Krawall und Remmidemmi

Im Juni 1974 sollte sie endlich kommen: Die Reform des § 218, gegen den seit seiner Aufnahme ins Strafgesetzbuch 1871 bereits mehrere Wellen Frauenrechtlerinnen erbittert gekämpft hatten. 1971 setzte die Selbstbezichtigungskampagne „Wir haben abgetrieben“ im Stern das Thema wieder auf die Agenda. Sie löste die Neue Frauenbewegung aus und ein verstärktes Bewusstsein für die Rechtlosigkeit der Frauen. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, um die 80%, plädierte nun für eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung.

In der DDR gab es die Fristenlösung bereits – in Reaktion auf den Kampf um das Recht auf Abtreibung im Westen. In der BRD aber hatten die Befürworter des Abtreibungsverbots den Kampf aufgenommen – allen voran die katholische Kirche, die starken Druck auf die Parteien ausübten. Und so nahm die autonome Frauenbewegung Anfang 1974 mit der „Aktion Letzter Versuch“ noch einmal alle Kräfte zusammen. Ziel war es, die zögernde SPD bei den bevorstehenden Wahlen dazu zu bewegen, für die Fristenlösung zu stimmen. In vielen deutschen Städten machten Frauengruppen am 16. März 1974 mit Demonstrationen, Straßentheater und Kirchenaustritten mobil.

Die Frauenbefreiungsaktion (FBA) Köln machte „Remmidemmi mit Megaphonen“ und Ärztekampagnen, um auf die Gefahren des Abtreibungsverbotes für Frauen hinzuweisen. Sie bot u.a. Buttons zum Verkauf an, um die Kampagne unter dem Motto „Treibt § 218 ab“ überall bekannt zu machen (PO3-Schwar-A-02.01).

In Berlin führten 14 Ärzte am 9. März öffentlichkeitswirksam Abtreibungen mit der schonenden, in der BRD bis dahin nicht angewendeten Karman-Methode durch. Zwei Tage später folgte eine Selbstbezichtigungskampagne von 329 Ärztinnen und Ärzten im Spiegel. Am Abend kam es schließlich zum Eklat: Ein von Alice Schwarzer für das TV-Magazin Panorama produzierter Beitrag über diese Aktion wurde von den ARD-Intendanten wenige Stunden vor Sendetermin abgesetzt. Es handelte sich um den spektakulärsten Fall von Zensur im deutschen Fernsehen. Eine Woche später wurde der Beitrag auf NDR3 dennoch gezeigt; gekoppelt mit einer kontroversen Diskussionsrunde zum Thema (FMT, FI.01.10).

Der Skandal sorgte für eine bundesweite Debatte. Am 5. Juni 1974 verabschiedete der Bundestag mit knapper Mehrheit die Fristenlösung. Die FDP und die SPD stimmten für die Reform – doch Bundeskanzler Willy Brandt verließ vor der Abstimmung den Saal (sein späteres Argument: Er sei selber unehelich, und ohne Abtreibungsverbot gäbe es ihn nicht). Doch dann legte die CDU/CSU Verfassungsbeschwerde ein und das Bundesverfassungsgericht kassierte die Fristenlösung noch vor Inkrafttreten. Zwei der RichterInnen widersprachen allerdings dem Mehrheitsvotum und erklärten die Fristenlösung für verfassungskonform. Es blieb vorerst bei einem modifizierten Indikationsmodell. Wie die Kämpfe um den Abtreibungsparagrafen weitergingen und was heute noch zu tun ist, ist auf unserer Themenseite zu erfahren und in unseren Sammlungen sowie unserer umfangreichen Pressedokumentation zum §218 vor Ort.

Pressesammlung zum Aktionsjahr 1974

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