Freiräume schaffen

Sticker Come Out Lesbenverlag, FMT, VAR.01.115

„Wir Lesben brauchen mehr als eine Subkultur und mehr als eine (politische) Bewegung […]“[1] fordert eine Heidelberger Lesbengruppe bereits 1975. Die Heidelbergerinnen wünschen sich „[…] eigene Bücher, Filme, Musik ( – eine Kunst, die nicht elitär nur in höheren Sphären schwebt, sondern die uns und unser Leben, unsere Liebe berührt, Frauen berührt – ), wir brauchen Werkstätten, Druckereien, Häuser, Inseln.”[2] Auch die Münchener Lesbengruppe betont das Bedürfnis nach einer eigenen Kultur: „Für die lesbische Frau war und ist es eine existentielle Notwendigkeit, sich einen Freiraum nur mit Frauen zu schaffen.“[3] Der Traum: ein exklusiven Raum für Frauen, ein Ausstieg aus patriarchalen Strukturen.

Mit dieser Utopie entstehen Mitte der 1970er Jahre die ersten kulturellen Projekte innerhalb der Lesbenbewegung. In Frauen- und Lesbenzentren schaffen Lesben Räume, in denen Frauen experimentieren und kreieren können. Künstlerinnen, Autorinnen, Filmemacherinnen, Journalistinnen suchen und finden neue Wege, lesbische Kultur zu gestalten. 1975 erscheinen zwei Lesbenzeitschriften, die neben Artikeln und Büchern maßgeblich zu Identitätsbildung und Kommunikation der Bewegung beitragen.[4] Bereits ein Jahr später gründen Frauen aus dem LAZ den Amazonenfrauenverlag, der lesbische Anliegen „selbstbewusst und offensiv in der heterosexuellen Umwelt“ vertritt.[5] Weitere Verlagsgründungen folgen. Neben Verlagen machen immer häufiger Literaturveröffentlichungen von sich reden, wie zum Beispiel die deutsche Übersetzung von Jill Johnstons „Nationalität lesbisch. Die feministische Lösung“ oder „Weibliche Homosexualität. Zwischen Anpassung und Emanzipation“ von Ursula Linnhoff. Frauenbuchläden, die seit Mitte der 1970er Jahre gegründet werden, bieten unter anderem diese lesbische Literatur an.[6]

FMT, FB.07.190a

Ein zentrales Thema ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Dazu zählt auch die Archivierung der Bewegung. Bereits 1973 gründen die HAW-Frauen ein Archiv, um ihre eigene Geschichte zu bewahren. 1982 entsteht aus dem Gruppenarchiv der Spinnboden, eine Bibliothek und ein Archiv für lesbische Geschichte, dass in Berlin bis heute existiert und neben dem Archiv „Lesbian Herstory Archives“ in New York das größte Lesbenarchiv der Welt ist.

Die Autorin Ilse Kokula gehört zu den Frauen, die zielstrebig die Erforschung der Lesbengeschichte vorantreibt. In zahlreichen Veröffentlichungen spürt sie vergangenes Leben von lesbischen Frauen auf und berichtet innerhalb der Bewegung durch Vorträge und Artikel darüber. Weitere Protagonistinnen waren Kitty Kuse, die Herausgeberin der Unsere kleine Zeitung und Hilde Radusch, Mitbegründerin des FFBIZ. Beide haben die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus erlebt und überlebt und finden in der Lesben- und Frauenbewegung einen Ort, in dem sie aktiv werden und ihre Lebensgeschichten erzählen können.[7]

Eine zentrale Aufgabe ist die Bewältigung und die Verarbeitung der NS-Vergangenheit. Ab den 1980er Jahren rückt das Thema in den Fokus der Bewegung. Zusammen mit der Schwulenbewegung erinnern Lesben an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus und kämpfen für eine Entschädigung der Überlebenden. Zusammen mit der Schwulenbewegung organisieren sie Gedenkveranstaltungen, wie z.B. am 24. Oktober 1987 in Bremen.

Quelle: Plattencover Flying Lesbians, Externer Link: Flying Lesbians Website
Plattencover Flying Lesbians

Neben der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit sind die 1980er Jahre von der Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus, Klassismus und Behindertenfeindlichkeit geprägt. Auf der Berliner Lesbenwoche und dem Lesbenpfingsttreffen kommt es wiederholt zu hart geführten Diskussionen .

