Lida Gustava Heymann, 1908
Suffragettes! Bin gewisses Unbehagen ergreift eine große Anzahl von Menschen, wenn dieses Wort genannt wird. Hyänen, Megären, Petroleusen, Suffragettes, all das ist für viele gleichbedeutend. Frauen, die so wie die englischen jedem Anstandsgefühl ins Gesicht schlagen, die so wenig „ladylike“ sind, ja die richten sich selbst. Weit verbreitet ist die Ansieht, daß Frauen, die Anspruch auf Bildung machen, selbst wenn man ihnen Rechte verweigert, sie moralisch mit Füßen tritt, ihrer geradezu hohnlacht, immer ladylike bleiben müssen, so verlangt es die Bildung, nur kein Temperament, keine Leidenschaft zeigen, nur keiner spontanen Eingebung Folge leisten.
Männer haben, um endlich als vollwertige Staatsbürger anerkannt zu werden und sich Rechte zu schaffen, Revolutionen entfacht, Ströme von Blut sind geflossen, Grausamkeiten, die jeder Zivilisation Hohn sprachen, sind im Namen der Freiheit. Gleichheit und Gerechtigkeit vollbracht worden. All das konnten Männer tun, man sieht heute bewundernd zu ihnen auf, weil sie es taten, verehrt sie als Helden.
Aber wenn Frauen zur Erreichung gleicher Rechte sich im Vergleich zu jenen unsagbar harmloser Mittel bedienen, dann fällt die ganze philiströse Welt über sie her, zuckt die Achsel, rümpft die Nase, eine Frau muß immer ladylike bleiben und das eigene Geschlecht schreit am lautesten, verurteilt am schärfsten. Ja, und was wissen denn jene Philisterseelen, die immer bereit sind, zu verurteilen, eigentlich von den englischen Frauen, die so mutig und unerschrocken den Kampf um ihr Recht kämpfen? Nur das, was irgend ein vorurteilsvoller oder sensationshaschender Berichterstatter seiner Zeitung übermittelt hat und was dann die kritiklose Presse der ganzen Welt nachbetet.
Man muß sie persönlich gesehen haben, jene verpönten Suffragettes, mit welcher Opferfreudigkeit, mit welcher kraftvollen Energie sie kämpfen, wie sie tollkühn vor nichts zurückschrecken, wie sie verächtlich lachen über die öffentliche Meinung: man muß sie in ihrem eignen Lager persönlich gehört haben und man wird sie verstehen und ihr Vorgehen vollauf billigen.
Arm und reich, Fabrikarbeiterinnen und die Ladies der sogenannten höchsten Gesellschaftskreisen, alle arbeiten gemeinsam für die Erlangung des Frauenstimmrechts. So grundverschieden in ihrem Fühlen und Denken, so ganz getrennten Lebenssphären angehörend, wußten sie nichts von einander und fanden sich unter dem Banner „votes for women“ zusammen, lernten sich gegenseitig kennen und schätzen. Das zeitigte andere Resultate, als die beliebte Klassenverhetzungstheorie sozialdemokratischer Führerinnen. Jede Frau trägt das Ihre dazu bei, um die Waffen im Kampfe zu schärfen. Diese entsagen allen Freuden, allen Bequemlichkeiten des täglichen Lebens, sie widmen ihre ganze Zeit nur der Sache, heut hier, morgen dort versuchen sie durch das Wort neue Anhänger zu gewinnen, andere beschaffen die Geldmittel. Eine Suffragette gab Ihr glänzendes Haus in London auf, mietete sich ein Zimmer, und stellte von ihrem jährlichen Einkommen 40 000 Mark der National Women’s Social & Political Union zur Verfügung.
Kalt, steif, zurückhaltend, korrekt ohne jede Begeisterung, so stellt man sich das Prototyp eines Engländers vor. Wie himmelweit verschieden sind die Suffragettes davon! Eine fanatische Begeisterung beseelt diese Frauen, mit wahrem Feuereifer, der vor nichts zurückweicht, widmen sie sich ganz der einen Sache und umfangen mit treuer Freundschaft alles, was dem gleichen Ziele zustrebt. Warm wird es uns ums Hers in ihrer Mitte, hier finden wir in einer Zeit kalter Berechnung und Interessenvertretung, Idealismus und den Glauben an den Sieg einer guten Sache.
