Ditié de Jeanne d’Arc

Christine de Pizan, 1429

„Und Du, gesegnetes Mädchen, darfst Du jemals vergessen werden, der Gott so viel Ehre zuteil werden ließ, so daß Du die Fesseln, die Frankreich banden, lösen konntest? Kann man Dich je genug loben dafür, daß Du diesem vom Kriege mißhandelten Land Frieden brachtest? Gesegnet sei, der Dich schuf, Jeanne, die Du in einer glücklichen Stunde geboren wurdest…. Wie Moses Gottes Volk aus Ägypten führte, so hast Du uns aus dem Übel geführt.“ (Vers 21-23)

„Wenn Gott solch eine große Zahl von Wundern durch (Moses und) Joshua vollbrachte, so darf doch nicht vergessen werden, daß Joshua ein Mann war. Aber (in Frankreich) wirkte eine Frau – eine einfache Schafhirtin – tapferer als je ein Mann in Rom war. Für Gott ist das zwar eine Kleinigkeit, aber was uns angeht, so hörten wir noch nie von einem solch außergewöhnlichen Wunder, denn die Tapferkeit all der großen Männer der Vergangenheit kann nicht verglichen werden mit dem Wagemut dieser Frau, deren Aufgabe es war, unsere Feinde zu vertreiben. Das war Gottes Wirken: er leitete sie und gab ihr ein stärkeres Herz als allen Männern.“ (Vers 25 f.)

„Oh welche Ehre für das weibliche Geschlecht! Es ist klar und deutlich, daß Gott es besonders schätzt, da er in einer Zeit, als alle diese schrecklichen Leute, die das Königreich zerstörten, durch eine Frau überwunden und als Verräter überführt wurden. Das hätten 5000 Männer nicht tun können!“ (Vers 34)

„Ein junges Mädchen von 16 Jahren – ist das nicht ganz übernatürlich – das das Gewicht der Waffen, die sie trägt, kaum spürt – ihre ganze Erziehung scheint nur für diese Mission angelegt gewesen zu sein, so stark und entschlossen ist sie. Und ihre Feinde fliehen vor ihr, nicht einer kann ihr widerstehen. Sie tut das so, daß alle es sehen können, und verjagt ihre Feinde aus Frankreich, erobert Festungen und Städte zurück. Sie ist der oberste Heerführer über all unsere tapferen und fähigen Männer. Weder Hektor noch Achilles hatten solche Stärke! Das hat Gott bewirkt: er führte sie.“ (Vers 35 f.)

„Ich habe von Estehr, Judith und Deborah gehört, die Frauen von großer Bedeutung waren und durch die Gott sein Volk aus der Unterdrückung rettete, und ich habe auch von anderen tapferen Frauen gehört, die alle Heldinnen wurden, und durch die Gott viele Wunder geschehen ließ, doch die größte Heldentat vollbrachte die Jungfrau Jeanne.“ (Vers 38)

(Textauszüge aus: Pizan, Christine de (1429): Ditié de Jehanne d’Arc. – In: Jeanne d’Arc oder Wie Geschichte eine Figur konstruiert. – Röckelein, Hedwig [Hrsg.] ; Schoell-Glass, Charlotte [Hrsg.] ; Müller, Maria E. [Hrsg.]. Freiburg im Breisgau [u.a.] : Herder, 1996, S. 118-120; Ausführlicherer Text in: Pisan, Christine de (1429): Ditié de Jehanne d’Arc. – Kennedy, Angus J. [Hrsg.] ; Varty, Kenneth [Hrsg.]. Oxford : Society for the Study of Mediaeval Languages and Literature, 1977, 103 S.)

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