In ihnen publizierten die Pionierinnen der Frauenforschung: 30 Jahre lang begleiteten die beiträge für feministische theorie und praxis den akademischen Feminismus und vermittelten zwischen Wissenschaft und Bewegung.
„Oh Theorie, oh Praxis – Eine Arie“[1] dichtete Claudia Koppert 1997 zum zwanzigjährigen Jubiläum der beiträge und traf damit sowohl Kernanliegen wie auch Kernproblem der 1978 erstmals herausgegebenen Zeitschrift.
Ihre Gründerinnen waren allesamt Pionierinnen der Frauenforschung aus dem Umfeld des Vereins Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V., der auch als Herausgeberinnen-Gremium fungierte, darunter die Ökonomin Carola Möller und die Soziologin Maria Mies. Ihnen schwebte eine wissenschaftliche Reihe vor, in der in unregelmäßigen Abständen Sammelbände zu Themenschwerpunkten herausgegeben werden konnten. Der Schwerpunkt lag dabei auf der theoretischen Arbeit; die Herausgeberinnen sorgten sich dezidiert um das „Theoriedefizit der Frauenbewegung“ und forderten dringend „theoretische Klarheit“.[2] Die sollten die Hefte der Reihe fördern.[3]
Alles neu: feministische Theorie und Praxis
Die Herausgeberinnen bezogen sich dabei in erster Linie auf Ansätze, die marxistisch-dialektische Gesellschaftstheorien mit neuen feministischen Ansätzen verbanden und knüpften damit an Diskussionen aus den ersten Treffen des Vereins Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis e.V. an.[4] Die Herausgeberinnen wollten nicht nur in die Frauenbewegung, sondern auch in die akademische Welt hineinwirken. Sie visierten eine neue Wissenschaft ebenso an wie eine neue Praxis und ein neues Verhältnis zwischen beiden. Neben der Forderung nach Parteilichkeit für die Sache der Frauenbefreiung gehörte für sie auch eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis dazu und ein starker Fokus auf die ökonomischen Aspekte der Frauenfrage.
Auch optisch und formal orientierten sich die beiträge an wissenschaftlichen Publikationen – anders als die meisten feministischen Zeitschriften dieses Zeitraums, die häufig einen eigenen bunten Stil pflegten.[5] Die beiträge erschienen vor allem zu Beginn in sehr schlichter, textlastiger Aufmachung. Formal lehnten sich die meisten Ausgaben an die Publikationsgewohnheiten aus der Wissenschaft an: Ein Hauptteil mit fußnotengesättigten Aufsätzen zu einem Schwerpunktthema, der durch weitere Elemente wie Tagungsdokumentationen, Rezensionen relevanter Fachliteratur oder Arbeitsmaterialien ergänzt wurde. Diese gestalterischen Elemente unterstreichen, an wen sich die beiträge in erster Linie wandten und was sie bezweckten: Es ging ihnen um das Einwirken auf wissenschaftliche Debatten und Anliegen.
Allerdings wurden die ersten sieben Hefte im Rotationsprinzip von unterschiedlichen Gruppen herausgegeben, so dass sie sich in Gestaltung und Form teilweise noch stark unterschieden. Erst ab Heft 8, dass 1983 erstmals im Eigenverlag des Vereins Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V. und unter einer festen Redaktionsgruppe erschien, erhielten die Hefte ihren unverwechselbaren bunten Einband und Schriftzug.
