Barbara Obermüller, 1999
Kein Bild ist vor ihr erhalten, ein großer Teil ihrer Manuskripte und Briefe ist im zweiten Weltkrieg verbrannt, ihr Grab auf dem alten Friedhof existiert nicht mehr. Niemand dachte mehr an sie. Fiel sie so unerbittlich dem Vergessen anheim, weil ihr Blick so scharf, ihr Denken so visionär, ihre Forderungen so grundlegend und darum so bedrohlich für das Patriarchat waren?
Louise Dittmar ist seit einigen Jahren wieder präsent. Gabriele Käfer-Dittmar hat ihre Ahnin aus dem Vergessen geholt und uns anhand ihrer Schriften vor Augen geführt, wie klar ihre Urtante die Menschen ihrer Zeit und ihre Lebensumstände erkannt und wie ungeniert sie Mißstände kritisiert hat. Louise Dittmar hat kein Blatt vor den Mund genommen, als sie Mitte des neunzehnten Jahrhunderts im deutschen Vormärz in brillanten politischen Versen Standesprivilegien und Machtmißbrauch anprangerte. „Meine Natur besteht im Widerstand gegen das Unrecht, nicht in der frommen Duldung des scheinbar Unvermeidlichen“, war ihre Maxime. Ihre Bildung und ihr Wissen hat sie sich durch Lesen selbst angeeignet, denn natürlich war für eine Beamtentochter der damaligen Zeit eine Ausbildung kein Thema. Studieren sollten die Brüder – sie hatte acht davon – und eine Heirat mit teurer Mitgift konnte sich die Familie nur bei einer Tochter – ihrer älteren Schwester – leisten.
Louise Dittmar setzte sich mit politischen, philosophischen und religiösen Fragen auseinander. In ihren frauenpolitischen Forderungen war sie ihrer Zeit weit voraus. Sie betrachtete die Benachteiligung von Frauen als Politikum, das nicht mit einzelnen Maßnahmen, sondern nur durch einen grundsätzlichen Wandel in den gesellschaftlichen Strukturen verändert werden kann.
Über das „Wesen der Ehe“ hat die in einer gleichnamigen Schrift erstaunlich moderne Theorien entwickelt. Sie sprach von dem „verkochten, verwaschenen und verbügelten“ Leben der Frauen. 1848 gründete sie eine Zeitung „Die sociale Reform“, in der sie ganz selbstverständlich davon ausging, dass eine neue Gesellschaft nur dann entstehen könne, wenn beide Geschlechter gleichberechtigt an ihrer Erneuerung mitwirkten. Und das vor 150 Jahren! Ihre Zeitgenossinnen dankten es ihr nicht, sie fanden die Rollenzuschreibung von Louise Dittmar „unweiblich“. Die Zeitung mußte eingestellt werden. Louise Dittmar ist ihrer politischen Überzeugung treu geblieben, bis die Restauration sie zum Schweigen zwang, widerrufen hat sie nie. 1884 starb sie in ärmlichen Verhältnissen.
Literatur: Louise Dittmar (1807-1884), Un-erhörte Zeitzeugnisse, ausgewählt und vorgestellt von Gabriele Käfer-Dittmar, Darmstadt 1992
(Quelle: Obermüller, Barbara (1999): Un-erhörte Zeitzeugin… Louise Dittmar (1807-1884). – In: MATHILDE, Nr. 41, S. 28)