Minna Cauer: Nachruf von Lida Gustava Heymann

Minna Cauer
Lida Gustava Heymann, 1922

In der Nacht vom 2. zum 3. August ist Minna Cauer in Berlin gestorben. Sie war eine Achtzigerin. Früh ergraut, bewahrte Gang und Haltung elastische Jugendlichkeit bis kurz vor ihrem Tode, äußerlich immer eine wohlgepflegte Erscheinung, die das Auge des Ästheten erfreute. Sie stammte aus einem Pfarrhause in der Mark, jung verheiratet, durchlebte sie eine vierjährige, unglückliche Ehe. Als ihr einziges Kind im Alter von 2 Jahren und ihr Mann gestorben waren, bestand sie das Lehrerinnenexamen, ging als Erzieherin nach Paris. Schon nach einem Jahre, häufig mit schwerer Not kämpfend, kehrte sie von dort nach Deutschland zurück, nahm in Hamm in Westfalen Stellung an einer Mädchenschule; hier lernte sie ihren zweiten Mann, einen vornehmen Charakter, den Geschichtsforscher Eduard Cauer kennen, dem sie in Bezug auf innere Entwicklung viel zu danken hat und mit dem sie bis 1881 in glücklicher Ehe lebte; dann folgten Jahre der Weiterbildung; 1888 begann ihre öffentliche Tätigkeit in der Frauenbewegung.

Sie gründete in Berlin die erste Berufsorganisation der weiblichen Handelsangestellten, viele Jahre wirkte sie für diese Aufgabe mit Agnes Herrmann, Dr. Meyer und Prof. Schwalbe. Die mit dieser Organisation verbundene kaufmännische Schule für weibliche Angestellte in Berlin verdankt ihrer nie versagenden Schaffensfreudigkeit, wenn es galt, den Frauen vollwertige, gründliche Bildungsmöglichkeiten zu geben, unendlich viel.

Minna Cauer und die Frauenbewegung in Deutschland sind untrennbar. Mit zäher, unermüdlicher, durch nichts zu erschütternder Kampfesfreude hat sie da gewirkt, gearbeitet und geschaffen. Den Frauen das Recht der freien Bestimmung über ihre Person, Gleichheit vor dem Gesetze und auf allen wirtschaftlichen und politischen Gebieten zu erkämpfen, das war ihr Ziel. Sie hat die Befriedigung erlebt, es für Deutschland durch die Weimarer Verfassung 1919 wenigstens auf dem Papier erreicht zu sehen. 1888 übernahm Minna Cauer, in ihren radikalen Bestrebungen auf das wirksamste von Lily von Gyzicki unterstützt, den Vorsitz im Verein Frauenwohl, Berlin, welches Amt sie Jahrzehnte hindurch behielt. Dieser erste politische Verein radikaler Frauen in Deutschland erlebte seine höchste Glanzzeit in den Jahren 1896 – 1902, wo Anita Augspurg mit Minna Cauer gemeinsam in Berlin arbeitete und alle radikalen Frauenvereine zu dem Verbände fortschrittlicher Frauenvereine zusammenschloß. Das war jene Zeit, als maßgebende Politiker anfingen, die deutsche Frauenbewegung ernst zu nehmen.

Wer dem Leben und Wirken Minna Cauers gerecht werden will, darf nicht verschweigen, daß sie zu jenen Menschen gehörte, die in Bezug auf ihre Leistungen und auf die Art der Einstellung zu den Geschehnissen im öffentlichen Leben im hohen Maße von ihrer Umgebung, von den Persönlichkeiten, die gerade mit ihr wirkten, abhängig war. In großen kritischen Augenblicken leitete sie nicht selbst, sondern ließ sich, mehr als es sonst bei tatkräftigen Persönlichkeiten üblich ist, von Personen und Umständen leiten. Da sie außerdem einer persönlichen Empfindlichkeit nie Herr werden konnte, wo diese einmal verletzt oder nicht berücksichtigt worden war, nachtragend blieb, überwog bei aller ihrer Arbeit die persönliche Note die sachliche und sie schädigte nur zu häufig unbewußt die Sache, der sie zu dienen beabsichtigte; das ist nie deutlicher in die Erscheinung getreten aus in der Arbeit für das Frauenstimmredit, auf welche sie durch ihr Verhalten geradezu zersetzend wirkte.

Als ihr Lebenswerk bezeichnete sie selbst mit Recht ihre während 25 Jahren unter großen persönlichen Opfern herausgegebene Zeitschrift „Die Frauenbewegung“, deren verschiedene Jahrgänge kommenden Geschlechtern Beweis sein werden für die hier gekennzeichneten Charaktereigenschaften der Herausgeberin. Einige Jahrgänge, besonders die ersten, gemeinsam mit Lily von Gyzicki und Anita Augspurg herausgegebenen, werden dauernde Dokumente bleiben für die Unerschrockenheit und Tatkraft, mit denen deutsche Frauen den Kampf gegen die bestehende unerträgliche Unterdrückung im Männerstaat aufnahmen. „Die Frauenbewegung“ hatte immer Raum für die radikalsten Forderungen der Frauen, kritisierte mutig alle Mißstände und dieses Verdienst wird auch nicht geschmälert durch jene Jahrgänge, die sich in nutzlosen philosophischen, seichten Betrachtungen verlieren.

Bei Ausbruch des Weltkrieges verfiel auch Minna Cauer der nationalen Kriegspsychose, aber viel schneller als andere erkannte sie trotz ihres hohen Alters den begangenen Irrtum und trat für internationale Verständigung ein.

Betrachten wir Fehler und Vorzüge dieser Frau, so können wir nur wünschen, daß das heutige Frauengeschlecht ihr nacheifere in der tatkräftigen Arbeitsfreudigkeit, in der zähen Verfolgung der einmal festgesetzten Ziele. Alles in Allem können wir von Minna Cauer mit Recht sagen: Sie hat nicht umsonst gelebt.

Lida Gustava Heymann.

(Quelle: Heymann, Lida Gustava (1922): Minna Cauer. – In: Die Frau im Staat : eine Monatsschrift, Nr. 9, S. 3 – 4)

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