Das Digitale Deutsche Frauenarchiv feierte seinen Online-Gang mit einer Feministischen Sommeruni am 15. September an der Berliner Humboldt-Uni. Rund tausend Besucherinnen kamen zu den über 60 Workshops, Vorträgen und Diskussionen.
Einen Bogen schlagen sowie Unterschiede und Verbindungen aufzeigen – das hatte sich die feministische Sommeruni auf die Fahnen geschrieben. Wahrscheinlich gelang das nirgendwo besser als bei der Runde zu “Feminismus und Sprache”: Der Schlagabtausch zwischen der queerfeministischen Rapperin Sookee (34) und der frauenbewegten Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch (74) war feministischer Generationendialog vom Feinsten. Respekt- und humorvoll wurden die eigenen Argumente präsentiert und verteidigt: Pusch hält das Binnen-I für die beste Variante, weil es Frauen „nicht als Anhängsel behandelt“, Sookee verteidigte das Gender-Sternchen, das für sie “so ein Leuchten” hat, die Versprechung: “Da kommt noch mehr”. Sie sieht es als Erinnerung an ein „Wir sind nicht so geboren, wir sind so gemacht und wir entscheiden selbst.“ Das Sternchen repräsentiere „meine Gelegenheit, mich zu finden, Ich zu sein“. Luise Pusch jedoch findet, es mache Frauen sprachlich zur zweiten Wahl.
Schließlich schlug Luise F. Pusch vor: “Das generische Femininum wäre nach 2000 Jahren Patriarchat kompensatorisch gerecht”. Lacher und tosender Applaus im Saal. Entwaffnend ungeschönt sprach Pusch über ihre Einsamkeit als lesbische Frau in den 1960er Jahren in Deutschland. Die Frauen- und Lesbenbewegung habe ihr buchstäblich das Leben gerettet, so Pusch. 144 Professoren seien an der Uni gewesen, als sie dort anfing – und keine einzige Frau. Und als sie es wagte, eigene Gedanken zu vertreten, wurde ihr vorgeworfen, “sie störe die Harmonie im Fachbereich”. Wenn das mal kein guter Name für ne Punkband wäre, “Harmonie im Fachbereich”, warf Sookee ein und sorgte so für die nächsten Lacher.
Auch über Generationen hinweg wurde deutlich, dass frau mehr teilt als trennt, auch wenn man nicht in allen Punkten einer Meinung war und ist.
Feministische Sommerunis: traditionell radikal
Über 60 Vorträge, Workshops und Diskussionen wurden an der feministischen Sommeruni 2018 angeboten. Es kamen rund tausend BesucherInnen, es wurde debattiert, gelacht, gelernt. Und zur Kaffeepause konnten TeilnehmerInnen auf dem Hegelplatz in einem Liegestuhl die wärmende Septembersonne genießen.
Am 13. September war das Digitale Deutsche Frauenarchiv (www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de) online gegangen. Ein „Meilenstein der Frauenbewegung und ihrer Erinnerungskultur“ sei das Archiv, erklärte DDF-Geschäftsführerin Sabine Balke beim Festakt in der Humboldt-Uni. „Es ist unglaublich, was Sie hier an Schätzen gesammelt haben“, schwärmte auch Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD), die den Festakt eröffnete und deren Haus das DDF mit finanzieller Förderung ermöglicht hat. Trägerin des DDF ist i.d.a., der Dachverband der 41 deutschsprachigen Frauen / Lesbenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen.
Das DDF feierte mit der Sommeruni seinen historischen Onlinegang, aber auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Feminismus in Deutschland. Es ist ein bewusster Anschluss an eine in den 1970er Jahren entstandene Aktionsform: Nach dem Vorbild der amerikanischen Women‘s Studies fanden in den Jahren 1976 bis 1983 auch in West-Berlin Frauen-Sommeruniversitäten statt. Feministische Aktion und Wissensproduktion wurden hier aus der Bewegung heraus gemeinsam und selbstbestimmt gestaltet. 2018 knüpfte das DDF nun an diese frühe Form feministischen Netzwerkens an.
Aus der Geschichte lernen: Die Neue Frauenbewegung
Historisches mit dem Heute verbinden, war ein zentrales Anliegen der Sommeruni. Der FrauenMediaTurm trug in doppelter Weise dazu bei. In einer Installation in der Löwenlounge (frau möchte korrigieren: Löwinnenlounge) wurde ein fast zweistündiger Interviewzusammenschnitt des laufenden HerStory-Projektes des FMT gezeigt: Pionierinnen der Neuen Frauenbewegung, darunter Alice Schwarzer, Sabine Zurmühl, Cristina Perincioli und Ulrike Rosenbach (im Foto unten), sprechen über ihr Leben, den Weg in die Frauenbewegung und ihre wichtigsten Projekte und Erkenntnisse im Prozess. So manche kurze Verschnaufpause wurde hier für die BesucherInnen zu einem intensiven Eintauchen in die frauenbewegten Zeiten der Siebziger Jahre.
