Louise Dittmar, 1845
Ich bin mißtrauisch gegen alle Charakteristik der Frauen, die von ihren Antipoden, den Männern, aus geht, zumal wenn diese, wie so häufig, nur Einen Zug erfaßt haben und diesen überall verfolgen und überall allein finden und gelten lassen wollen. Es ist oft viel Wahres daran und ebenso viel Unwahres. Es fehlt das tiefere Verständnis der weiblichen Seele. Das Höchste, wozu sich die Mehrzahl erhebt, ist zu Lessings Ausspruch: „Als Gott das Weib schuf, nahm er den Ton zu fein“. Wenn sie auch das Leben zu rauh finden für die Frau, so suchen sie dennoch den Fehler in ihr, die nun einmal der Welt d. h. ihren Anforderungen nicht entspricht. So gerecht sind sie nicht, zuzugeben, daß es ein Leben geben könne, das schöner und geeigneter für das Weib sein würde, ohne zu fürchten, ihrer männlichen Natur zu nahe zu treten. Was sie so gerne für männlich erklären, ist doch nur das weltzertrümmernde, keineswegs das weltbeglückende Princip. Sie dürften sich ein Beispiel an der Natur nehmen, die durchaus nicht ohnmächtig und verweichlicht hinter dem Ofen brütet, noch in Theegedanken verflacht, noch in Toilettendüften sich auflöst, noch irgend eine Gestalt annimmt, womit sie die Natur der Frauen bezeichnen. Und doch ist diese Natur dem weiblichen Geschlecht keineswegs feind; wohl aber das Leben, das diese Göttersöhne so alexandrisch zu verherrlichen glauben und das sie doch nur so eroberungsflüchtig zerstören.
(Quelle: Dittmar, Louise (1845): Die geträumte männliche Natur. – In: Dittmar, Louise (1845): Skizzen und Briefe aus der Gegenwart. – Darmstadt : Leske, S. 94 – 95)