Rudolf Augstein: Die Frauen schlagen zurück

Rudolf Augstein, 1978

Es soll ja schon vorgekommen sein, daß eine Illustrierte, Zeitschrift oder Zeitung auf dem Frontblatt eine nackte Frau gezeigt hat, um den Kaufreiz zu kitzeln. Es soll sich sogar ereignet haben, daß eine nackte, grobe Geschmacklosigkeit am Kiosk zu sehen war. Was tun?

Man kann weggucken. Man kann das Blatt nicht kaufen. Man kann beschließen, das Blatt nie mehr zu kaufen. Man kann den Deutschen Presserat anrufen und so erklärtermaßen Anstoß nehmen. Man kann den Staatsanwalt bemühen, wegen Pornographie-Verdacht

Das alles kann man tun. Zehn Frauen aber, die am „Stern“ Anstoß genommen haben, fühlten sich kollektiv beleidigt und verklagten die Illustrierte auf Unterlassung in der Zukunft. Was soll unterlassen werden?

Die Klägerinnen dadurch zu beleidigen, daß auf den Titelseiten des Magazins „Stern“ Frauen als bloßes Sexualobjekt dargestellt werden und dadurch beim männlichen Betrachter der Eindruck erweckt wird, der Mann könne über die Frau beliebig verfügen und sie beherrschen.

So steht es in der Zivilklage, die von der renommierten Hamburger Rechtsanwältin Gisela Wild vertreten wird. Ein Jux? Leider nicht. Wohl verspricht die Hauptverhandlung etliche Gaudi. Aber die Frauen, unter ihnen einige mit bekanntem Namen, stapfen wie von Sinnen in eine üble Meinungs- und Geschmacksdiktatur.

Wenn die Sängerin Anna Moffo darauf besteht, ohne merklichen Kunstdruck nackt zu posieren, so können sich künftig zwei bis zweihundert Frauen kollektiv für ihr ganzes Geschlecht beleidigt fühlen und gegen die Direktion bei der zuständigen Zivilkammer auf Unterlassung klagen. Hat die Moffo mehr kassieren, hat sie Furore machen wollen? Hat die Direktion durch den „gewagten“ Eklat die Ränge geefülll? Kann sein, kann sein auch nicht.

Nur, wer sagt uns, daß eine Sängerin wirklich weiß, was sie will? Daß sie nicht bloß und bei getrübtem Bewußtsein ausgenutzt wird, als „singendes bloßes Sexualobjekt“ gewissermaßen? Vielleicht hat der pfiffige Regisseur nichts anderes im Sinn gehabt, als beim männlichen Betrachter den Eindruck zu erwecken, der Mann könne über die Frau beliebig verfügen und sie beherrschen? Her mit dem geschmackssicheren Landgericht, her mit der Zensur!

Es mag für tragisch angesehen werden oder nicht, aber die meisten der kämpferischen oder auch nur anhängselnd mitstapfenden Frauen diskriminieren durch ihren Mangel an Selbstwertgefühl das von uns allen aufs innigste zu wünschende Ziel der Nicht-mehr-Benachteiligung der Frau. Wie soll man ein Anliegen ernst nehmen, das so ehrverletzend dahinstelzt, ehrverletzend für Verstand und Vernunft dieser selbsternannten Mini-Minderheit-Mehrheit?

Die Personengruppe der Beamten etwa, die anders als die Frauen, immer noch nicht die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, wird üblicherweise als faul, borniert, dümmlich oder sonstwie diskriminierend abgeschildert und karikiert. Soll sie künftig per Zivilkammer gegen gerechte oder ungerechte Darstellungen vorgehen dürfen? Das wäre das Ende der Meinungsfreiheit.

Oft ist „Haß gegen die betroffene Personengruppe“ (Wild) im Spiel, hier gegen die Beamten. Aber auch jener Täter soll laut dem Vorbringen der zehn Frauen an einer herabsetzenden Darstellung gehindert werden, der „ohne eine solche Zielsetzung handelt, aber doch erkennt, daß seine Herabsetzung alle zu dieser Gruppe gehörenden Personen betrifft“, in unserem Beispiel die Beamten.

Zwar haßt der CDU-Mann die SPD-Leute nicht, aber er diskriminiert sie als eine potentiell rote Truppe — her mit dem Unterlassungsrichter. Die zehn Klageweiber hatten die Stirn und den seltenen Geschmack, „die Frauen“ — die Mehrheit der Bevölkerung also — mit den in Deutschland lebenden und nicht von den Nazis ermordeten 30 000 Juden zu vergleichen, da beide Gruppen je für sich „durch ein gemeinsames Schicksal der Diskriminierung zu einer Einheit verbunden“ seien — Realitätsverlust hoch drei.

In Meyers Lexikon von 1907 hieß es über den Uppigkeitsmaler Peter Paul Rubens: „Die Frau wird so dargestellt, als sei sie männlicher sexueller Lust jederzeit verfügbar und unterstehe damit seiner Beherrschung.“ Ein vorausschauender Enzyklopädist, denn eben dieser Salz, der einzig wesentliche, findet sich im Schrifisatz Gisela Wilds (für Dumme: Der Satz steht nur bei Frau Wild, nicht im Meyer von 1907).

