Alice Schwarzer: Emma lebt … und wenn die Jungs sich totärgern!

Alice Schwarzer, 1987

Konkret wurde es an einem vernieselten Nachmittag im Januar 1976. Im II Gattopardo am Berliner Breitenbach-Platz. Mir gegenüber saß Kollege Hermann Gremliza. Sag mal, Hermann, stimmt das wirklich, daß man zum Start einer Monatszeitschrift mindestens vier Millionen Mark braucht? – Quatsch, antwortete besagter Hermann, der es als konkret-Verleger ja wissen mußte, für die ersten drei Ausgaben genügt eine viertel Million. Und, fügte er großzügig hinzu: Mach bloß nicht denselben Fehler wie ich, miete die Redaktionsräume nicht zu klein, sonst mußt du gleich wieder umziehen.

Für diesen Rat bin ich ihm heute noch dankbar. Seit dem 1. September 1976 logiert der Emma-Verlag auf zwei Etagen des Hauses Kolpingplatz Nr. 1, im Schlagschatten zweier großer Brüder des Kölner Doms und des WDRs. Platz ist genug. Am Anfang hätte es auch eine Etage getan, sogar ein Zimmer. Denn außer mir war da nur noch eine Person fulltime mit der Vorbereitung der ersten Emma beschäftigt: das war die Redaktionssekretärin Christiane Enßlin, bis dahin im Zuge der Sippenhaft arbeitslos.

Die Handvoll Journalistinnen, die einigermaßen ernst machten mit ihrem im Sommer angemeldeten Interesse an der noch vor Erscheinen höhnisch totgesagten Zeitschrift, die waren und blieben festangestellt in den etablierten Medien und schauten am Feierabend oder am Wochenende mal rein. Mein etwas naiver Rundbrief, den ich im Frühling 1976 durchs Land geschickt hatte („An alle Kolleginnen – bitte weitergeben“) hatte viele zum Mitreden angeregt, das Mitarbeiten aber ließ auf sich warten. Die Kolleginnen warteten erst einmal ab.

Bereits Monate vor Erscheinen der ersten Emma mußte mit Druckereien und Vertrieben verhandelt werden. Zu einem Gespräch mit dem Hamburger Vertrieb IPV im Oktober 76 nahm ich, auf den Rat seiner Tochter hin („Mein Vater kennt sich da aus“) einen alten Hasen aus der Branche, Hans Huffsky, den ExChefredakteur von ‚Constance‘ mit. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen und sah ihn danach nie wieder. Dennoch trug uns dieser kurze Auftritt dieses zweiten Mannes in Emmas Vorleben ein vom Herrenmagazin ‚Spiegel‘ und von der Schwesternstreitschrift ‚Courage‘ hartnäckig verbreitetes Gerücht ein, der „eigentliche Macher“ sei Herr Huffsky und das eigentliche Geld komme vom Konzern Gruner&Jahr (ausgerechnet). Cherchez l’homme.

Nur ein dritter wurde nie erwähnt. Der einzige, dem wir wirklich zu dank verpflichtet sind für fachkundige Unterstützung beim Start. Das war der Buchhersteller Franz Greno, der einst noch beim Fischer-Verlag den ‚Kleinen Unterschied‘ produziert hatte. Diesem Franz imponierte das dreiste Husarenstück. Er war es, der mir die erste Druckerei besorgte, mich in Papierfragen beriet und, nach einer durcharbeiteten Nacht, mit rotgeränderten Augen und unrasiert, die ersten 64 Seiten Emma in die Frankfurter Lithographie und von da aus in die Kulmbacher Druckerei fuhr.

So war das am Anfang: Das Wissen um das Machen von Zeitschriften mußte ich, mußten wir uns fast ausschließlich bei den Männern holen. Frauen hatten bis dahin von sowas kaum Ahnung. Denn das Zeitungsmachen ist eine ganz andere Sache als das Artikelschreiben. Und ich war und bin ja eigentlich Journalistin und nicht Verlegerin. Verlegerin wurde ich nur aus Verlegenheit: Damit meine und die Artikel anderer engagierter Kolleginnen, die es Mitte der 70er Jahre zunehmend schwerer hatten („Ihr seid zu voreingenommen, weil ihr betroffen seid‘), wieder erscheinen konnten.

Denn das war seit Beginn der neuen Frauenbewegung klar: Wir durften nicht abhängig bleiben von den männerbeherrschten Medien, wir mußten auch eigene Stimmen haben Die einzige andere deutschsprachige feministische Zeitschrift am Kiosk, ‚Courage‘, war zunächst nur als Berliner Stadtzeitung angekündigt worden und erschien, überraschenderweise, überregional erst im Ersterscheinungsmonat von Emma, Februar 77.

