Hedwig Dohm 1900 über antifeministische Klischees, kurze Haare und kurzen Verstand
Feindseligkeiten von absoluten Gegnerinnen der Frauenfrage dürften uns nicht Wunder nehmen. Wenn Frauen, die als Mütter, Gattinnen und Hausfrauen ein volles Genügen finden, von ihrer Persönlichkeit, ihren Bedürfnissen ausgehend, sich den radikalen Frauenbestrebungen gegenüber feindlich verhalten, so haben sie, eben vermöge ihrer Persönlichkeit, eine gewisse Berechtigung für ihren Standpunkt, wir können ihn wenigstens verstehen. Wenn aber freidenkende Schriftstellerinnen, die selbst der Enge des Hausfrauentums entschlüpft, im goldenen Licht der Freiheit atmen, sich mit despotischer Heftigkeit gegen die Radikalen wenden, so machen sie sich einer Undankbarkeit sondergleichen schuldig, da sie doch schon die Früchte ernten von dem, was jene gesät, und wir haben das Recht, sie zurückzuweisen. Die Angriffe unserer Widersacherinnen richten sich zumeist gegen die Frauenrechtlerinnen, die man willkürlich von anderen Frauengruppen absondert, selbst wenn letztere in ihren Grundanschauungen und Endzielen mit ihnen übereinstimmen. Fast scheint es, als spräche bei dieser Antipathie das Wort „Frauenrechtlerinnen“ mit. Es schmeichelt sich nicht gerade ins Ohr. Warum beseitigen wir nicht ein schlechtklingendes Wort, das noch dazu von unseren Gegnern ersonnen ist, und das einen etwas ironischen, nörglerischen Beigeschmack hat! Die Bezeichnung „Radikale“ oder „äußerste Linke“ dürfte genügen. Radikal heißt wurzelhaft und bezeichnet am besten das Wollen und Handeln jener streitbaren Frauen, die die Axt an die Wurzel der Übel legen.
Was (den Vorwurf der) äußeren Vermännlichung betrifft, so muss ich allerdings zugeben, dass zwei bis drei unter den Berliner Radikalen kurzgeschorenes Haar tragen, aber aufrichtig gesagt, ich habe diese Frisur mehr auf weibliche Koketterie (sie steht ihnen sehr nett) zurückgeführt, als auf den Drang, Männer werden zu wollen. Sie folgen damit einfach der Mode, an der alle anderen Damen, auch die von der Frauenfrage gänzlich Unangekränkelten, partizipieren. Altmodische Gegner fügen wohl zur Vervollständigung des Bildes noch Ältlichkeit, ein Organ, das zum Kreischen neigt, einen Kneifer und eine spitze, schnüfflige Nase hinzu.
Und der Radikalen Seelenabnormität, ihre innere Vermännlichung? Draufgängerischen Tatendrang sagt man ihnen nach, geistiges Akrobatentum, viel Ellenbogen, Haare auf den Zähnen. Man wirft ihnen vor, dass sie Männer werden wollen, dass sie in dem heiligen, weiblichen Beruf der Mutter eine Entwürdigung der Frau sähen, dass sie antireligiös wären. (So? Und erstreben nicht nur das Amt der Seelsorgerin, sondern üben es auch in Amerika schon aus.)
Die einen behaupten, die Radikalen wollen die Familie vernichten und die freie Liebe einführen, andere im Gegenteil schieben ihnen die Absicht unter, die Liebe mit Stumpf und Stiel auszurotten und was des Unsinns mehr ist. Dass einzelne prononcierte Persönlichkeiten in der Agitation für Frauenrechte Antipathien erregen, ist sicher, aber völlig gleichgültig. Die Frauenfrage ist doch keine Personenfrage. Und warum sollen denn gerade diese Ruferinnen im Streit vorzugsweise Sylphiden, Madonnen, Äolsharfen sein? Wer mauerfeste Vorteile stürzen will, bläst nicht Schalmeien, wenn es auch nicht gerade Posaunen zu sein brauchen! Ich wähle zur Unterlage meiner Verteidigung der Radikalen die Schrift „Missbrauchte Frauenkraft“. Ich wähle Ellen Key, weil sie die gefährlichste unserer Gegnerinnen ist, denn mit Erstaunen habe ich wahrgenommen, dass selbst Frauen radikaler Denkart dieser Hohenpriesterin der Phrase huldigen. „Alles Gutgesagte wird geglaubt“, sagt Nietzsche, und da Goethe dasselbe fast mit denselben Worten sagt, wird es wohl wahr sein. Das Motto ihrer Schrift heißt: „Des Weibes Geschichte ist Liebe.“ Liebe für die ganze Menschheit? gewiss, das heißt mit Ausnahme der Frauenrechtlerinnen, die zu vernichten sie „den Eid Hannibals“ geschworen hat. Aus dem Sündenregister, das sie der gefährlichen Rotte der Unweiber vorhält, greife ich das Wesentliche heraus: „Die Frauenrechtlerinnen wollen, die Frauen sollen männlicher, energischer erzogen werden, um ganz und gar in ihrer Arbeit aufgehen zu können. Man hört von ihnen (man? wer? ich nicht) die Äußerung, das Zölibat sei der würdigste Zustand für die Frau. Es sei ein Rest von niedrigen Instinkten, wenn sie es nicht vorzieht, sich zu einem Intelligenzwesen zu entwickeln, statt zu einem Geschlechtswesen, falls sich nicht beides vereinen lässt.“ – Ja, da eben liegt der Hase im Pfeffer. Diese Emanzipierten glauben nämlich samt und sonders, dass sich beides vereinen lässt.
Fassen wir zusammen, worin sich die Radikalen von den Gegnerinnen a la Ellen Key unterschieden: Beide Frauengruppen fordern dieselben Bildungsmöglichkeiten, dieselben Rechte und Freiheiten, wie sie das Gesetz dem Manne gewährleistet. Die Repräsentantinnen der Reaktion verlangen diese Rechte aber nur zur privaten Daseinslust der Frau, oder insoweit sie ihrer Mütterlichkeit zugute kommen. Und sie knüpfen daran die Bedingung, dass der Gebrauch der Freiheit ihre weiblichen Eigentümlichkeiten nicht schädige.
Die Radikalen fordern alle Freiheiten und Rechte unbedingt und uneingeschränkt, in der Meinung, dass aus lauter Bisschen (ein bisschen Freiheit, ein bisschen Beruf) doch nur etwas An- und Zusammengeflicktes wird. Und ihr Hauptgesichtspunkt dabei ist die ökonomische Selbständigkeit der Frau, ohne welche ihrer Meinung nach (es ist auch die meine) alle übrigen Rechte illusorisch sind.
Für Ellen Key ist „der bedeutungsvolle Zug am Schluss des Jahrhunderts: die Rückkehr zum eigenen (weiblichen) Ich, zur Urnatur, zu dem Großen, Geheimnisvollen, das unsere Lebensquelle ist.“ Wir fürchten uns aber nicht vor dem schwarzen Mann, und wir bleiben dabei und schreiben es frohgemut auf unsere Fahne: „Wir brauchen nicht zu sein, was wir nicht sein wollen, und wir wollen nicht sein, was wir nicht sein können.“
(Quelle: Dohm, Hedwig (1900): Frauen mit kurzen Haaren. – In: EMMA, Nr. 5, 2006, S. 49)