Mädchenhandel : Herrn Zevi Aberson, Vertreter der Jüdischen Welthilfskonferenz bei den internationalen Institutionen in Genf

Bertha Pappenheim, 1922

Der Jüdische Frauenbund bittet Sie, sehr geehrter Herr Aberson, als Vertreter jüdischer Interessen bei den Beratungen des Völkerbundes dahin zu wirken, daß die Frage der Bekämpfung des Mädchenhandels vor diesem Forum zur Sprache komme.

Wir wissen, daß die Frage des internationalen Mädchenschutzes schon Gegenstand des Interesses sehr maßgebender, dem Völkerbunde nahestehender Kreise ist, aber es ist sachlich von großer Wichtigkeit, daß man den Mädchenschutz, wie er sich als prophylaktische Arbeit der Bahnhofsmission, der Mädchenschutzhäuser, der Paßämter und Auswanderhilfe, der Aufsicht von Schiffahrt usw. darstellt, strenge von dem Verbrechenkomplex trennt, der unter dem Kennworte des Mädchenhandels zusammengefaßt wird. –

Zwar ist das Verbrechen des Mädchenhandels sowohl in seinen Ursachen wie in seinen Folgen, den wirtschaftlichen, den sozialen, den hygienischen, gesetzgeberischen und moralischen ein internationales und interkonfessionelles, aber da alle an der Beurteilung der Verhältnisse beteiligten Kreise der Welt der Ansicht sind

I. daß die Juden einen starken, wenn auch kryptogamen Anteil an dem Verbrechen des Mädchenhandels haben – sowohl an den Teilhandlungen in der Kuppelei, im Bordellwesen wie in der Förderung der Verbindung zwischen freier oder geheimer Prostitution mit den verhüllten und brutalsten Formen des Mädchenhandels, und

II. daß vornehmlich in Ost-Europa, im Orient und in Südamerika, aber auch sonst in vielen Großstädten – viele jüdische Mädchen sich der gewerbsmäßigen Unzucht preisgeben,

glauben wir jüdische Frauen, daß eine doppelte Veranlassung vorliegt, gerade von jüdischer Seite das komplizierte Problem des Mädchenhandels vor der breitesten Oeffentlichkeit zur Sprache zu bringen,

1. um eine allgemeine Bekämpfung zu ermöglichen und

2. um von seiten der sich ihrer ethischen und sozialen Mission bewußten Juden, sei es Tatsachen oder sei es Irrtümern gegenüber, mit der Kraft des guten Willens und des guten Gewissens an die Erforschung und Bekämpfung des Mädchenhandels, dieser die Menschheit beschämenden sozialen Krankheit, zu gehen.

Wir jüdischen Frauen hoffen, daß, wenn eine Organisation wie der Völkerbund eine Aufgabe unternimmt, die allen Frauen der Welt als eine von höchster sittlicher Bedeutung erscheinen muß, dies eine das Völkergewissen befreiende Tat für Männer und Frauen sein wird. –

Für den Jüdischen Frauenbund.
gez. Bertha Pappenheim, Vorsitzende.

(Quelle: Pappenheim, Bertha (1922): Mädchenhandel : Herrn Zevi Aberson, Vertreter der Jüdischen Welthilfskonferenz bei den internationalen Institutionen in Genf. – In: Sysiphus-Arbeit : 2. Folge. – Berlin : Levy, S. 7 – 8)

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