Am 1. Juli nächsten Jahres tritt das neue Eherecht in Kraft (I)
Keines der fünf Bücher des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches ist im Laufe der gut 75 Jahre seiner Geltung so drastisch und so grundlegend geändert worden, wie das fünfte Buch mit der Überschrift Familienrecht. In seinen wichtigsten Bestimmungen, die die Ehe, die Ehescheidung und das Verhältnis zwischen Eltern und Kinder betreffen, ist fast alles so geblieben wie es ursprünglich war.
Als das BGB am 1.1.1900 in Kraft trat, entschied es in § 1354 den Satz: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu“. Auch die Fragen der Haushaltsführung und der Kindererziehung entschied in Streitfällen der Mann allein. Arbeitsverträge seiner Frau konnte er auch gegen ihren Willen kündigen. Der gesetzliche Güterstand war die Verwaltung und Nutznießung des Mannes am Frauenvermögen; das heißt: hatte die verheiratete Frau eigenes Geld, konnte allein der Mann darüber verfügen und ihm allein gehörten die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau.
Dieses Ehemodell des BGB, das man heute, ohne zu übertreiben, streng patriarchalisch nennen kann, ist schon während der Vorarbeiten zum Gesetz im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts außerordentlich heftig umstritten gewesen. Die einen — unterstützt von der damals sich entwickelnden ersten Frauenbewegung — hielten es für reaktionär und eines modernen Gesetzes für unwürdig. Eine so starke ehemännliche Übermacht — so hieß es in einer Reichstagsrede — erwecke Übermut auf der einen Seite und Hinterlist auf der anderen.
Andere, wie etwa der Jurist Otto von Gierke, fanden es zu individualistisch -und zu stark von römisch-rechtlichen Prinzipien beeinflußt; ihnen schien eine strikte Gehorsamspflicht der Ehefrau gegenüber dem Mann innerhalb der „Organischen Einheit“ Ehe angemessener. „Ist es ein unabweisbares Bedrüfnis…, den Ehemann zum passiven Zuschauen bei allen möglichen Operationen seiner Frau zu verurteilen? Entspricht es unserem deutschen Rechtsbewußtsein, daß der Mann nicht mehr als der geborene Vertreter der Frau gelten soll?“ Gierkes Frage wirkt heute eher komisch, damals wurde sie ernst genommen.
Das als Kompromiß zwischen diesen extremen Positionen schließlich Gesetz gewordene Eherecht des BGB ist im wesentlichen bis zum 31. März 1953 in Kraft geblieben. Am 1. April 1953 trat das dem Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz („Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) entgegenstehende Recht außer Kraft. Da der Gesetzgeber seinem grundgesetzlichen Auftrag nach Anpassung des alten Rechts an die neue Verfassung nicht nachgekommen war, hatten jetzt die Richter das Wort. Schritt für Schritt formten sie ein neues Eherecht: Einigungspflicht statt Entscheidungsrecht des Mannes, Gütertrennung statt Verwaltung und Nutznießung. Erst 1957 kam das Gleichberechtigungsgesetz mit dem neuen gesetzlichen Güterstand, der Zugewinngemeinschaft, 1961 das Familienrechtsänderungsgesetz mit einer Neugestaltung des Rechts zwischen Eltern und Kindern, Änderungen des Eheschließungsrechts und einer Erschwerung der Scheidung, auf die wir noch zurückkommen werden.
Das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts, unter dem Datum vom 14. Juni 1976 im Bundesgesetzblatt verkündet, ist fürs erste der Schlußstein in dieser Entwicklung; den Namen Erstes Eherechtsreformgesetz trägt es freilich nach den Reformen der 50er und 60er Jahre zu Unrecht. In seinem ersten Teil enthält es die Eherechtsreform, im zweiten die Reform des Scheidungsrechts — in der Öffentlichkeit hält man dies zu Unrecht häufig für den einzigen Inhalt des Gesetzes —, ein dritter Teil bringt die Neuordnung des Scheidungsverfahrens, die eine Konzentration aller mit einer Scheidung zusammenhängenden Fragen bei den neu zu schaffenden Familiengerichten vorsieht.
Der umstrittenste Teil der Eherechtsreform war das Namensrecht; es ist bereits seit dem 1. Juli 1976 geltendes Recht. Seitdem kann ein Brautpaar bei der Eheschließung entweder den Namen des Mannes oder den Namen der Frau zum Familiennamen und damit auch zum Namen der gemeinsamen Kinder wählen. Heiratet also Herr Stark Fräulein Hübsch, so kann das Ehepaar sich entweder Stark oder Hübsch nennen. Können sie sich nicht einigen, so ist der Name des Mannes Familienname, dann heißen sie also Stark.
Der Ehegatte, dessen Name nicht Ehename wird, kann seinen Geburtsnamen dem Ehenamen voranstellen. Wird also der Name Stark Ehename, so kann Frau Stark sich Hübsch-Stark nennen, wird der Name Hübsch Ehename, so kann Herr Hübsch sich Stark-Hübsch nennen. Die gemeinsamen Kinder bekommen aber nur den Ehenamen, nicht den Doppelnamen des Elternteils, dessen Name nicht Ehename geworden ist.
