Februar
Zu dem im Folgemonat stattfindenden Tribunal über Gewalt gegen Frauen in Brüssel veranstaltet das Berliner Frauenzentrum am 19. Februar ein Frauenfest in der TU-Mensa.
Die Flying Lesbians spielen und es gibt eine Karate-Demonstration. Redebeiträge setzen sich inhaltlich mit der kommenden Veranstaltung auseinander.
4.-8. März
Eigentlich wollen Vertreterinnen der Lesbenbewegung auf dem Tribunal mit einem eigenen Redebeitrag zu Wort kommen, um die (Gewalt-)Situation von Lesben hervorzuheben. Dieser wird von den Veranstalterinnen gestrichen. Deshalb stürmen am Samstag ca. 100 Lesben die Bühne, bewaffnet mit Plakaten und Flyern, und verkünden „Wir sind nicht lesbisch, weil wir keine Männer lieben können, sondern weil wir Frauen lieben wollen.“ Am nächsten Tag gibt es einen „Lesbennachmittag“, auf dem Erfahrungen und Berichte von Lesben aus verschiedenen Ländern ausgetauscht werden. Die Aktivistinnen resümieren, dass Frauenkongresse ihnen „nichts bringen, weil wir uns da genauso wehren und durchsetzen wie überall.“ Die Lösung sei, eigene internationale Kongresse und Treffen abzuhalten. „Der erste Schritt zur Lesbian Nation wurde in Brüssel getan, und das ist wirklich das Positivste an der ganzen Sache.“[1]
April
In Berlin gründen vier Frauen den Amazonen-Frauenverlag, der „das lesbische Anliegen selbstbewusst und offensiv vertreten“ will. Denn: Die Situation homosexueller Frauen werde „in den Medien herabgespielt, verfälscht, ja – in die pathologische Ecke abgeschoben.“ Die Gründerinnen erklären: „Wir wollen nicht länger den lesbischen Literaturbereich den bestehenden Verlagen als pikante Variante im Programm überlassen. Wir wollen Bücher herausgeben, von uns für Lesben und Frauen mit autonomem Selbstverständnis.“ Zu den ersten Büchern im Amazonen-Frauenverlag gehören Jill Johnstons „Lesben-Nation“. „Die Feministische Lösung“ und der historische Lesbenroman „Sind es Frauen?“ von Aimée Duc aus dem Jahr 1901.
11. Mai
Die Berliner Frauen-Rockgruppe Flying Lesbians, die 1974 aus der Berliner Rockfete im Rock hervorgegangen war, veröffentlicht ihre erste LP mit einer Verkaufszahl von 15.000 Exemplaren.[2] Auf der LP, die über den Münchner Verlag Frauenoffensive vertrieben wird, ist unter anderem der legendäre Text „Frauen gemeinsam sind stark“ von Renate Stefan vertont. Mit dem Namen der Band wollen sie den „Begriff ‚Lesben‘ sichtbar und hörbar machen.“
Zu den Flying Lesbians gehören Monika Mengel (Gesang), Swetlana (Schlagzeug), Cillie Rentmeister (Gesang und Klavier), Monika Savier (Bass), Monika Jaeckel (Gesang) und Christel Wachowski (Gitarre).[3] Die Band avanciert in den drei Jahren ihres Bestehens zur „Stimme und Stimmungsband der ‘amazonischen Zeit‘ der Frauenbewegung: der radikalen, bewegten, euphorischen Gründerinnenzeit.“[4] Die Musikerinnen spielen innerhalb von drei Jahren auf mehr als 50 Festivals in der Bundesrepublik und im Ausland. Die Feste, auf denen sie auftreten, werden zum Treffpunkt von Lesben und heterosexuellen Frauen.[5] 1977 hören die Flying Lesbians auf, da „in der Frauenbewegung und bei uns Alltag einkehrte.“[6]
8. Mai
Durch das Internationale Pfingsttreffen im Jahr zuvor angestoßen, gründet die Lesbengruppe Frankfurt, losgelöst vom Frauenzentrum, ihr eigenes Lesbenzentrum. Die feierliche Eröffnung findet am 8.Mai statt. Die Frauen planen vorerst keine politischen Aktionen, sondern konzentrieren sich aufs lesbische Conscious Raising.[7]
29. Mai
Am 29. Mai eröffnet in der Berliner Kantstraße der Frauenbuchladen Lilith. Die Frauen vom LAZ sind an der Gründung und Eröffnung des Ladens mit den Frauen aus dem Berliner Frauenzentrum beteiligt.[8] Frauenbuchläden, die seit Mitte der 1970er Jahre gegründet werden, avancieren zu lesbisch-feministischen Treffpunkten.[9]
4.-7. Juni
Zum 5. Mal laden die Berlinerinnen des LAZ zum Lesbenpfingsttreffen ein. Im Vorfeld hatten sie um Vorbereitung von Arbeitsgruppen gebeten. Mit Erfolg: Es gibt Angebote zu Lesbische Frauen in der Öffentlichkeit, Lesbenbewegung und Frauenbewegung, Lohn und Berufstätigkeit sowie alternativen Berufs- und Lebensperspektiven.
