Die Stellung der Frau zur Kunst und zum – Mann

Gedanken bei der Lektüre eines im heiligen römischen Reich deutscher Nation konfiszierten Buches von * * *

Johanna Elberskirchen, 1888

Gewisse ästhetische Theetischler stellen folgende Paradoxe als unantastbare Dogmen auf:
1) In der Kunst wie in der Schriftstellerei giebt es einen Geschlechtsunterschied, d.h. die Kunst zieht dem Manne männliche Grenzen, der Frau weibliche Grenzen. Die „weiblichen Kunstgrenzen“ heißen: Keller und Küche und Kaffeeklatsch; über die, Weib, darfst Du nicht hinaus! Thust Du es dennoch und trachtest danach, den Kunstidealen des Mannes gerecht zu werden, dann entkleidest Du Dich aller „zarten Empfindung“, alles „weichen Gefühls“ und aller „Herzensreinheit“ und verfällst einem Materialismus, der Deine Indvidualität zerstört.

2) Das Weib kann und soll nicht dem Manne rivalisieren.

Ich werde mir, verehrliche Theetischler, erlauben, diese beiden ebenso verehrlichen Dogmen ein wenig spazieren zu führen, und zwar, wie folgt:

In der Kunst wie in der Schriftstellerei giebt es keinen Geschlechtsunterschied; jede Individualität, ob männlich oder weiblich, muß sich in der Kunst zur neutralen Individualität erheben, wenn sie der Kunst und ihren Gesetzen dienen will. Die Kunst kennt weder Mann noch Weib und sie zieht weder weibliche noch männliche Grenzen, sondern nur ästhetische, und selbst die nur in gewisser Hinsicht. Das Wesen der Kunst spricht sich in Stoff und Form, oder im Was und Wie aus.

Dem Was darf die Kunst keine Grenzen setzen, es ist unnbegrenzt, trotz der verehrten Theetischler, welche die Kunst gar zu gern identifizieren möchten mit jener holden, prüden, sechzigjährigen Jungfrau, die vor Scham holdselig erglühte, als man ihr zumutete, ein – „Herrenhemd“ zu nähen!

Aber das Wie! Da kommt die hehre Göttin, in der Hand ihr ästhetisches Gesetzbuch, und fragt: Wie hast du das Was gestaltet, geformt und durchdrungen, – wie ein Künstler oder Stümper? Majestätisch schlägt sie ihren Codex auf und prüft. Wehe dem, der auf schlechten Wegen gewandelt ist! Erbarmungslos, mit der Strenge der Gerechtigkeit, stößt die zürnende Gottheit den Verbrecher in das ewige Verderben; wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen, – einmal doch!

Dieses ästhetische Wie ist die einzige Grenze, welche die Kunst zieht, und somit die einzige Grenze, welche das Weib zu respektieren hat – ergo: Die Kunst ist absolut neutral!

Aber sie ist auch noch etwas anderes, – sie ist die höchste Potenz der Schönheit! Und da wagt man von Materialismus zu sprechen, – wagt man zu behaupten: „Weib, die Kunst macht Dich materiell, rein materiell, und entkleidet Dich aller „zarten Empfindung“, alles „weichen Gefühls“ und „aller Herzensreinheit“, wenn Du ihr ehrlich wie ein Mann dienst. O, ihr Götter! O, ihr Thoren! Materiell? Nein, dreimal nein! Edler, erhabener, größer, freier macht sie das Weib, aber nie und nimmer materiell, – hoch hinauf zieht sie es in höhere Sphären, aber nicht hinunter in die Gosse! […]

Diese Drei: „zarte Empfindung, weiches Gefühl und Herzensreinheit“, sind ja doch unerläßliche Attribute jedes echten Künstlers. Attribute, die nicht allein die schriftstellernde Frau, sondern ebenso gut der schriftstellernde Mann besitzen muß, will er ein wahres Kunstwerk schaffen. […]

Und nun kommen wir zu dem Paradoxon:
„Das Weib kann und soll nicht mit dem Mann rivalisieren.“