Hätte ich die Emma auch gemacht, wenn mir damals, im Herbst 76, jemand alle persönlichen Folgen prophezeiht hätte? Vielleicht hätte ich mir das ganze nochmal gut überlegt… Schließlich konnte ich nicht ahnen, daß diese Zeitschrift die nächsten zehn Jahre meines Lebens fressen würde: sie hat mir als Schreiberin oft nicht genug Zeit gelassen und mich zur Macherin verurteilt; sie hat mich in einem mir bis dahin unbekannten Ausmaße den weiblichen Selbstzerfleischungs- und den männlichen Spaltungsmanövern ausgeliefert; sie zwingt mich täglich neu zum Kampf um die (politische) Haltung, die (journalistische) Qualität und das (zum Existieren) notwendige Geld.

Ich gebe zu, es war manchmal fast zuviel. Aber noch war die Freude ungetrübt. Emma wurde geboren. Mit einem Budget, das knapp fünf Prozent des sonst für ein solches Unterfangen üblichen betrug und in einer Zeit, die atemberaubend kurz war. Vier Monate nach Einzug in die Kölner Redaktionsräume stand das Konzept für die Emma und lag die erste Nummer auf dem Tisch.

Der Name? Der war irgendwann mal aufgetaucht und gefiel uns. Nicht nur wegen der Anspielung auf die Em(m)anzipation, sondern auch, weil er das selbstironische Gegenteil vom platt Erwarteten war: Wie würde sie wohl heißen, diese Zeitschrift dieser jetzt vollends größenwahnsinnig gewordenen Schwarzer? Nora? Die Rächerin? Die Amazone? Alice la castrateuse?

Nein. Emma. Ganz einfach Emma. Ein Name zum Anfassen. Ein guter Name. – Schon wenige Wochen nach Erscheinen war ‚Emma‘ nicht mehr der Laden von nebenan und auch nicht mehr die Möwe von Ringelnatz, die so aussah, als ob… Ab jetzt war sie Synonym für die Sache. Aufmüpfige Schulmädchen oder spülunlustige Hausfrauen waren nun als „richtige Emma!“ verschrien.

Doch bevor es soweit kam, mußte sie ersteinmal erscheinen. Als ich im Dezember 1976 meine erste Emma-Kolumne schrieb, tat ich das recht unwissend. Daß 58 Jahre zuvor die Feministinnen, Pazifistinnen und Münchner Räterepublikanerinnen, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann in München die Monatszeitschrift ‚Die Frau im Staat‘ mit der Absicht herausgegeben hatten, „das politische Leben vom Standpunkt der Forderungen und der Mitwirkung der Frauen zu verfolgen“ – ich wußte es nicht.

Daß 82 Jahre zuvor in Berlin die Feministinnen Minna Cauer und Lily von Gizycki ‚Die Frauenbewegung‘, eine Monats“Revue für die Interessen der Frauen“ mit dem Ziel gestartet hatten, „der Vielfalt der Deutschen Frauenbewegung“ eine „gemeinsame Stimme“ für den „Kampf der Frauen“ zu geben – ich wußte es nicht. Daß 128 Jahre zuvor die erste „Frauen-Zeitung“, initiiert von der Feministin und 48er Revolutionärin Louise Otto mit dem stolzen Motto erschienen war: „Dem Reich der Freiheit werb ich Bürgerinnen“- ich wußte es nicht.

Das ist vielleicht das Zermürbendste am Kampf der Frauen um Menschenrechte für alle, auch und vor allem für die Frauen: daß wir immer wieder ganz von vorn anfangen müssen. Immer wieder neu müssen wir die verschütteten Spuren unserer Geschichte mühsam freilegen. Vollends den Rest gab uns deutschen Feministinnen die 12jährige Barbarei des höchsten Männlichkeitswahns: des Faschismus. Er verwischte endgültig alle Spuren. Feministische Bücher wurden verbrannt, radikale Feministinnen wie Augspurg und Heymann starben im Exil. Und selbst die Gemäßigten, die sich mit ihrem Doch-noch-Frau-sein lieb Kind hatten machen wollen und mit ihrer Ideologie vom natürlichen „Anderssein“ des Weibes fatal zum Bild der „deutschen Frau und Mutter“ beigetragen hatten – selbst sie waren, einmal benutzt, mundtot gemacht worden; ihre Zeitschriften wurden einige Jahre nach der Vertreibung der Radikalen eingestellt.