In den Diskussionen wird deutlich, wie groß die Unterschiede im Leben von Land-, Klein
stadt-und Großstadtlesben sind. In Kleinstädten und auf dem Land existieren häufig keine Lesbengruppen. Auch das Verhältnis zwischen Lesben- und Frauenbewegung wird kontrovers diskutiert.
„Was wollen wir Lesben? Wir wissen was wir nicht machen wollen, aber was wir machen wollen, ist und bleibt diffus. Es bestehen gegensätzliche Richtungen und eine zu enge Toleranzspanne (ähnlich ist es in männlichen Schwulenscene).“[10] Bisexualität, das wird auf diesem Treffen deutlich, ist in der Bewegung nicht toleriert. „Das Wort Bisexualität wurde – als Reizwort – jedesmal [sic!], wenn es geäußert wurde, mit Buhrufen bedacht […].“[11]
Juli
Die als Terroristinnen verurteilten Inge Viett, Juliane Plambeck, Monika Berberich und Gabriele Rollnick brechen aus der Berliner Frauenhaftanstalt Lehrter Straße aus. BILD nimmt den Ausbruch der ‚Terror-Mädchen’ zum Anlass für eine anti-lesbische Hetzkampagne („Ausbruch, weil sie lesbisch sind?“). Es ist die Zeit, in der die selbsternannte ‚linke Volksguerilla’ – von der militanten Spaß-Guerilla-Truppe bis hin zum bewaffneten Kampf der RAF – Staat und Öffentlichkeit bewegen. Ulrike Meinhof, Ex-Chefredakteurin von konkret (und Ehefrau des Herausgebers Klaus Rainer Röhl), ist nicht die einzige auch feministisch bewegte Frau, die sich für den ‚bewaffneten Kampf’ gegen den ‚imperialistischen Schweinestaat’ entscheidet. Die anfangs noch schweigende legale Linke und die Frauenbewegung beginnen, sich zu distanzieren. Gleichzeitig gibt es eine Tendenz in den Medien, Terroristinnen und Feministinnen gleichzusetzen. Der polemische Begriff ‚Sympathisantin’ grassiert.
6.-10. Juli
Die erste Sommeruniversität der Frauen ist ein bedeutendes Event in der Frauenbewegung. Lesbische Frauen sind an Organisation und Aufbau der Veranstaltung maßgeblich beteiligt und als Teilnehmerinnen vor Ort. Dennoch werden lesbische Anliegen im Programm und in den Diskussionen kaum thematisiert. Am letzten Tag der Veranstaltung solidarisieren sich die Teilnehmerinnen jedoch mit den vier Frauen, die aus dem Gefängnis Lehrter Straße geflohen waren. Die Diskussionsveranstaltung über die Hetzkampagne der BILD endet mit dem Ausruf „Wir sind alle Lesben!”
Die Autorin Cornelia hält in Unserer Kleinen Zeitung fest: „Für mich war diese Plenumsdiskussion wegen ihres starken emotionalen Engagements der lebendigste Beweis dafür, daß sich die neue Frauenbewegung nicht mehr an den Problemen lesbischer Frauen vorbeimogeln kann.”[12]
9.-30. August
Im Frankfurter Schwurgericht läuft ein Prozess gegen ein lesbisches Paar wegen „Körperverletzung mit Todesfolge.“ Das Paar hatte sich nachts gegen die wiederholten Zudringlichkeiten eines Mannes gewehrt. Die Frauen aus dem Lesbenzentrum und Frauenzentrum Frankfurt sowie der Frauentreffpunkt Niedenau rufen zu Solidarität mit den beiden Frauen auf und fordern deren Freispruch. Am 27. August organisieren die Frauengruppen die erste Nachtdemonstration der Bewegung in Frankfurt mit 600 Teilnehmerinnen.[13] Sie fordern: „Kriminell sind alle Männer, die Frauen auf irgendeine Weise bedrohen. Wir erkennen keine Männerjustiz an, deren Recht Unrecht gegen Frauen ist.“
Herbst
„Flashaktion” in der Hamburger Diskothek Flash: Den Hamburger Lesben ist eine Geschichte zu Ohren gekommen, in der zwei Frauen zu schneller Musik in der Diskothek getanzt hatten und, als langsame Musik einsetzte, die Frauen „ratlos voreinander standen“. Die Situation wurde dadurch gerettet, dass ein Mann hinzukam und sich eine der Frauen „schnappte“. Die Lesbengruppe entscheidet sich dazu, die Diskothek zu „kippen“. Mehrere Frauen der Gruppe gehen in die Diskothek und als ein langsames Stück
