Alice Schwarzer: Terroristinnen

Alice Schwarzer, 1977

Franz Josefs Bayern-Kurier wußte es ganz genau: „Im neu begründeten Feminismus‘, der von den Linken gepredigt wird, sehen Beobachter der Szene einen Hauptgrund für den jüngsten Rollentausch der Geschlechter an der Terrorfront.“

Und in der „Welt“ durfte der Psychologe Hofstätter sich Gedanken machen. Auch für ihn ist alles klar. Nach einem kleinen Umweg über eine psychoanalytische Interpretation von Frauen-Gewalt („Aus unerfüllter, inzestuöser Vaterliebe resultierender Vaterhaß“) kommt er zur Sache: Der wahre Grund sei die Absicht, das Matriarchat zu errichten: „Ich meine, daß sie sich als .Amazonen‘, d. h. als Vorkämpferinnen einer mutterrechtlichen Gesellschaft vorkommen. Fleisch erbeutende und verzehrende Jägerinnen also, die sich dem Klischee der für typisch gehaltenen Anbau- und Backarbeit entziehen, und die dafür Attribute der männlichen Rolle in Anspruch nehmen.“ Statt Plätzchen Kugeln …

Und weil es so schön ist, noch einmal Hofstätter: „Das Urverbot des Inzests ist mit einem Mal aufgehoben, wenn die Frau dem Mann das Besitzrecht entwindet. Damit entsteht eine im Spiegelbild verkehrte Welt, in welcher der linken Seite vor der rechten der Vorzug eingeräumt wird, der Nacht vor dem Tag, dem Mond vor der Sonne und dem dionysischen Rasen vor dem apollonischen Ebenmaß.“

„Weibliche“ Irrationalität ersetzt „männliche“ Ratio, Chaos tritt an die Stelle von Ordnung. Auch der „Spiegel“ vermutet „etwas Irrationales“ und landauf landab überschlägt sich die Männerpresse mit solch psychologisierenden, biologistischen Interpretationen des Phänomens (die übrigens alles andere als rational sind …). Was steckt dahinter? Eine Menge!

  • Die sogenannten Terroristinnen sollen gleichgesetzt oder doch zumindest in die Nähe gerückt werden von Feministinnen — um so den gesamten Frauenkampf diffamieren zu können (Der „Spiegel“: „Exzess der Emanzipation?“).
  • Gleichzeitig wird versucht, diesen Ausbruch der Frauen im Untergrund aus der klassischen Weiblichkeit nicht als solchen zu akzeptieren, sondern ihre scheinbar „männlichen“ Handlungen sofort als gerade besonders „weiblich“ zu stigmatisieren. Frauen, die versuchen, wie die Kerle zu sein, sind entartet, nicht ernstzunehmen und pubertär. (Quick: „Die mordenden Mädchen“.)
  • Mit dem Getöse über die „Terroristenmädchen“ versucht die Männerpresse, sich über ihre eigene Angst hinwegzuschwadronieren. Die Frauen werden ihnen eben immer unheimlicher. Der tatsächliche Verdacht, dies könne „die dunkle Seite der Bewegung für volle Gleichberechtigung“ sein (Spiegel), verschreckt sie. Die Angst, morgen könnte es die eigene Tochter oder gar die eigene Ehefrau sein, die auf sie anlegt, sitzt ihnen im Nacken. Das Entsetzen über den Ausbruch aus der jahrtausendelang beschworenen „weiblichen“ Friedfertigkeit packt sie („Womit erklärt sich der Totalausfall auch aller instinktiven und emotionalen Hemmungen?“ fragt der „Spiegel“ schaudernd.)
  • Indem man sich ausschließlich mit der Psyche der Täterinnen beschäftigt (die in diesem Zusammenhang auch aufschlußreich ist, aber eben nur ein Schlüssel von mehreren nötigen), lenkt man ab von den äußeren, den gesellschaftlichen Ursachen des Protestes.

Es geht hier selbstverständlich nicht darum, die Stadtguerilla in der BRD des Jahres 1977 zu rechtfertigen oder gar zu propagieren. Im Gegenteil. Doch angesichts der Dramatik der letzten Ereignisse und der damit bedauerlicherweise auf allen Seiten zunehmenden Undifferenziertheit in der Debatte um dieses Thema muß ich das leider betonen.