Diese seit Beginn des Jahrhunderts ebenfalls erschienenen Publikationen der Gemäßigten, wie Helene Lange oder Gertrud Bäumer, habe ich nicht etwa vergessen. Ich habe sie bewußt nicht genannt, weil sie nicht direkt unsere Vorläuferinnen sind. Emma bewegt sich in der Tradition der „radikalen“, der an die Wurzel des Unrechts gehenden Feministinnen. Das heißt, wir lehnen jeden Glauben an eine angeborene Ungleichheit von Menschen ab – egal ob er nun im Namen des Geschlechts, der Klasse oder der Rasse propagiert wird! Wir sind dem Kampf gegen alle Machtverhältnisse und Ausbeutung verpflichtet, sind für uneingeschränkte Selbstbestimmung und Menschenrechte, auch für die immer wieder „vergessenen“ Frauen.

26. Januar 1977. Die erste Emma erscheint. Spätestens an dem Tag muß konkret-Herausgeber Gremliza den guten Tip bereut haben. Der Genosse nämlich ließ in seinem strammen Blatt umgehend eine gewisse Frau Rotkohl (sic) „die schwärzeste Schwarzer“ mit dem „schwärzesten Kurs“, den es je gab, rügen. Und nicht nur die Linken reagierten, wie gewohnt, auf uns Feministinnen besserwisserisch und bigott.

Auch die bürgerlichen Männermedien verloren die Kontenance. So hielt das ZDF in der „Drehscheibe“ der Nation sämtliche (pingeligst nachgezählten) Kommatafehler von Emma vor, „Der Spiegel“ addierte die „Konterfeis von Alice“ und ein C.H. Meyer von der „Süddeutschen Zeitung“ vermeldete die Sichtung von Emmas krankhaftem Feindbild: „Eine Art King Kong mit einem Penis wie das Empire State Building…“.

Daß die Männer so reagieren würden, damit hatten wir, ehrlich gesagt, gerechnet. Wir hatten es sogar einkalkuliert. Schließlich hatte Emma keinen Pfennig für Werbung übrig, der von den Männermedien angezettelte Skandal war ihre beste Reklame. Daß allerdings auch einige Kolleginnen und darunter nicht die schlechtesten, Emma für einen sich bei den Kollegen anbiedernden Verriß benutzten, hat uns doch überrascht. Und manchmal auch getroffen. So wie in dem Fall einer als „links“ renommierten WDR-Redakteurin, die die Gelegenheit nutzte, ihren Kollegen über den Sender zu versichern, sie sei „nicht lesbisch und sehe darin kein Manko. Geschieden bin ich auch nicht.“ Wie schön. Und wie traurig. Doppelt traurig, wenn frau bedenkt, daß auch diese Kolleginnen innerhalb der Männermedien nur deshalb überleben, weil wir von außen Druck machen. Kompromißlos.

Die 200.000 Exemplare der ersten Emma waren innerhalb von drei Tagen vergriffen. Den 100.000 nachgedruckten Heften ging es nicht anders. Was die Laune der etablierten Kollegen nicht gerade hob. Denn hier ging es ja nicht nur um eine feministische, sondern auch um eine journalistische Herausforderung: Eine Handvoll bis dahin lohnabhängiger und quasi mittelloser Frauen hatte eine Zeitung aus dem Nichts gestampft, hatte sich in Zeiten der Übermacht der Konzerne und der gebrochenen Rückgrate meinungsfreudig auf die eigenen Füße gestellt.

Nicht zufällig war Rudolf Augstein der erste „Pascha des Monats“. Sein Blatt beherrscht meisterhaft die hohe Schule der Pseudo-Objektivität, seine Kritik verläßt nie die Männer-Kumpanei und selten die oberste Etage (von Mann zu Mann, von Herausgeber zu Kanzler). Auch journalistisch setzt Emma dem etwas entgegen: Wir haben Schluß gemacht mit der Verschleierung der Zusammenhänge und der Lüge von der angeblichen „Objektivität“. Wir sind eingestanden engagiert. Denn nur durch dieses Eingeständnis unserer Haltung, von der aus wir unseren Blick auf die Welt richten, sind die so gesammelten Informationen und gemachten Analysen für Leserinnen wie Leser nachvollziehbar – und damit erst wirklich objektivierbar.

Daß wir all das nicht nur taten, sondern auch noch selbstbewußt und offensiv vertraten, verletzte vollends die Spielregeln. Vor allem ich, die Initiatorin und Verkörperung der Zeitschrift, stand und stehe im Visier. Doch angegriffen wurden nicht etwa die von mir vertretenen Inhalte, angegriffen wurde meine Person. Sowas hat Tradition in Deutschland. – Die frustrierte Schwarzer, die keinen mitgekriegt hat. Die bürgerliche Schwarzer, die jetzt einen kapitalistischen Verlag gegründet hat. Die autoritäre Schwarzer, die nun auch noch schlimmer ist als jeder männliche Chef. – Kein Klischee warzu plump. Und natürlich blieb immer etwas hängen. Manchmal etwas zuviel für einen Menschen.