gespielt wird, beginnen viele Frauenpaare eng miteinander zu tanzen. Daraufhin macht sich Unruhe breit und nach dem Lied werden die Frauen gebeten den Laden zu verlassen. Die Aktion wird von den Frauen „als Übung“ gesehen, um ihre Ängste zu überwinden und Widerstand zu leisten. Die Mutprobe glückt: „Wir haben uns getraut / das Recht genommen auch in einer ‘normalen‘ Diskothek miteinander zu tanzen und gesehen es geht. Wir konnten die Stärkung der Gruppe spüren und feststellen, daß es nicht soooo leicht ist uns zu vertreiben.“[14]
17. September
Parallel zur Buchmesse veranstalten die Verlage Frauenoffensive und Amazonenverlag alternative Programme. Dabei wird die deutsche Übersetzung von Jill Johnstons „Lesben-Nation. Die feministische Lösung“ im Frankfurter Lesbenzentrum dem Publikum präsentiert. [15]
November
Frauen- und Lesbengruppen starten eine bundesweite Solidaritätsaktion für Judy Andersen. Seit ihrer Verurteilung zu lebenslänglich 1974 sitzt Andersen in Einzelhaft. Begründung: Die lesbische Frau könne andernfalls die Gelegenheit zu sexuellen Kontakten mit ihren Mithäftlingen nutzen. Die Dänin Andersen, die im Gefängnis bereits einen Selbstmordversuch unternommen hat und mit Psychopharmaka behandelt wird, hat ihre Verlegung nach Dänemark beantragt, die dänische Regierung hat ebenfalls einen Auslieferungsantrag gestellt. Die Frauengruppen protestieren mit Briefen an Justizministerium und Bundesregierung gegen die Haftbedingungen und fordern die Auslieferung von Judy Andersen nach Dänemark.
1. November
Gründung des autonomen Lesbenzentrums in Hamburg, dem LENE- Lesbennest.[16] Die Idee zu einem eigenen Lesbenzentrum, unabhängig vom Frauenzentrum, „spukte“ einigen Hamburger Lesben schon lange im Kopf herum. Der Austausch mit dem LAZ Berlin an Pfingsten bestärkt sie in ihren Plänen. Sie entscheiden sich für ein eigenes Zentrum, weil sie ihre lesbische Identität finden wollen.[17]
20.-29. Dezember
Das LAZ Heidelberg organisiert ein Weihnachtslager für Lesben im Odenwald.[18] Dieses Angebot bietet Lesben, die keine Familie haben, eine Möglichkeit die Feiertage in Gesellschaft zu verbringen.
[1] 1. Frauentribunal in Brüssel, Bericht in der Lesbenfront, 2/1976 (PD.LE.11.01).
[2] Vgl.: Rentmeister, Cillie: The Flying Lesbians spielten zum Tanz der freien Verhältnisse. In: Dennert, Gabriele; Leidinger, Christiane; Rauchhut, Franziska [Hrsg.]: In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S. 210-215, hier S. 214.
[3] Vgl.: Ebd., S. 211.
[4] Ebd., S. 210.
[5] Vgl.: Ebd., S. 214.
[6] Vgl.: Ebd.
[7] Schuba, Anita: Subjektiver Bericht einer Lesbe aus dem Frankfurter Lesbenzentrum die von Anfang an dabei war. In: Lesbenpresse 9/1976, S. 29.
[8] Vgl.: Frauenzentrum Berlin [Hrsg.]: Fraueninfo Berlin. Selbstdarstellung, Berlin, 1976, S. 51.
[9] Vgl.: Eröffnung Lilith Frauenbuchladen, Berlin 1976 (PT.1976-01).
[10] Lesbengruppe im Frauenzentrum Aachen (PD.LE.11.01-1976).
[11] Ein Bericht vom Pfingsttreffen in Berlin. In: Protokolle 6/1976 (PD.LE.11.01-1976).
[12] Cornelia: Sommer-Universität für Frauen. In: Unsere Kleine Zeitung, 9/1976, S. 8.
[13] Vgl.: Schuba, Anita: Subjektiver Bericht einer Lesbe aus dem Frankfurter Lesbenzentrum die von Anfang an dabei war. In: Lesbenpresse 9/76, S. 29.
[14] Frauenzentrum Hamburg [Hrsg.]: Frauenzeitung, 9/ 1977 (PD.LE.11.01-1977).
[15] Vgl.: Frauen wißt ihr schon? Nr. 6, vom 13.09.1976, S. 2 (PD.LE.11.01-1976).
[16] Vgl.: Unsere Kleine Zeitung, 12/1976, S. 1.
[17] Vgl.: Kennt ihr das Lesbennest schon ??? In: Hamburger Frauenzeitung, 7/1976, S. 28 (PD.LE.11.01-1976).
[18] Vgl.: Unsere Kleine Zeitung, 12/1976, S. 1.