Anita Augspurg, 1899
In Nr. 2 dieses Jahrganges ist in einer kurzen Mitteilung aus München einer Sache Erwähnung geschehen, deren Bedeutung dazu angetan ist, sie momentan in den Vordergrund des Interesses der Frauen aller Länder zu stellen. Es handelt sich um nichts geringeres, als um eine internationale Demonstration zu Gunsten der Friedensbestrebungen unmittelbar vor der Petersburger Friedenskonferenz, wie sie von Frau Marg. Lenore Selenka in Anregung gebracht ist. Um von vornherein jedem Mißverständnisse zu begegnen, sei vorausgeschickt, daß es lediglich auf die Stellungnahme der Frauen aller Kulturländer gelegentlich eines aktuellen politischen Ereignisses abgesehen ist, ohne jegliches Einschwören der bestehenden organisierten Friedensbestrebungen. Ebensowenig wollen die mehr oder weniger utopistischen Schlagwörter von allgemeiner Abrüstung, von plötzlichem und unverbrüchlichen Friedensverträgen etc. unsere Parole des Tages werden: keine Frau braucht zu befürchten, der einseitigen Schwächung der Streitmacht ihres eigenen Vaterlandes das Wort reden zu sollen, wie Spötter und Chauvinisten so gern glauben machen.
Auf was es aber ankommt, das ist, der großen Idee jenes Petersburger Kongresses Nachdruck und Rückhalt zu verschaffen, den unhaltbaren und unerträglichen Zuständen, den wirtschaftlichen und sozialen Kulturschädigungen des „bewaffneten Friedens“ die Fortentwicklung im bisherigen Maße abzuschneiden. Diese Idee ist so groß, so folgenschwer, daß ihre nachdrückliche Betonung unserem Jahrhundert einen höheren Ruhm in der Kulturgeschichte sichern kann, als alle seine weittragenden Erfindungen. Das scheidende 18. Jahrhundert ließ in der großen Revolution allen Völkern eine Aufgabe zurück, deren Lösungsversuche dem unsrigen die geistige Signatur gegeben haben; sendet das neunzehnte an seiner Wende die These in die Welt, daß der Krieg gesitteter Völker gegeneinander ein Lohn auf ihre Gesittung und des heutigen Kulturstandes unwürdig ist, daß die Aufzehrung der besten Volkskräfte in maßlosen Kriegsrüstungen ein Widersinn, eine Selbstvernichtung, ein Grab für die Fortentwicklung von Kultur, Wohlstand, sozialem Leben ist – dann hinterläßt es der kommenden Zeit ein Vermächtnis, so groß und würdig, daß es selbst durch den Geist seiner Gabe geadelt wird.
Die Petersburger Konferenz mag verlaufen, wie sie will: im Zeichen der Verwirklichung ihrer Idee wird die Arbeit des neuen Jahrhunderts liegen und bedarf es vielleicht eines Jahrhunderts und mehr – wie des Ideen der französischen Revolution – um ihren inneren Gehalt um Gemeingut der Völker zu machen, – an uns ist es, zu betonen, daß wir in ihrem Morgenglühen die neue Zeit erkennen und ihrer Mission zujauchzen.
Frauen verstanden den großen befreienden Gedanken der französischen Revolution: Frauen haben nicht zum kleinsten Teile seine Reime gepflegt, seine Wege geebnet, des sind die Reminiscenzen der Pariser Salons Zeuge; Frauen haben zur Zeit seiner blutigen Bethätigung begeisterungsvoll für ihn gestritten und gelitten, des sind die traurigen Listen der Opfer der Guillotine Zeuge, die nahezu so oft von „Bürgerinnen“ wie von „Bürgern“ reden. Aber zunächst fast nur französische Frauen erfaßten den Inhalt der Proklamation der Menschenrechte, und leicht war es, die wenigen zurückzuweisen von der Schwelle des öffentlichen Lebens, die sie kaum überschritten.