Daß ich, daß wir – das knappe Dutzend Frauen, das Emma seit Jahren mitverantwortlich trägt – es dennoch durchgehalten haben, ist ein kleines Wunder. Einfach war es nicht immer, das sind Wunder nie, aber gelohnt hat es sich. Denn Emma ist so viel mehr als eine Zeitschrift: Emma ist eine Institution. Für viele isolierte Frauen ist sie einzige Ansprechpartnerin, oft sogar „beste Freundin“.

Für so manche, die sich ins Frauenzentrum nicht trauen, ist sie Anlaufstelle für alle Arten von Fragen und Problemen. Für Medien und Institutionen ist sie zentrales Auskunftsbüro. Für die Vielfalt von Frauen in Bewegung ist sie heute die einzige überregionale Stimme, die die Öffentlichkeit erreicht. Und vor allem: Emma ist die Garantie dafür, daß der Widerstand von Frauen nicht mehr so einfach verdreht oder totgeschwiegen werden kann!

Themen, die sich erst heute in ‚Brigitte‘ oder ’stern‘ spiegeln, haben vor zehn Jahren in Emma gestanden. Schon 1977 forderte Emma mehr Häuser für geschlagene Frauen, brach Emma das Schweigen über den Inzest und berichtete Emma über den weltweiten Anti-Pornographie-Kampf von Frauen.

Dem schleichenden Zersetzungsprozeß von innen, der sich als Auch-Feminismus präsentierte und auch weite Teile der Frauenbewegung erfaßte, hat Emma früh kritisch gegenüber gestanden: Uns war die Falle der „neuen“ (alten) Weiblichkeit („Frauen sind die besseren Menschen“) und des Rückzugs ins Irrationale immer klar.

Den weltweit ersten Sexismusprozeß gegen die Männermedien initiierte Emma. Diesen Prozeß gegen die erniedrigenden, pornographischen Titelblätter des ’stern‘ hätten wir bei dem anfänglichen allgemeinen Hohngelächter wohl nie durchgestanden ohne die Möglichkeit der differenzierten und kraftvollen Argumentation im eigenen Blatt.

Und auch die neue Friedenspolitik wäre ohne eine Stimme wie Emma vielleicht abgeglitten in eine Befriedungspolitik der Geschlechter, die den Frauen die bequeme Rolle der Friedensengel zuweist und die Sache der Frauen damit vom Tisch wischt.

Emma ist keiner Partei und keinem Trend verpflichtet. Emma hat oft zwischen allen Stühlen gesessen. Emma wird das auch weiterhin tun.

Ich kann das so sicher sagen, weil wir unabhängig sind. Auch ökonomisch (was ja die Voraussetzung für jede Unabhängigkeit überhaupt ist). Entgegen aller wohlmeinenden anderslautenden Gerüchte, die Emma mal bald bankrott, mal von geheimnisvollen Geldgebern finanziert wissen wollen, teilen wir nicht ohne Stolz mit: Emma lebt aus eigener Kraft, ganz und gar ohne fremde Mittel.

Emma ist heute die auflagenstärkste Feministinnen-Zeitschrift in Europa. Nach langen schwierigen Zeiten steigt seit etwa anderthalb Jahren die Auflage wieder, leicht aber stetig. Emma ist radikalfeministisch. Allgemeinpolitisch ist sie als links einzuordnen. Wo sonst. Sie freut sich über (fast) jede Reform, die den Frauen das Leben erleichtert, arbeitet aber auch in diesen eher entmutigenden Zeiten auf eine wirklich tiefgreifende, auf eine revolutionierende Veränderung hin. Emma hat auch in Zukunft nicht die Absicht, Kreide zu fressen.

Ist Emma heute noch nötig? Ja. Nötiger als vor zehn Jahren! Denn wir leben in Zeiten des Fortschritts und Rückschritts zugleich. Und je mehr wir Frauen erreichen, umsomehr versucht man, uns zu verdummen. Längst hat das Patriarchat zurückgeschlagen. Seine Methoden sind vielfältig, subtil und brachial zugleich. Wer darauf antwortet? Hoffentlich nicht nur Emma, aber auch Emma.
Denn Emma lebt. Auch wenn die Jungs sich totärgern.

(Quelle: EMMA 02/1987)

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