Ihrer Zeit weit voraus: die Themen
Vorerst erschien die Zeitschrift im Verlag Frauenoffensive in München und die Redaktion wechselte nach dem Rotationsprinzip zwischen unterschiedlichen Gruppen, oftmals Veranstalterinnen feministischer Konferenzen und Kongresse. Das zweite Heft zum Beispiel versammelte Beiträge vom Kölner Kongress „Feministische Theorie und Praxis in sozialen und pädagogischen Berufsfeldern“,[6] das fünfte dokumentierte das dritte Historikerinnentreffen, das 1981 die Bielefelder Geschichtswissenschaft aufmischte[7] und Heft sieben versammelte Texte einer Tagung zur weiblichen Biographie-Forschung.[8]
Außerdem übernahmen bestehende Arbeitsgruppen Themenhefte: Die Gruppe Frauen, Steine, Erde, in der Frauen aus Bau- und Planungsberufen um feministische Perspektiven auf Umwelt, Architektur und Stadtplanung rangen, verantwortet das vierte Heft, das dritte wurde von der Arbeitsgruppe Frauen und Dritte Welt gestaltet, die sich 1978 im Verein Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V. gegründet hatte.[9] Die Aufzählung zeigt es schon: Die beiträge deckten von Anfang an ein breites Themenspektrum ab und legten den Schwerpunkt auf die sich rasant entwickelnden Wissenschaftsfelder der feministischen Forschung – von der Frauengeschichtsschreibung über feministische Pädagogik und Ökonomie bis hin zu neuen Ideen in Architektur und Technik. Das änderte sich auch mit der veränderten Arbeitsweise ab 1983 nicht. Zur nunmehr festen Redaktionsgruppe gehörten Ute Annecke, Barbara Böttger[10], Maria Mies[11], Carola Möller[12] und Brunhilde Sauer-Burghard[13], die im letzten Heft 2008 als einzige aus dieser Gruppe übriggeblieben war. Vor allem in den 1990er-Jahren änderte sich die Zusammensetzung der Redaktionsgruppe mehrfach. Dem Konzept eines jeweiligen Themenschwerpunkts blieben die Redakteurinnen bis zum Ende treu, ab 1989 aber stärker ausgerichtet an aktuellen gesellschaftspolitischen Themen. Fest hinzu trat außerdem ein Diskussionsteil sowie vermehrt Übersetzungen aus der internationalen Frauenbewegung.[14]
Die beiträge schufen ein Forum, dass zwischen feministischer Wissenschaft, Frauenbewegung und Öffentlichkeit vermittelte: Sie dienten Frauen in wissenschaftlichen, gewerkschaftlichen und kirchlichen Netzwerken sowie der politischen Bildungsarbeit als Diskussionsgrundlage.[15] Dabei gelangen der Redaktion immer wieder wegweisende Hefte. Feministische Forscherinnen diskutierten zwischen den bunten Buchdeckeln über Hausfrauisierung[16], feministische Philosophie[17], Rassismus und Antisemitismus.[18] Bereits in den frühen 1990er-Jahren untersuchte Monika Gerstendörfer im Themenheft Neue Technologien „Computerpornographie und virtuelle Gewalt“.[19] Im gleichen Heft warfen Diana Hummel und Ute Winkler einen kritischen Blick auf die Reproduktionsmedizin.[20] Für die beiträge schrieben neben den bereits genannten Gründerinnen und Redaktionsmitgliedern Christina Thürmer-Rohr, Regina Becker-Schmidt, Ilse Lenz und Gisela Notz, Barbara Holland-Cunz, Veronika Bennholdt-Thomsen, Marion Kraft, Ika Hügel – kurzum: beinahe jede, die in den sich entwickelnden feministischen Wissenschaften Rang und Namen hatte oder in diese neue Sphäre erst noch aufsteigen sollte.