Dass der Abtreibungsparagraph – damals Auslöser der Frauenbewegung – noch heute ein ungelöstes Problem darstellt, griff die FMT-Veranstaltung “§218 – der Backlash” auf. In der Diskussionsrunde mit der Berliner Gynäkologin Bettina Gaber und zwei Medizinstudentinnen der Charité wurde klar, wie bedroht das Recht auf Abtreibung heute (noch und wieder) ist. Frauenärztin Gaber wurde, wie Kristina Hänel, von fanatischen „Lebensschützern“ wegen Verstoßes gegen den §219a angezeigt. Und Alicia Baier und Lisa Wernicke kämpfen mit den „Medical Students for Choice“ dafür, dass Abtreibung im Medizinstudium überhaupt gelehrt wird.
Rückbesinnung und Ausblick bot auch die Podiumsdiskussion mit der früheren Bundesfrauenministerin Rita Süssmuth. Sie berichtete vom harten Kampf um den §218 nach der Wiedervereinigung und rief ihr Publikum, darunter viele junge Frauen, angesichts des aktuellen Backlashs nicht nur in Sachen §219a dazu auf, „wieder auf die Straße zu gehen“.
Nicht graue Theorie, sondern Aktion!
Nicht auf der Straße, aber im Netz kämpft Tina Reis mit feministclickback.org mit feministischer Suchmaschinenoptimierung (SEO) gegen die Dominanz von sogenannten „Lebensschützern“ im Netz. So dominiert die „Lebensschützer“-Webseite profemina.org die Google-Suche zum Thema Abtreibung – in harmloser Aufmachung und erweckt so den Anschein neutraler Schwangerschaftskonfliktberatung. Auf der Seite feministclickback.org gibt es Tipps und Kniffs, wie feministische Organisationen per SEO dagegen halten können!
Feministische Vielfalt
Bei der Feministischen Sommeruni ging es auch darum, Wissenslücken zu füllen und neue Perspektiven zu entdecken, etwa die Geschichte der Frauen- und Lesbenbewegung in der DDR oder Jüdinnen in der Frauen-/Lesbenbewegung. In letztere Veranstaltung drängten sich rund 100 Interessierte aus allen Altersgruppen. Lara Dämmig, Jessica Jacoby und Debora Antmann – drei Generationen – sprachen miteinander und stellten fest: Ihnen allen gemein war (und ist) das Gefühl, sich weder in lesbischen noch in jüdischen Gruppen repräsentiert zu sehen. Sie alle gründeten dann, unabhängig voneinander und zu anderen Zeitpunkten, jüdisch-lesbische Netzwerke. Im Plenum kam es nicht nur zu angeregtem Austausch, die TeilnehmerInnen vernetzen sich auch untereinander.
“Beim Schreiben stört der Pimmel”
Ein Höhepunkt der Sommeruni war die Abendveranstaltung von Pro Quote Film: Die Schauspielerinnen Maren Kroymann, Nina Kronjäger und Mateja Meded machten den Aufschlag mit einem kleinen fiktionalen Austausch über Sexismus in Casting-Situationen. “Theater und TV in Deutschland sind ein weißer Heteroschwanz”, so das Fazit von Mateja Meded.
Vielleicht sollte frau besser schreiben statt Schauspielerin sein? “Man sitzt prima auf einer Scheide, beim Schreiben stört der Pimmel”. Es wird satirisch, sarkastisch, tut weh. Und dann werden sie sehr persönlich, die drei Schauspielerinnen, erzählen über ihre eigenen Erfahrungen, der Sexismus im Filmgeschäft sei allgegenwärtig. Und das sei ja nicht das einzige, schon die Rollen seien sehr häufig sexistisch angelegt. Es wird überdeutlich: Da ist noch viel zu tun.
Feministisch und antirassistisch
Der Tenor des Tages war insgesamt sehr politisch und auch bestimmt von den Eindrücken der rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz. Die Frage, wie sich feministische und antirassistische Bewegung zueinander verhalten soll, wurde in mehreren Veranstaltungen kontrovers und kritisch diskutiert.
Der Wunsch aus der Abendveranstaltung “Rassismuskritischer Feminismus” war vor allem, dass der Feminismus sich gegen Rechts solidarisch erklären solle: „Sich für sehr klare Ziele zusammenschließen“ ist möglich, findet Menschenrechtsaktivistin Tülin Duman, die sich in diversen Projekten gegen Sexismus, Homo- und Transphobie sowie gegen Rassismus engagiert. Gerade in Zeiten, in den der rechte Diskurs herrscht, müssen Feministinnen sich gemeinsam der männlichen Dominanzkultur mit klaren Bekenntnissen entgegen stellen.
Zukunftsgerichtet
Auch Pläne für die Zukunft wurden geschmiedet: So ist für den 8. März 2019 ein deutscher Frauenstreiktag geplant, wie Theresa Hartmann vom „Frauen*streik Bündnis“ auf der Sommeruni präsentierte: In Anlehnung an Streiks in Spanien (2018: 5 Millionen Frauen beteiligt), Argentinien oder Polen wollen sie 2019 beginnen, den Frauenstreiktag auch in Deutschland zu etablieren. 2020 soll er dann noch größer werden.
An der feministischen Sommeruni wurde deutlich: Viele Probleme der Feministinnen von heute waren auch die der Feministinnen von früher. Mit dem Digitalen Deutschen Frauenarchiv gibt es nun die Adresse im Netz, um aus ihrer Geschichte zu lernen.