Louise Dittmar, 1849
Das weibliche Wesen ist in unserem Staats- und geselligen Leben gänzlich verneint. Der Beweis wird uns nicht schwerfallen, die Tatsachen selbst sind Zeugen, Kläger und Richter. Die Frauen sind unterdrückt und arm; denn wenn ich über die größten Reichtümer zu gebieten habe und sie im Sinne eines anderen verwenden muß, kann sich meine Eigentümlichkeit nicht dabei betätigen. Ich bin dann nur des Königs Schatzmeister. Wir wollen hier die Folgen nicht weiter entwickeln, die Korruption, die Erkaufung des ganzen Wesens, die Beeinträchtigung aller, aller Fähigkeiten, die Hemmung und Unterdrückung jeder freien, also jeder bessern Empfindung, der Mangel an Einfluß, die Nichtachtung, die Beeinträchtigung jedes Willens, die Rücksichtslosigkeit des Mannes, die Unmöglichkeit, nach Neigung und Geschick sich auszubilden, sich geistig zu entwickeln, die unbedingte Hingabe an den Mann, die daraus folgende Mißehe, die Unfähigkeit, die Erziehung der Kinder zu leiten, deren Anlagen zu erkennen, die Mittellosigkeit, das Erkannte in die rechte Bahn zu leiten usw. usw.
Sie ist völlig rechtlos. Sie hat gar keinen unmittelbaren Einfluß auf die Gesetze. Die Gesetze können nur dann im Sinne derer abgefaßt sein, für die sie bestimmt sind, wenn diese sich selbst dabei beteiligen, wenn diese selbst oder deren Vertreter unmittelbar von ihnen gewählt und unbedingt in ihrem Sinne handeln, ihrem Willen entsprechen. Ist dies nicht, dann ist der Vertreter Vormund und nicht Organ. Mag der Vertreter eines geknechteten, seiner Rechte und seines eigenen Willens unbewußten Volkes anders handeln, als seine Wähler erwarten, er tut es auf seine Gefahr; der Wille der Wähler muß stets frei sein; wenn er sie nicht überzeugen kann, muß er dem weichen, in welche jene ein höheres Vertrauen gesetzt haben. Aber dieser Grundsatz ist noch nicht einmal allgemein anerkannt; wie weit ist es noch, bis man dessen Anwendung auf das weibliche Geschlecht ausdehnt!
Wo man aber noch nicht einmal daran dachte, diesen Grundsatz auf die andere Hälfte der Menschheit anzuwenden, wie können da die Gesetze auch nur entfernt in deren Sinne gegeben sein?! Man wandte bisher ein, es sei ja das eigene Interesse des mit dem Weibe so innig verbundenen Mannes, dessen Rechte und Anforderungen als die seinen zu betrachten. Sophistischer Einwand! Ist denn ein Mann für die Wünsche aller Frauen bedacht und nicht vielleicht nur für die der ihm zunächststehenden? Dann wäre der Fürst der sicherste Bürge und Vertreter seines Volkes und dieses dürfte sich sorglos und vertrauensvoll in die väterlichen Arme legen. Schmachvolle Logik einer geknechteten Generation, eines nie erwachten Selbstbewußtseins, das, weil es das Ich nicht achtet, dieses auch nicht fürchtet, das seiner Freiheit, seiner Menschenwürde beraubt durch die Selbstsucht derer, denen es Weihrauch streut, und doch diese Selbstsucht nicht sieht, wo es gilt, sich ihrer, zu entledigen.
Der Mann ist der Fürst des Weibes, der absolute Monarch, der unumschränkte Gebieter in ihrem Bereich, nicht einmal die Scheinrechte der konstitutionellen Phraseologie sind auf das Weib anwendbar. Worin sollten die Garantien der nicht allein nicht gesetzlich bestehenden, nicht einmal rechtlich anerkannten Rechte bestehen?
Arm und rechtlos, gesetzlich und grundsätzlich unterdrückt, physisch zum Kampfe ungeeignet, geistig verwahrlost, in ihren Rechtsgründen nicht rechtsgültig, in ihren Mitteln beeinträchtigt, verhöhnt, verspottet, mit allem Gewicht einer ihr feindseligen Lebensmoral verdrängt und verfolgt – wo soll sie Kräfte sammeln, wo pflügen und säen ohne Land? Wächst ihr ein Saatfeld auf der flachen Hand? Und dennoch wird sie pflügen und säen und ernten tausendfältig, wie kein Arbeiter im Weinberge des Herrn!
(Quelle: Dittmar, Louise (1849): Die männliche Bevormundung. – In: Frauenemanzipation im deutschen Vormärz : Texte und Dokumente. – Möhrmann, Renate [Hrsg.]. Stuttgart : Reclam, 1980, S. 62 – 64)