Eine Vorreiterinnenrolle im Anregenden wie im Problematischen nahmen die beiträge bei der Vermittlung rassismuskritischer und postkolonialer Ideen vor allem aus dem anglophonen Sprachraum ein.[21] Im Jubiläumsheft von 1997 weist Ulrike Hänsch hingegen auf eine Leerstelle hin: Die „vornehme Zurückhaltung“ der beiträge hinsichtlich der größten und im Rückblick zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Auseinandersetzung der 1990er-Jahre: Die Debatte um Dekonstruktion oder Verteidigung der Kategorie ‚Geschlecht‘.[22]
Neben wegweisenden Artikeln feministischen Denkens und Streitens wie den berühmt gewordenen „Postulaten zur Frauenforschung“[23] finden sich aus heutiger Perspektive auch Kuriositäten – so verfasste Claudia Roth gemeinsam mit Maria Mies einen Bericht über eine Konferenz des internationalen feministischen Netzwerks gegen Reproduktionstechniken.[24]
Prekär und arbeitsreich in die Post-Feminismus
1989 zogen die bisherigen Macherinnen eine erste Bilanz: Die Beiträge seien ins Leben gerufen worden, um dem neugegründeten Verein Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V. theoretisches Diskussions- und politisches Öffentlichkeitsforum zu schaffen. Angesichts der patriarchalen Versuche, die Frauenbewegung ungeschehen oder doch zumindest mundtot zu machen, sei es dringend geboten, ihre jüngste Geschichte im Bewusstsein zu halten. Deshalb und als Arbeitsmittel für die feministische Forschung solle eine Bibliographie die bisherige Arbeit dokumentieren.[25] Bald darauf trennten sich die Beiträge vom „Mutterverein“.[26]
Die Autorinnen des Themenheftes Der Kaiserinnen neue Kleider, das ebenfalls 1989 erschien, sprachen da bereits von der Mid-Life-Crisis des Feminismus, konstatierten die Zunahme von Konkurrenz, Arbeitsteilung und Spezialisierung der Szene. Sie fanden, der Trend zur Professionalisierung ginge einher mit neuen Tabus und die fehlenden gemeinsamen Räume würden durch Fachkongresse ersetzt. Auch fehle die Reflexion des eigenen und kollektiven Elends.[27]
Wie in den meisten Projekten und Unternehmungen der Frauenbewegung steckte auch in den beiträgen viel Herzblut, unbezahlte Arbeit und private, finanzielle Unterstützung der Redaktionsmitglieder. „Im Verlauf unserer langjährigen Verlagsarbeit haben wir zudem lernen müssen, daß der Verkaufspreis für Bücher aus einem feministischen politischen! Projekt gemessen an den Erwartungen immer zu hoch liegt,“[28] schrieb die Redaktion im Heft „theoretisch, praktisch, feministisch“ zum 20-jährigen Jubiläum. Zu diesem Zeitpunkt, so ist dem abgedruckten O-Ton einer Mitarbeiterin zu entnehmen, arbeiteten Frauen aus vier Geburtsjahrzehnten unentgeltlich in der Redaktion. Und neben der Begeisterung für die Arbeit wünschten sie sich in erster Linie Entlastung: personell, finanziell, ideell.[29]
Stilles Ende
Dies sollte ein frommer Wunsch bleiben – und führte 30 Jahre nach der Gründung zur Aufgabe des Projektes. Mit der Zersplitterung, Ausdifferenzierung und Professionalisierung der Bewegung kamen den beiträgen nach und nach LeserInnenschaft und Beiträgerinnen abhanden. Aus der Startauflage von 3.000 Heften wurden schließlich 600. Prekäre Arbeitsverhältnisse und mangelndes Interesse an der Mitarbeit taten ein Übriges. Heft 69: Arenen der Weiblichkeit: Frauen, Körper, Sport, wurde das letzte. Es erschien 2008.[30] Kurz darauf – einen Tag vor dem 8. März – erreichte ein Brief die letzten Abonnentinnen und verkündete, dass die Zeitschrift eingestellt würde.[31] Brunhilde Sauer-Burghard sah das Projekt im Nachruf in der taz an sein natürliches Ende gekommen: „Die zweite Frauenbewegung ist vorbei. Die dritte müssen andere machen. Und die werden dafür andere Formen finden.“[32]
Autorin:
Berit Schallner, M.A.
ist Historikerin und arbeitet seit 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im FrauenMediaTurm – feministisches Archiv und Bibliothek. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf der Frauen- und Geschlechtergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und feministischer Ideengeschichte.
Veröffentlicht im DDF-Portal am 23.04.2024.
[1] Koppert, Claudia: Oh Theorie, oh Praxis – Eine Arie, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis (weiter als bzftp), 20. Jg., 1997, H. 46, S. 15–18.
[2] O. A.: Einleitung, in: bzftp, 1. Jg., 1978, H.1, S. 9–15, hier: S. 10.
[3] Ebenda, S. 10 f.
[4] Ebenda, S. 12.
[5] Reichardt, Sven: Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den 1970er und 1980er Jahren, Berlin 2014, S. 228-318.
[6] Bzftp, 1. Jg., 1978, H.2.
[7] Bzftp, 4. Jg., 1981, H. 5.
[8] Bzftp, 4. Jg., 1981, H. 7.
[9] Bzftp, 3. Jg., 1980, H. 4; Bzftp, 3. Jg., 1980, H.3.