Neben Zeitschriften und Büchern ist Musik ebenfalls ein wichtiges Medium der Szene. Die Band Flying Lesbians, die sich 1974 spontan auf der Rockfete im Rock gründen und zwei Jahre später ihre erste und einzige Platte herausbringen, avancieren zur bekanntesten Rockband der Bewegung. Die Band wird zur Stimme der Frauenbewegung und trägt das Lesbisch-sein offensiv nach außen. Die Mitglieder der Flying Lesbians sind alle in der Lesben- und Frauenbewegung aktiv. Die Sängerin Monika Jaeckel hebt das gewisse Etwas der Flying Lesbians hervor:

„Jede Bewegung braucht ihre Lieder, ihre Rituale, ihren Kult. Das schafft Identifikation und stellt Gemeinsamkeit her. Die Flying Lesbians gaben der Frauen- und Lesbenbewegung Klang und Stimme und transportierten die Aufbruchstimmung der frühen Jahre – aufmüpfig, grenzüberschreitend, parteiisch, größenwahnsinnig. Wir boten Frauen und der Frauenbewegung eine Identifikationsfläche, sich selbst zu feiern.“[8]

3. Lesbenrallye, FMT, FB.04.145

Mit ihrer Musik inspirieren die Flying Lesbians weitere Frauenbands. Carolina Brauckmann bringt ab den 1980er Jahren mit ihren „Satirischen Lesbengesängen“ neue Töne in die Bewegung.

Neben den großen Festen der Frauenbewegung, wie der Rockfete im Rock, feiern die lesbischen Frauen meist im subkulturellen Kontext. In vielen Städten gibt es bereits vor Entstehung der Frauenbewegung Lokale und Bars, in denen hauptsächlich (lesbische) Frauen zu Gast sind, die aber als angestaubt und spießig gelten. Im September 1975 wird das Blocksberg in Berlin feierlich eröffnet, als erste Bar der Lesben- und Frauenbewegung.

Kulturelle lesbische Vielfalt prägt die 1980er Jahre. So wird zum Beispiel in Hamburg 1987 der erste lesbische Literaturpreis verliehen und in Frankfurt findet seit Mitte der 1980er Jahre die Lesbenrallye statt, auf der lesbische Fans des Motorsports zusammenkommen. Frauen- und Lesbenzentren sowie Lesbengruppen etablieren sich und organisieren neben ihrer politischen Arbeit Kultur und Freizeit für lesbische Frauen.

Chronik der Lesbenbwegung

[1]  Lesbengruppe Heidelberg: Liebeserklärung an alle Lesben! in: Lesbenpresse 1975, 2, S.8, aus: [1] Lenz,Ilse (Hrsg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden 2008, S.244-245, hier S.245.

[2]  Lesbengruppe Heidelberg: Liebeserklärung an alle Lesben! in: Lesbenpresse 1975, 2, S.8, aus: [2] Lenz,Ilse (Hrsg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden 2008, S.244-245, hier S.245.

[3] Frauenbeziehung. Frauenliebe. Eine Informationsveranstaltung des Frauenzentrums München 15.4.1978, München 1978, S.9.

[4] Vgl. Ilse Kokula: Zur Strategie der ‘Lesbenbewegung’ – Eine Bestandsaufnahme des bisher erreichten, in:  “Mit allen Sinnen leben” Dokumentation der 1. Berliner Lesbenwoche 26.10-2.11.1985, (Hrsg.) Vorbereitungsgruppe Lesbenwoche, Berlin 1986, S.146-155, hier S.151.

[5] Lesbischer Verlag gegründet! (1976). – In: Unsere kleine Zeitung von und für Lesben, Nr. 6, S. 25.

[6] Quelle PT.1976-01

[7] https://mh-stiftung.de/biografien/hilde-radusch/

[8] https://flying-lesbians.de/category/die-musikerinnen/monika-jaeckel/

Diese Webseite verwendet Cookies.

Weitersurfen bedeutet: Zustimmung zur Cookie-Nutzung.

Mehr Informationen

OK