Der Internationale Kongreß für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin am 19. bis 26. September 1896

Minna Cauer, 1896

Zum ersten Male treten Deutschlands Frauen mit in die Reihe der Frauen anderer Länder, indem sie zu einer allgemeinen Zusammenkunft einladen, zum ersten Male haben sie den Mut, über ihre Arbeiten und Bestrebungen einen Gedankenaustausch mit anderen Ländern herbeizuführen. Wohl wohnten den großen Frauenkongressen in Amerika, Frankreich und England immer einige deutsche Frauen bei, doch eine allgemeine rege Beteiligung von Seiten der Vereine, Sendung von Delegierten war nur spärlich vorhanden. So standen Deutschlands Frauen in dem Ruf, daß sie sehr zufrieden mit ihrem Lose und ihrer Stellung seien und an der großen Idee der Frauenfrage, an dem Ziel der Frauenbewegung keinen Anteil nehmen wollten. Es schien jedoch nur so!

Im Stillen entwickelte sich ein anderer Geist unter den Frauen unseres Vaterlandes; die wirtschaftlichen Verhältnisse einerseits zwangen sie zu einem Heraustreten, sittliche, religiöse und politische Momente andererseits wirkten mächtig, so daß während der letzten zwei Jahre die deutsche Frauenbewegung zu einem Faktor in unserem öffentlichen Leben geworden ist, mit dem man nicht allein rechnen muß, sondern auch rechnet.

Die Rechtsfrage, die Stellung der Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch war es, welche auch zagende, schwankende und ängstliche Gemüter aufrüttelte, und der letzte Winter und Frühling mit dem Schlußwort, welches in der Protestversammlung, welches in der Protestversammlung in Berlin am 29. Juni in so großartiger Weise zum Ausdruck kam, hat bewiesen, daß es in Deutschland ernste, charakterfeste, intelligente Frauen giebt, welche trotz aller Gegnerschaft und aller Anfeindung ihr Ziel ruhig, unbeirrt, kraftvoll verfolgen.

Somit sind Deutschlands Frauen eingereiht in die allgemeine Bewegung, welche nicht alllein die zivilisierten Länder umfaßt, sondern sich über die ganze Welt verbreitet. Halt wir diese Bewegung nicht eher machen, als bis die Frage des Rechts und der Gleichberechtigung als Bürgerin des Staates gelöst worden ist. – Berliner Frauen erließen die Einladung zu diesem Kongreß. Sie ging nicht von Vereinen aus, nicht von Deutschlands Frauen insgesamt, sondern von Frauen der Hauptstadt, welche meinten, daß angesichts der Gewerbeausstellung der Moment günstig sein dürfte, auch die Frauen einmal „tagen“ zu lassen.

Geleitet von dem Gedanken, daß bei einer solchen Aufforderung niemand unberücksichtigt gelassen werden dürfe, sandte man freundliche Einladungen an alle Führerinnen Deutschlands, welche Richtung sie auch angehören mochten, ebenfalls ohne Ausnahme an alle Führerinnen der anderen Länder. Die Fülle der Antworten, die oftmals höchst eigenartige Briefe, die freudige Zustimmung hier, die ängstliche Zurückhaltung dort, die allgemeine Anerkennung des Vorhabens von Seiten des Auslandes gaben den Frauen, welche sich dieser schwierigen Aufgabe unterzogen hatten, immer wieder von neuem den Mut, sich Vorarbeiten rastlos zu widmen. Eine schwere Arbeitszeit, ein unausgesetztes Mühen, ein großer Idealismus gehörte dazu, um so in kurzer Zeit eine Schar bedeutender Frauen vom In- und Auslande zu diesem Kongresse zusammenzuberufen, damit man ein Bild der Frauenarbeiten und Frauenbestrebungen erhalte.

Das ist der Zweck dieses Kongresses, daß die Frauen ihre Gedanken austauschen, ihre Arbeitsfelder sich gegenseitig vorführen, die Rechtstellung der Frau in den verschiedenen Ländern einander mitteilen, und somit ein Band edler und hoffentlich dauernder Beziehungen der einzelnen zu einander und der Länder untereinander hergestellt wird. – Es wird nicht beabsichtigt, sich in endlosen Diskussionen zu ergehen oder Resolutionen zu fassen, welche doch nicht erfüllt werden können; es liegt am wenigsten die Absicht vor, die wichtigsten der Fragen nun entgültig zum Austrag zu bringen. Dazu kann ein internationaler Kongreß wohl die Anregungen geben, doch niemals entscheidend wirken. Arbeitsvolle, ernste Tage sind es, welche wir entgegengehen; aber auch große, herrliche Tage können es werden, und allem Anschein nach werden sie es sein. Denn es zieht etwas durch die gesamte Frauenwelt, das an Kingslen’s Wort erinnert: „O selige Zukunft! O traurige Vergangenheit!“ Getragen von einer herrlichen Idee, finden sich die Frauen zusammen, ob alt, ob jung, ob reich, ob arm, ob aus dem freiesten Lande oder aus dem unterdrücktesten, – ein Gedanke beherrscht sie, ein Gefühl beseelt sie: zu der Menschheit voll und ganz als gleichberechtigte Glieder zu gehören.

So seid uns denn herzlich willkommen, Ihr aus den fernen Ländern, uns fremd, und dennoch Freund! Und Ihr deutschen Frauen, die Ihr Euch eins mit uns fühlt, kommt zu uns mit dem stolzen und freudigen Empfinden, daß Deutschlands Frauen einst als Kämpferinnen für die Befreiung ihres Vaterlandes hoch gepriesen wurden, und daß jetzt wiederum eine Zeit angebrochen ist, wo die deutsche Frau als Kämpferin für Recht, Gerechtigkeit und Sittlichkeit voranschreiten muß!

(Quelle: Cauer, Minna (1896): Der internationale Kongreß für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin am 19. bis 26. September 1896. – In: Die Frauenbewegung : Revue für die Interessen der Frauen, Nr. 18, S. 165 – 167)

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