Sie selbst trägt vor, dieser Satz sei wesentlich. Es komme nicht darauf an ob man Bilder von vor allem ästhetisch schönen Frauenkörpern wähle — in den Keller mit Rubens und erst recht mit Maillol. Es gehe auch nicht um die Tatsache, daß das Bekenntnis dieser Nacktheit und Sexualität zur weiblichen Emanzipation gehöre — aha, das gehört also nicht dazu. Woher wissen Meysel, Schwarzer und Margarete Mitscherlich, wer die weibliche Emanzipation (und dazu die Auflage) im Sinn hat und wer ein ästhetisch die Männer aufregendes Bild (und die Auflage)?

Ob die Photographen von zensurgierrigen Emanzen gegängelt werden woller.? Und was ist mit jenem weiblichen Modell, das sich emanzipatorisch als Lustobjekt erlebt (Gage inbegriffen und den nackten Hintern exhibitionieren will? Gehört ihr Bauch, ihr Hintern nicht ihr? Müssen nun die nackt oder halbnackt tätigen Photomodelle gegen die Wild-Riege zum Landgericht eilen und auf Unterlassung der sie als Gruppe diskriminierenden Behauptung klagen, ihr Beruf erschöpfe sich darin, daß sie als Instrumente der Frauenunterdrückung herhalten müßten?

Woher wissen die zehn eigentlich welcher Eindruck beim männlichen Betrachter erweckt wird, wenn er eine ästhetisch schöne Frau sieht, sei sie gemalt, photographiert oder mit Mezzosopran? Eben der Eindruck, den die meisten der gutsituierten und gutausehenden Protestlerinnen erwecken wollen, sei es bei Männern oder bei gleichgeschlechtlichen Partnern. War Jezabel, die geschmückt für den Mörder ihres Sohnes am Fenster stand nichts weiter als ein Produkt der Männerherrschaft?

Warum renne ich nicht zu Richter Engelschall, Zivilkammer 24 in Hamburg? In meinem männlichen ästhetischen Wertverständnis hat man mich diskriminiert und beleidigt, als ich, auf öffentlicher Mattscheibe, schlechte Verse von einer Nackten hören und eine exzellente Cellistin nackt fiedeln sehen sollte. Ich war nicht auf der Höhe, ich habe nur abgeschaltet?

Warum inseriert der Verkehrsverein der ehrwürdigen Stadt Basel im SPIEGEL mit einem entstrippten Nachtklubgirl? Damit der Südland-Reisende in Basel einen Unterbruch einlegen und seine Frau schon am ersten Ferienabend in einen Nightclub ausführen kann (vulgo: um die Auflage zu erhöhen). Alice, Basel künftig meiden!

Warum drängen Männer wie Frauen darauf, daß Frauen im städtischen Freibad „oben ohne“ herumlaufen dürfen? Die Frauen, um sich und anderen zu gefallen, die Männer, um demnächst ihr Gemächte frei spazierentragen zu dürfen. Warum drängen Männlein wie Weiblein in die Gemeinschaftssauna? Um einander zu sehen und, bei Gefallen, entschwitzt näherzutreten. Auch ich kann doch nichts dafür, daß Männer auf Bildblättern lieber nackte Frauen sehen als umgekehrt Frauen nackte Männer: Mir scheint, die Frauen haben einen bewundernswert strengeren Anspruch, und ein Stück Jahrtausend-Geschichte oder gar Biologie ist auch dabei.

Also hätten all jene Frauen unrecht, die in der Benachteiligung im Lohngefüge, die gegen Diskriminierung im Lohn, die gegen pornographische Darstellung von Frauen auf Illustrierten und Magazinen wütend reagieren? Mitnichten. Sie sollten aber nachdenken, wo die Wut echt und wo sie mit doppeltem Boden ausgestattet ist. Und aus blinder Wut sollten sie nicht die politische Rechtsordnung zerstören helfen, die allein abhelfen kann, sei sie nun von Männern geschaffen oder nicht.

Bei Frau Wild erfahren wir, auch die „Frauen in anerkannter sozialer Position“ (siehe Mitscherlich, Wild, Meysel, Trotta, Vorbeck) litten unter der noch immer bestehenden gesellschaftlichen Benachteiligung gegenüber dem Mann, „unter Behinderung und häufig auch Unterdrückung“. Das ist nicht, wie Frau Wild meint, „gerichtsbekannt“, sondern egozentrische Unkenntnis, ärgerliches Selbstmitleid.

Einen Punkt allerdings kann die Zweite Vorsitzende des Juristinnenbundes, Gisela Wild, für sich buchen. Auf das — ausgetauschte — Titelbild des ..Stern“ vom 8. Juni dürfte ihre Beschwerde zutreffen. Hier war Unterlassung angebracht. Der verantwortliche und von den zehn Frauen beklagte Chefredakteur Nannen hat dasTitelbild demgemäß mitten aus dem Produktionsprozeß gerissen und durch ein ebenso unattraktives, aber einschlägig unbedenkliches ersetzt; er hat aus freien Stücken und kostspielig und spektakulär „unterlassen“. “ Die Frauenklage sollte also wohl besser lauten: Was Nannen ohnehin unterläßt, soll er nachträglich zu unterlassen auch noch verurteilt werden.

Fraujeh, Herrjeh, ihr gestandenen Berufllerinnen, unterlaßt doch diesen zweischneidigen Unfug! Oder liefert uns in der mündlichen Verhandlung am 14. Juli wenigstens handfesten Zirkus.

(Quelle: Der Spiegel, 03.07.1978)

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