Wer hat Angst vor Sappho? – Die Lesbenpresse [1975 –1982]

Vorreiterin lesbisch-separatistischer Ideen und Sprachrohr des Lesbischen Aktionszentrums Westberlin (LAZ) – die Lesbenpresse gab revolutionäre Impulse, aber scheiterte schließlich an den eigenen Ansprüchen und Auseinandersetzungen.

„Mit der Lesbenpresse wollen wir die Kommunikation unter uns verbessern und die Informationen und das Wissen, welches wir dringend brauchen, zusammentragen und verbreiten, weil wir der Meinung sind, daß wir das sowieso nur selber machen können“[1] – so kündigten die „Frauen der Lesbenpresse“ in einem Schreiben vom 25. Februar 1975 eine neue Publikation im wachsenden Blätterwald der Frauenbewegung an. Als das Redaktionskollektiv sich im gleichen Jahr in der Frauenzeitung: Frauen gemeinsam sind stark vorstellte, klang das schon nicht mehr ganz so enthusiastisch: „vor einiger zeit taten sich 9 frauen zusammen, weil sie lust hatten, eine zeitung zu machen. die lust, oder wie frau das auch immer nennen mag, war wohl sehr verschieden.“[2] Trotzdem blieb die Lesbenpresse sieben Jahre lang die Zeitschrift des Lesbischen Aktionszentrums Westberlin[JB1]  (LAZ) und wurde das mediale Zentrum der Lesben/Frauenbewegung in Westberlin und der Bundesrepublik (BRD) – je nach dem Verhältnis von Lust und Frust mal mehr, mal weniger regelmäßig in einer Auflage von 1500 Stück und mit einem Umfang zwischen 23 und 50 Seiten.

Als überregional vertriebene Hauszeitschrift des LAZ vertrat sie den radikal-separatistischen Flügel lesbischer Autonomiebestrebungen und trug in dieser Rolle zahlreichen Konflikte aus, die sich um die neu entstehenden Ideen zu Lesbianismus und lesbischer Identität rankten.[3] Wer war nun das neue politische Subjekt der Frauen/Lesbenbewegung? Dass die Zeitung zu einem Zeitpunkt erschien, zu dem sich die lesbischen Frauen gerade aus dem vormaligen Bündnis der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) lösten, ist sicherlich kein Zufall.[4] Neben dem Abnabelungsprozess von der Schwulenbewegung ging es auch darum, sich selbstbewusst und offensiv gegen verfälschende Darstellungen über lesbisches Leben und Lieben in den Mainstream-Medien zur Wehr zu setzen und sich in der Frauenbewegung mit den eigenen Anliegen Gehör zu verschaffen. In der Lesbenpresse sollten Lesben selbst darüber bestimmen, was und wie über sie und ihre Anliegen geschrieben wurde. „Spätestens seitdem“, so hieß es in der ersten Nummer, „den Zeitungen mal wieder grünes Licht für die Jagd auf lesbische Frauen gegeben ist, […] ist es mal wieder an der Zeit, uns über […] unsere Lage ein paar Gedanken zu machen. […] Was wir wissen ist, daß wir weder unnormal, noch krank, noch kriminell sind, wenn wir mit Frauen leben und lieben wollen.“[5]

Subjekt werden

Dieses neue Selbstbewusstsein zeigte sich auch auf dem Titel der neuen Zeitschrift. Dort prangte auf rotem Grund unter dem psychedelisch gestalteten Schriftzug „Lesbenpresse“ als Schattenriss das sogenannte Vulvadreieck: zwei Hände mit aneinandergelegten Daumen und Zeigefingern, hoch über den Kopf gehalten.[6]

Die erste Ausgabe der Lebenspresse 1975; Lesbenpressekollektiv im LAZ – Lesbisches Aktionszentrum Westberlin (Hrsg.)

Das Zeichen war die wütende Antwort französischer Feministinnen auf eine in Frankreich gängige, obszöne Phallus-Geste, mit der Männer Frauen bedrängten und setzte sich vor allem als Zeichen der Lesbenbewegung durch.[7] Die Verwendung auf dem Titel der Lesbenpresse signalisiere, so die Herausgeberinnen, „[D]aß wir Frauen endlich unsere eigene Sexualität selbst bestimmen, daß wir stolz auf sie sind, daß wir nie mehr von Männern empfangen wollen, was uns sowieso gehört.“[8] Außerdem müsse sie neu überdacht werden, da sie „sie etwas eingeengt, etwas fixiert, etwas verbogen und lädiert wiedergefunden, als wir sie von den Männern, die sie uns gestohlen hatten, wieder zurückzuholen [sic!, gemeint ist zurückgeholt haben.]“[9] Das Handzeichen, dass die Titelseite bis zur dritten Nummer im März 1976 zierte, stellte damit symbolisch und konkret zugleich diesen Akt der Wiederaneignung lesbischer Sexualität und Selbstbestimmung dar.