Einen aus beiden Geburtsnamen zusammengesetzten Doppelnamen können Brautpaare aber nicht zum Familiennamen wählen. Der ursprüngliche Entwurf hatte das noch vorgesehen; der Bundesrat hat dies ebenso wie die Rückwirkung des neuen Namensrechts abgelehnt, weil sonst das große Chaos in den öffentlichen Urkunden ausgebrochen wäre. So bleibt es nun bei der „kleinen Lösung“: Das neue Namensrecht gibt den Verlobten ein einfaches Wahlrecht zwischen dem Namen des Mannes und dem Namen der Frau und es gilt nur für Ehen, die nach dem 1. Juli 1976 geschlossen sind.
Bisher liegt der Prozentsatz der Männer, die bei der Heirat den Namen ihrer Frau annehmen, unter 2 Prozent. Die praktische Bedeutung des neuen Namensrechts wird also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht sehr groß sein. Sie beschränkt sich auf Fälle, in denen der Name des Mannes sehr häßlich oder ein nichtssagender Allerweltsname ist oder der Name der Braut ganz besonders verlockend klingt.
Mißbilligt wird die Namenrechtsreform vor allem von den deutschen Adelsverbänden. Ihr Ausschuß für adelsrechtliche Fragen weist in einer Anzeige darauf hin, daß Ehemänner, die den Namen der adlig geborenen Ehefrau annehmen, damit nicht die „Zugehörigkeit zum historischen deutschen Adel“ erwerben. Im Gotha werden sie „gegebenenfalls als Namensträger“ im Anschluß an die Familienartikcl aufgeführt, einer Art Strafecke für bürgerliche Ehemänner.
Ob die Ehefrauen in der Bundesrepublik am 1. Juli 1977 ein Freudenfest feiern werden? Das Motto müßte sein: die Hausfrauenehe ist abgeschafft. Bisher (und bis einschließlich 30. Juni 1977) gilt noch das durch das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 umformulierte „alte“ BGB. Danach ist die Frau in erster Linie zur Haushaltsführung, der Mann zum finanziellen Unterhalt der Familie verpflichtet. Die Ehefrau darf nur dann berufstätig sein, wenn sie dadurch ihre familiären Verpflichtungen nicht vernachlässigt; wenn die Einkünfte des Mannes für den Familienunterhalt nicht reichen, ist sie aber verpflichtet zu arbeiten. Im Beruf oder Geschäft des Mannes muß sie mitarbeiten, „soweit dies nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben, üblich ist.“ Für diese Mitarbeit innerhalb des Üblichen bekommt sie nichts.
Das bedeutet: die Frau eines Beamten oder eines Rechtsanwalts darf gegen den Willen ihres Mannes auch dann nicht berufstätig sein, wenn sie aus ihrem Arbeitseinkommen eine Haushälterin bezahlen könnte und wollte, die Bauersfrau, die Gastwirtsfrau und die Frau eines Lebensmittelhändlers müssen ohne Bezahlung mitarbeiten, egal wie viele Kinder sie haben.
In jedem Fall liegt die Haushaltsführung ganz überwiegend in der Hand der Frau, im Normalfall hat sie kein eigenes Einkommen. Das Gesetz gibt ihr deshalb mit der „Schlüsselgewalt“ die Möglichkeit, in den Grenzen ihres „häuslichen Wirkungskreises“ Rechtsgeschäfte zu schließen, deren Folgen allein der Mann trägt. Simpel gesagt: die Frau kann im Supermarkt einkaufen, der Mann muß zahlen.
Das neue Eherecht wird mit Wirkung vom 1. Juli 1977 an das Bild ändern. Dann müssen beide die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen regeln. Beide sind berechtigt, berufstätig zu sein, beide müssen auf die Familie Rücksicht nehmen. Eine Mitarbeitspflicht im Geschäft des anderen gibt es nicht mehr. Jeder darf „Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie“ abschließen, für die auch der andere haftet. Kurz: die Hausfrauenehe, die dem Gesetzgeber noch 1957 selbstverständlich schien, wird jedenfalls im Gesetz nicht mehr zu finden sein.
An der sozialen Realität wird das freilich zunächst nicht viel ändern. Mag sein, daß die eine oder andere Familienmutter am 1. Juli vor ihren Eheherrn tritt, ihn auf seine Pflichten im Haushalt und bei der Kindererziehung hinweist und auf ihr Recht zur Selbstverwirklichung im Beruf pocht. Sie kann das tun und sie braucht die Konsequenzen nicht zu fürchten wie früher.
Nach dem alten Recht ist die nachhaltige Verletzung der Haushaltspflfchten ein Scheidungsgrund, und wer schuldig geschieden ist, bekommt weder Unterhalt noch kann er damit rechnen, die Kinder zu behalten. Auch nach dem neuen Recht kann ein Mann sich scheiden lassen, spätestens nach 5 Jahren, meistens schon nach 3jährigem Getrenntleben; doch seine finanziellen Verpflichtungen können dennoch weiter bestehen und die Kinderverteilung hängt nicht mehr an der Frage, wer eheliche Pflichten verletzt hat und wer nicht.
Ginge es allein nach dem Gesetz, so hätten Mitte nächsten Jahres alle Ehefrauen die Wahl zwischen Haushalt, Beruf oder einer Kombination aus beidem. In der Praxis haben sie diese Wahlmöglichkeit meistens nicht: Ihre Ausbildung ist schlecht, ihre Berufsaussichten sind schlecht ihre Bezahlung würde schlecht sein und ihr Selbstvertrauen ist nach einigen Jahren der Isolation in Haushalt und Familie mindestens angeknackst. Diese Voraussetzungen zu ändern wird mehr Zeit brauchen als die Änderung des BGB.
(Quelle: Die Zeit, 15.10.1976)