionierinnen der Neuen Frauenbewegung stiftungsrechtlich und für die politische und wissenschafltiche Konzeption des FrauenMediaTurms verantwortlich. Mit mir im Vorstand der Stiftung ist die Berliner Psychologin Dr. Ursula Scheu („Man wird nicht als Mädchen geboren, sondern dazu gemacht“) und die Pariser Pädagogin Anne Zelensky (unter anderem Präsidentin der „Liga für Frauenrechte“). Die Besetzung des Beirates, der dem Vorstand beisteht, spiegelt die Spanne des politischen und fachlichen Spektrums, für die der FrauenMediaTurm steht. Im Beirat des FrauenMediaTurms sind heute: Anke Brunn, Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen; Dr. Anita Heiliger, Soziologin und Jugendforscherin in München; Tobe Levin, Soziologin und Frauenforscherin in Frankfurt; Prof. Sigrid Metz-Göckel, Leiterin des Hochschuldidaktischen Zentrums der Universität Dortmund; Prof. Renate Möhrmann, Professorin für Theater, Film und Fernsehen in Köln und Wien; Ayla Neusel, Soziologin und Leiterin der Gesamthochschule Kassel; Prof. Heide Pfarr, Professorin für Recht an der Universität Hamburg (und Ex-Ministerin in Hessen und Berlin); Dorothee Reinhold, Informationswissenschaftlerin und Diplom-Dokumentarin bei der Landesanstalt für Rundfunk in Düsseldorf; Prof. Eva Rieger, Professorin für Musik an der Universität Bremen; Prof. Rita Süssmuth, Präsidentin des Deutschen Bundestages; sowie Dorothee Vorbeck, Pädagogin (und Staatssekretärin a.D.) in Frankfurt.

Die Arbeit des FrauenMediaTurms ist und bleibt der Aufklärung verpflichtet. Die Frau ist frei geboren. Dazu, daß sie auch frei leben kann, will der FrauenMediaTurm in Zukunft beitragen. Die Kölner Legende will, daß beim Erstürmen des Bayenturmes im Jahre 1262 erstmals der Ruf erschallte: Kölle alaaf! (Kölner voran). Ab sofort gilt bei Annäherung an den Turm der Schlachtruf: Wiever alaaf!

Alice Schwarzer, Juli 1994

Quelle: Schwarzer, Alice (Hrsg.): Turm der Frauen – Der Kölner Bayenturm. Vom alten Wehrturm zum FrauenMediaTurm. Köln: DuMont, 1994. S.52 – 68.

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