Wie die meisten feministischen Zeitschriften dieses Zeitraums verfolgte das Herausgeberinnenkollektiv das Ziel einer weitreichenden Vernetzung lesbischer, feministischer Frauen sowie die Möglichkeit, gemeinsam zu diskutieren und neue Ideen und Lebensweisen zu entwickeln – den Aufbau einer wirksamen Gegenöffentlichkeit also, die Lesbenpolitik und -befreiung ermöglichen sollte. Den breiteren ideellen Kontext bildeten deshalb Elemente radikaler Befreiungsbewegungen: Dazu zählten neben Ideen des politischen Lesbianismus ein antikapitalistisches sowie antibürgerliches Grundverständnis.

Männergewalt, Zwangsheterosexualität, Kriminalisierung – als Alternativen und Mittel zur Befreiung aus diesen Verhältnissen wurden auf den Seiten der Lesbenpresse neben Selbsterfahrung vor allem Selbstverteidigung und Landaneignung diskutiert.[10] Solche separatistischen Ideen waren vor allem in den USA bereits seit Ende der 1960er Jahre intensiv debattiert und umgesetzt worden.[11] Entsprechend berichtete die Lesbenpresse in Berichten und Terminankündigungen über diese internationalen Entwicklungen und Initiativen. In der BRD fanden sie nicht so viel Anklang, Ideen von Frauenland zogen aber spätestens ab 1974 mit der Etablierung der ‚Frauenferienlager‘ auf der dänischen Insel Femø auch in Europa die Frauenbewegung in ihren Bann. Die Lesbenpresse gehörte zu den radikalsten Vertreterinnen separatistisch-lesbischer Lebensentwürfe in der Bundesrepublik. Diese sich um die Zeitschrift und das Lesbische Aktionszentrum (LAZ) gruppierende Strömung verstand sich als Avantgarde der feministischen Bewegung und focht als solche mit anderen in der Frauenbewegung engagierten Lesben und Heteras zahlreiche Richtungskämpfe aus.

Krisen

Im LAZ engagierten sich hauptsächlich Studentinnen und Akademikerinnen zwischen 25 und 30, was sich auf Arbeitsrhythmus und Themenspektrum auswirkte.[12] Das galt auch für die Redaktionsgruppe.

Das Verständnis als „erweitertes Plenum“[13] und Sprachrohr des LAZ führte zunehmend zu Konflikten, da sich die Redakteurinnen als weitgehend autonomes Zeitungskollektiv verstanden und sich die Entscheidung über den Inhalt der Druckschrift vorbehielten. Das Plenum warf ihnen Einseitigkeit und mangelnden Informationsaustausch vor, vor allem hinsichtlich der in der Szene verstärkt geführten Auseinandersetzungen über lesbische Identität sowie der politischen Impulse, die vom LAZ ausgehend über die Lesbenpresse in die Bewegung hinein vermittelt werden sollten. Schließlich wurde die Redaktionsgruppe mit Plenumsbeschluss aufgelöst und das Zentrum beschloss, die Arbeit zukünftig rotierend zwischen unterschiedlichen Gruppen aus dem LAZ weiterzuführen.[14]

Die Lesbenpresse, 1977-1980; Lesbenpressekollektiv im LAZ – Lesbisches Aktionszentrum Westberlin (Hrsg.)

Dass dieser Trennung bittere Auseinandersetzungen vorausgegangen sein müssen, zeigt auch die weitere Entwicklung: Da die ehemaligen Redakteurinnen auf dem Copyright für ihr Titelblatt bestanden, mussten ab der vierten Nummer, die im November 1976 erschien, Format und Design geändert werden.[15]

Bei Reproduktion und Druck setzte das Plenum stärker auf eigene Strukturen: Die Folien für die Druckerei verantwortete VIVA-Frauendruck mit Unterstützung von Frauen aus dem Redaktionskollektiv.[16] Aber von nun war die Redaktionsgruppe von einer hohen Fluktuation geprägt: Schon die sechste Nummer gestaltete eine völlig neue Gruppe von Frauen.[17]

Ausgabe der Lesbenpresse

Trotzdem fanden die frischgebackenen Macherinnen „es immer noch wichtig, daß die Lesbenpresse existiert. Es ist eine unserer wenigen Möglichkeiten [sic!] uns in größerem Rahmen mitzuteilen, was unter uns läuft und was nicht läuft.“[18] In den folgenden Jahren wurde der Debattenton härter und die Hefte erschienen unregelmäßig ein- bis zweimal im Jahr. Diskutiert wurde solidarisch über Antisemitismus und sehr kritisch über Transsexualität, die Rolle bisexueller Frauen in der Lesbenbewegung und über Männerhass. Dahinter standen die oftmals aufreibenden Auseinandersetzungen um Fragen der persönlichen wie politischen Identität.