Der heutige Ruf nach der Vernichtung des Gewaltrechtes wird gehört von den Frauen aller Länder, er muß bei ihnen Widerhall finden, denn er spricht nur aus, aufs allgemeine übertragen, was ihrer aller gemeinsames Streben und Kämpfen seit Jahrzehnten beherrscht und trägt. Kein Gedanke ist in gleicher Weise fähig wie dieser, in sich die Sympathien der Frauen der ganzen Welt zu konzentrieren, gleichsam einen Brennpunkt zu bilden, in welchem sei aus allen Völkern, jedem Glauben, allen Ständen, allen Klassen ihre Wünsche und ihren festen Willen zusammenfließen lassen, um in scharfem, schlagendem Lichte das Signal durch alle Welt zu schleudern: Wir wollen Gerechtigkeit, wir wollen Kultur! Wir wollen statt aller jener verschwendeten Milliarden Förderung von Kunst, von Wissenschaft, von Erziehung und Gesundheit, von Volkswohl und Menschenrecht!
Wenn die Frauen mit diesem einheitlichen Rufe in die internationale Politik eintreten, so wird man sie nicht zurückweisen können. Wenn sie in einer Solidarität, die die Erde umspannt, vor der Petersburger Konferenz erscheinen, so wird es einen Markstein in der Geschichte bedeuten und werden die Arbeiten der Konferenz eine Unterstützung erhalten, die sie vor der Gefahr einer gänzlichen Resultatlosigkeit sichert.
An den Völkern ist es, die Bestrebungen ihrer Regierungen in diesem Werke zu stützen, unter den Völkern dürfen die Frauen nicht zurückstehen. Möglichst an einem Tage sollen sie in allen Ländern zusammenkommen, in großen und kleinen Städten sollen sie öffentlich erklären, daß sie den Frieden wollen und von den Arbeiten ihrer Abgesandten in diesem Sinne greifbare Konsequenzen erwarten. Gleich einem mächtigen Glockenklange sollen die Botschaften der Frauen an jenem Tage durch Länder und Meere die Schwestern grüßen: von Philadelphia nach Moskau, von Stockholm nach Rom, von San Francisco nach Paris, von London nach Berlin, von Amsterdam nach Wien und in jedem Lande von Stadt zu Stadt ein einziger Schall und Widerhall!
Wer könnte sich der Größe und dem Eindrucke solcher Kundgebung verschließen? Nichts könnte so die Macht und die Einheitlichkeit der Frauenbewegung zum Ausdruck bringen, nichts könnte aber auch solchen Einfluß auf die Tagung der Konferenz üben. Kein internationaler Kongreß kann in so schlagender Weise die Kraft der solidarischen Frauenorganisation beleuchten, wie diese Demonstration, die mit verhältnismäßig geringen Mitteln ins Leben zu rufen ist: nur ein wenig Detailarbeit in jedem Lande und aus hundert Quellen fließt ein mächtiger Strom zusammen.
An alle Frauen des In- und Auslandes ergeht die Aufforderung, sich mit dem dargelegten Gedanken vertraut zu machen, der schon hie und da eine warme Aufnahme gefunden hat. Wiederum sind es die Frauen Frankreichs, die, kaum daß er ihnen mitgeteilt worden ist, ihn begeistert erfaßt haben und schon an seiner Verwirklichung zu arbeiten beginnen; blieben sie vor 100 Jahren und mehr vereinsamt unter ihren Schwestern, so möge heute ein Wettbewerb von Land zu Land um alle Frauen ein Band schlingen. Auch die holländischen Frauen sind dem Gedanken einer internationalen Frauenkundgebung näher getreten, in Skandinavien deuten die Symptome auf gleichen Erfolg: daß doch auch die Frauen Deutschlands, in deren Mitte dieser Gedanke geboren ist, einem großen Momente groß begegneten!
(Quelle: Augspurg, Anita (1899): Die internationale Friedenskundgebung. – In: Die Frauenbewegung : Revue für die Interessen der Frau, Nr. 3, S. 25 – 26)