Nein, es geht hier vielmehr darum, die Reaktionen in der Männerpresse, daß auch Frauen zur Waffe greifen, zu durchleuchten. Und auch darum, uns selbst die Frage zu stellen, warum ausgerechnet Frauen in dieser Domäne so zahlreich vertreten sind. Denn es stimmt ja, daß heute fast zwei Drittel aller in der BRD mit Haftbefehl gesuchten „Terroristen“ weiblich sind. Und daß sie dabei nicht nur „Bräute der Revolution“ sind, wurde rasch offensichtlich. In vielen Fällen sind Frauen in der Theorie (z. B. Ulrike Meinhoff) und in der Praxis führend: Frauen schultern Maschinengewehre, nehmen Geiseln, entführen Flugzeuge, geben Kommandos.

Daß Frauen so handeln, ist übrigens nicht neu. In der von Männern geschriebenen Geschichte ist zwar fast alles, was nicht in ihr Frauenbild paßt und für sie gefährlich werden könnte, verschüttet worden. Wir wissen jedoch, daß Frauen häufig führende Rollen in Terroraktionen, Aufständen und Revolutionen gespielt haben. (So z. B. in Frankreich und Rußland des 19. Jahrh.)

Das Phänomen scheint so alt zu sein wie die Menschheitsgeschichte. Auch mit der gern beschworenen „Weiblichkeit“ scheint’s nicht so weit her zu sein. Frauen sind eben nicht von Natur aus gut oder friedfertig – es wird ihnen nur eingeredet, daß sie so zu sein hätten. Einmal diese Barriere durchbrochen, handeln auch sie, wie die Situation es erfordert. So berichtet der monatelang in Tupamaro-Haft gehaltene britische Botschafter Geofferey Jackson: „Frauen waren die besseren Spieler… kühler und berechnender“ als die „aggressiven und emotionaleren“ Männer.

Die Frage, wieweit das Verhalten dieser Wenigen symptomatisch sein könnten für ein sich wandelndes Selbstverständnis der Frauen ist dann so berechtigt, wie grobe Verallgemeinerungen und Kurzschlüsse unberechtigt sind. Bei dem Versuch, etwas über die Frauenübermacht im Untergrund zu sagen, sind wir alle zum größten Teil auf Spekulationen angewiesen. Ich will dennoch versuchen, einige der Gründe zu benennen, die vielleicht dazu führten:

  • Frauen sind real stärker unterdrückt als Männer. Starker Druck zeitigt tiefes Ducken, aber das einmal überwunden, auch starken Gegendruck.
  • Die Gesellschaft, gegen die die „Terroristinnen“ wüten, ist eine Männergesellschaft und darum für sie noch weniger ihre Welt als die ihrer Genossen.
  • Frauen ist der Weg zurück aus dem Untergrund noch stärker versperrt als Männern (ein Bankräuber kann noch ein Robin Hood sein, eine Bankräuberin ist eine tragische Figur, der man das Kind wegnimmt).
  • Frauen haben Übung in Selbstaufgabe. Haben sie sich bisher für Menschen aufgeopfert, so tun sie es in diesem Falle für eine Sache – die oft so abstrakt ist, daß sie mit ihrer Person kaum noch zu tun hat: ihre Identität tritt bis zur Selbstverleugnung zurück.
  • Frauen, denen jahrtausendelang Friedfertigkeit und Erdulden um jeden Preis gepredigt und Gewalt verboten wurde – Frauen sind vielleicht noch stärker als Männer fasziniert von der Gewalt —wenn sie sie einmal wagen.

So sagte zum Beispiel Beate Sturm, die zur Roten Armee Fraktion gehörte, im Rückblick: „Eines fand ich damals Klasse – daß man als Frau wirklich emanzipiert war, daß man manche Sachen einfach besser konnte als die Männer. Wir haben uns einfach stärker gefühlt.“ (zitiert im „Spiegel“).

Gibt eine solche Aussage der Presse zu denken? Stellt sie sich deswegen Fragen in bezug auf die weibliche Rolle, die so eng ist, daß sogar das Leben im Untergrund der BRD 77 als befreiend empfunden wird? Nein. Sie benutzt sie nur mit einem Ziel: zur Diffamation der Emanzipationsbewegung! Dabei ist es eines der Ziele gerade der Frauenbewegung, daß alle Frauen sich, eines Tages auch in der Legalität frei fühlen können.

(Quelle: EMMA 10/1977)

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