Auflösung

Wie viele andere Frauenprojekte scheiterte das LAZ zunehmend an diesen Differenzen, unklaren Strukturen und seinen eigenen Ansprüchen. Hinzu kam der Verdacht, dass das Zentrum von den Behörden observiert wurde.[19] So löste sich das LAZ 1982 auf, nachdem es kaum noch genutzt wurde.[20] Die Lesbenpresse überlebte es lediglich um zwei Ausgaben und wurde dann mit einem Themenheft über die lesbische Ärztin, Sexualwissenschaftlerin und Schriftstellerin Charlotte Wolff eingestellt. In der letzten Nummer wurde noch eine öffentliche Redaktionssitzung angekündigt – ob sie stattgefunden hat, bleibt unklar.[21]  

Autorin:

Berit Schallner, M.A.

ist Historikerin und arbeitet seit 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im FrauenMediaTurm – feministisches Archiv und Bibliothek. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf der Frauen- und Geschlechtergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und feministischer Ideengeschichte.

Veröffentlicht im DDF-Portal am 22.04.2024.


[1] O. A.: Lesbenpresse im LAZ, Brief vom 25.2.1975, in: FMT, PD-LE.11.01, 1975; Bl. 14.

[2] O. A.: LAZ hat’s, in: Frauenzeitung: Frauen gemeinsam sind stark, 1975, H. 7/8, S. 4.

[3] Fieseler, Franka: Vernetzte Netze – vielfältige Foren. Zur Geschichte lesbisch-feministischer Zeitschriften in Deutschland, in: Susemichel, Lea/Rudigier, Saskya /Horak, Gabi (Hg.): Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestream,Königstein/Taunus 2008, S. 134–138.

[4] Kokula, Ilse: Formen lesbischer Subkultur. Vergesellschaftung und soziale Bewegung, Berlin 1983, S. 72–73; Ledwa, Lara: Mit schwulen Lesbengrüßen. Das Lesbische Aktionszentrum Westberlin (LAZ), Gießen 2019, S. 59 – 81.

[5] O. A.: Von der Vereinzelung zur Organisation, in: Lesbenpresse (weiter als LP), 1975, Nr. 2, S. 23.

[6] Mengel, Monika: Von Doppeläxten, Doppeläxten, Frauenzeichen und Vulvasymbolen – Lesbenzeichen in den 1970er Jahren, in: Bischoff, Susanne/Guth, Barbara (Hg.): OutSiders – InSisters – Lesben. Lesbisch-feministisches Begehren um Autonomie, Hamburg 2022, S. 137–144.

[7] O.A.: Über die Bedeutung des Lesbenzeichens auf der Titelseite der Zeitung, in: Lesbenpresse Nr. 1, 1975, S. 2.

[8] Ebenda.

[9] Ebenda.

[10] Kokula: Formen lesbischer Subkultur, S. 74.

[11] Vgl. z.B. die ab 1968 vom radikalfeministischen Kollektiv Cell 16 herausgegebene Zeitschrift No more fun and games, FMT, Z-A007, 1968–1973.

[12] Kokula: Formen lesbischer Subkultur, S. 74.

[13] Fieseler: Vernetzte Netze – vielfältige Foren, S. 136.

[14] O.A. Wir sieben Lesben aus dem LAZ, in: Lesbenpresse Nr. 4, 1976, S. 3 – 4, hier: S.3.

[15] Ebenda.

[16] Ebenda, S.4.

[17] O.A.: Warum es wieder mal so lange gedauert hat, in: LP Nr. 6, Mai 1978, S. 3.

[18] Ebenda.

[19] Kokula: Formen lesbischer Subkultur, S.86.

[20] Ebenda, S. 81 ff.; o. A.: LAZ-Auflösung, in: LP Nr. 10, 1982, S. 30–31.

[21] O. A.: Intro, in: LP Nr. 11, 1982, S. 3.


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