„Das Weib kann nicht mit dem Mann rivalisieren“ – wie absurd!
Das ist eine leere Behauptung, durch nichts bewiesen, im Gegenteil, glänzend ad absurdum geführt durch Namen wie: Madame de Stael, George Sand, Felicia Hemans, Elisabeth Browning, George Eliot, Annette von Droste-Hülshoff, Frau von Kapff-Essenther, Emilie Mataja (Emil Mariot), Bertha von Suttner, Ida Bon-Ed u. s. w. Und wenn diese Frauen die Ausnahme und nicht die Regel sind, wer ist schuld daran? Das Weib, seine geistige Qualität? Mit nichten! Die geistige Qualität der Frau ist gleich der des Mannes, der geistige Geschlechtsunterschied ist illusorisch! Wenn die Frau auf den Gebieten des Lebens heute noch nicht das geleiste hat, was der Mann geleistet, dann ist daran nur ihre relative Unfähigkeit schuld, oder besser gesagt: die sozialen Zustände! Zustände, die das Weib knechten und verknechten und zur geistigen Helotin des Mannes machen! Und das muß anders werden! Der Frau müssen alle jene Berufszweige geöffnet werden, all jene Bildungsmittel zur Verfügung gestellt werden, die dem Manne zur Verfügung stehen. Die Gymnasien, die Universitäten müssen sich ihr allenthalben öffnen, damit sich die „geistig berufene“ Frau gleich dem Manne jene tiefe logische Bildung aneignen kann, die sie befähigt, ihr Licht in vollem Glanze leuchten zu lassen! […]

Und nun: „Das Weib soll nicht mit dem Manne rivalisieren.“
Das Weib soll nicht? Aber wo, meine sehr verehrten Herren der Schöpfung, steht denn das geschrieben? „Im Buche der Natur“ schreien Sie natürlich in corpore! Nein, nein, meine sehr Verehrten, da stehen nicht so unsinnige Dinge, da stehen Dinge, die Hand und Fuß haben, und zwar: „Ich, die Natur, bin die verkörperte Logik, ergo: ich gab dem Weibe seinen Verstand, daß es ihn gebrauche und verwerte, und nicht, daß es ihn stelle unter den Scheffel der männlichen Selbstsucht!“ […]

Thut Buße, verehrte Herren der Schöpfung, werft euren schmachvollen Egoismus über Bord und gebt dem Weibe was des Weibes ist: seine Rechte als Mensch! Und wenn ihr noch ein Fünkchen Logik im Hirn und noch ein bischen Ehre im Leibe habt, dann geschieht das bald und ganz. Der Logik wegen, weil: das Weib Fleisch von eurem Fleisch und Bein von eurem Bein ist, ergo: genau derselbe Mensch wie ihr, ergo: auch genau dieselben Rechte hat. Der Ehre wegen, weil: die jämmerliche Sklaverei und Sinnesneigung des Weibes eine Sünde und eine Schande für die ganze Menschheit ist, die aufs Schmachvollste dadurch beleidigt und ins Gesicht geschlagen wird!

Gebt ihr dem Weibe nicht, was des Weibes ist, dann wird das Weib sich nehmen was sein ist! Der Anfang dazu ist schon gemacht. Schon regt es sich allenthalben, – hüben wie drüben. Drüben, in Amerika, allerdings schon reger als hüben, hier in Europa. Nicht allein das materielle, nein, auch das geistige Gebiet ist oder wird dort von den Frauen schon okkupiert, gilt überhaupt die Frau schon als ganzer, voller Mensch; während hüben, hier in Europa, das Weib gerade anfängt das materielle Gebiet zu besetzen. Doch Geduld! Auch hier im alten Europa wird man die stolze Fahne der Frauenemanzipation höher und höher hissen, – auch für uns wird der Tag kommen, an dem man das Weib als vollen, ganzen Menschen erklärt. Der Tag muß und wird kommen! „Für uns das Recht – wer mag wider uns sein!“

(Textauszug aus: Elberskirchen, Johanna (1888): Die Stellung der Frau zur Kunst und zum – Mann : Gedanken bei der Lektüre eines im heiligen römischen Reich deutscher Nation konfiszierten Buches von ***. – In: Die Gesellschaft : Monatsschrift für Literatur und Kunst, 1. Semester, S. 403 – 407)

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