[10] Über Böttger: https://frauenstadtplan.koeln/barbara-boettger/, Interview des KFGV, zuletzt aufgerufen am 10.5.2023 unter https://www.youtube.com/watch?v=-JcHz1Y5iQA.
[11] Über Maria Mies, zuletzt aufgerufen am 10.5.2023 unter https://www.frauengeschichtsverein.de/start-und-news/frau-des-monats-2021/februar-2021.
[12] Über Carola Möller, zuletzt aufgerufen am 10.5.2023 unter https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/carola-moeller.
[13] Notz, Gisela: Der“ gefährliche“ Einfluss der Frauenblätter: Feministische Medienkultur in Deutschland, in: Susemichel, Lea/Rudiger, Saskya/Horak, Gabi (Hg.): Feministische Medien. Öffentlichkeit
jenseits des Malestream, Königstein/Taunus 2008, S. 32–42, hier: S. 38.
[14] O. A., Editorial, in: Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V. (Hg.): beiträge zur feministischen theorie und praxis, Bibliographie, Jahrgang 1978–1989, Heft 1 – 25/26, Köln 1989, S. 3–4, hier: S. 4. [1] Notz: Der „gefährliche“ Einfluss der Frauenblätter, S. 38.
[15] Notz: Der „gefährliche“ Einfluss der Frauenblätter, S. 38.
[16] Bzftp, 6.Jg, 1983, H. 9/10.
[17] Bzftp, 12. Jg., 1989, H. 24.
[18] Bzftp, 13. Jg., 1990, H.27.
[19] Gerstendörfer, Monika: Computerpornographie und virtuelle Gewalt: Die digital-symbolische Konstruktion von Weiblichkeit mit Hilfe der Informationstechnologie, bzftp, 17. Jg., 1994, H. 38, S. 11‒22.
[20] Hummel, Diana / Winkler, Ute: Reproduktionsmedizin: Die Technisierung der Mutterschaft, bzftp, 17. Jg., 1994, H. 38, S. 97–104.
[21] Bzftp, 13. Jg., 1990, H. 27: Geteilter Feminismus: Rassismus, Antisemitismus, Fremdenhaß; bzftp, 3. Jg., 1980: Frauen und Dritte Welt.
[22] Hänsch, Ulrike: Das feministische Ich und das bewegte Wir. Zur subjektiven Dimension in der Debatte um die Kategorie Geschlecht, in: bzftp, 20. Jg., 1997, H. 46, S. 79–91.
[23] Mies, Maria: Methodische Postulate zur Frauenforschung – dargestellt am Beispiel der Gewalt gegen Frauen, in: bzftp, 1. Jg., 1978, H.1, S 41–63.
[24] Mies, Maria / Roth, Claudia: Konferenz des internationalen feministischen Netzwerks gegen Reproduktionstechniken (FINNRET), bzftp, 8. Jg., 1985, H 15/16, S. 192–198.
[25] O. A., Editorial, in: Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V. (Hg.): beiträge zur feministischen theorie und praxis, Bibliographie, Jahrgang 1978 – 1989, Köln 1989, H. 25/26, S. 3–4, hier: S. 4.
[26] Redaktion der beiträge, Streiflichter auf die Arbeit der beiträge-Redaktion, bzftp, Jg. 20, 1997, H. 46, S. 5–13, hier: S. 8.
[27] Bzftp, 12. Jg., 1989: Der Kaiserinnen neue Kleider. Feministische Denkbewegungen.
[28] Redaktion der beiträge, Streiflichter auf die Arbeit der beiträge-Redaktion, bzftp, Jg. 20, 1997, H. 46, S. 5–13, hier: S. 8.
[29] Ebenda, S. 13.
[30] Notz, Gisela: Den „Beiträgen“ ist die Bewegung abhanden gekommen, in: Sozialistische Zeitung, Mai 2008, S.21; Oestreich, Heide: Tschüss, Schwester!, in: taz, 21.2.2008, abgerufen am 10. Mai 2023 unter: https://taz.de/Aus-fuer-Feministen-Zeitschrift/!5186278/.
[31] Oestreich, Heide: Tschüss, Schwester!, in: taz, 21.2.2008, abgerufen am 10. Mai 2023 unter: https://taz.de/Aus-fuer-Feministen-Zeitschrift/!5186278/.
[32] Ebenda.