Vier Frauenorganisationen kämpfen heute in England um das Frauenstimmrecht. Die sozialdemokratischen Frauen, die vereint mit den Männern arbeiten, aber von Ihnen hört und sieht man eigentlich nichts, sie sind völlig bedeutungslos für den Kampf. – Die übrigen Organisationen: National Union of Women’s Suffrage Societies, National Women’s Social & Political Union und die Women’s Freedomleague, so verschieden sie auch sind, haben doch vieles gemeinsam. Alle vertreten den Standpunkt, daß die Frauen Ihre Rechte nur durch sich selbst erkämpfen werden, d.h. die Männer werden uns niemals freiwillig Rechte geben, sondern die Frauen müssen sie Ihnen abzwingen, durch die Wucht der Masse, indem sie die öffentliche Meinung für sich gewinnen.
Alle sind von dem Irrtum kuriert, daß es irgend welchen Nutzen für die Erlangung des Frauenstimmrechts hat, wenn Frauen ihre Arbeitskraft in den Dienst der parteipolitischen Männerinteressen stellen. Alle huldigen dem Prinzip der äußersten Konzentration, Frauenstimmrecht ist die Grundlage, das Alpha und Omega aller Frauenbestrebungen. Alle drei Organisationen, und sie zählen zu ihren Mitgliedern eine große Anzahl Sozialdemokratinnen, wollen heute den Frauen lediglich die gleichen Wahlrechte, wie sie die Männer in England besitzen, erkämpfen. In England herrscht bekanntlich nicht das allgemeine Wahlrecht und seine Einführung wird bei dem Konservatismus noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Die Suffragettes wollen mit gutem Rechte ihre eigene schon jetzt realisierbare Forderung nicht in so ferne Zukunft hinausgerückt Wissen. Sind sie aber im Besitze des Wahlrechts, so werden sie besser als sie es jetzt zu tun imstande sind, schon dafür sorgen, daß anderen nicht vorenthalten bleibt, was sie für sich erstrebt haben.
Mit einer nicht genug anzuerkennenden Vorurteilslosigkeit beurteilen diese drei Organisationen gegenseitig ihre Arbeitsleistungen; die seit mehr denn 50 Jahren bestehende National Women’s Suffrage Association läßt den Jüngeren volle Gerechtigkeit widerfahren und umgekehrt. Sie erklären: für jede Art des Vorgehens ist unter den Frauen Englands Verständnis vorhanden, wir kämpfen alle für dasselbe Ziel, und werden uns doch nicht die Arbeit durch Kampf im eigenen Lager, Gehässigkeit, abfällige Kritik erschweren.
Die Sympathie der Masse des Volkes ist für die MItgleider der Nationale Women’s Social & Political Union und Freedom League am stärksten vorhanden. Sie, die sogenannten Suffragettes sind es, die durch ihre Art der Propaganda sie Welt verblüffen, die als sandwichman (vorn und hinten ein mächtiges Plakat tragend) durch die Straßen wnadern, um ihre Versammlungen zu annonzieren, die sich gegen hohes Honorar zugunsten der Kriegskasse zu Vorträgen im Variété engagieren lassen, um dort einer lachlustigen Menge plötzlich in all den Ulk hinein eine ernsthafte Rede über Frauenstimmrecht, über die Entrechtung der Frauen zu halten, sie, die die Unbill des Kerkers mit stoischer Ruhe auf sich nehmen, die vor nichts zurückschrecken, vor denen sich aber Minister und Parlament durch ein unglaubliches Aufgebot von Polizisten schützen lassen. Wenn heute in England arm und reich, alt und jung Stellung zum Frauenwahlrecht nimmt, wenn es in allen Kreisen in und außerhalb Englands Tagesgespräch geworden ist, wenn die Anhängerschaft für das Frauenstimmrecht von Tag zu Tag wächst, so ist das lediglich der Erfolg der soviel geschmähten Suffragettes.
(Quelle: Heymann, Lida Gustava (1908): Suffragettes. – In: Zeitschrift für Frauenstimmrecht : [Beilage zu: Die Frauenbewegung], Nr. 8, S. 31 – 32)