Louise Otto, 1849
Soziale Reform. Eine Zeitschrift für Frauen und Männer. Herausgegeben und redigiert von Louise Dittmar. Leipzig. Druck und Verlag von Otto Wigand. 1849. Diese Zeitschrift erscheint in monatlichen Heften. Bis jetzt liegt uns erst ein Heft (Januar) vor.
Das ziemlich gleichzeitige Erscheinen dieser Monatsschrift mit unsrer wöchentlichen Zeitung zeigt uns besser als alles, wie überall in der Frauen-Welt ein Drang sich kund gibt, an der allgemeinen Bewegung sich zu beteiligen und aus dem bisherigen passiven Verhalten, dem Stillstand, zu einer aktiven Stellung vorzudringen. Es zeigt uns, wie mehr als eine Schriftstellerin die bisherige Vereinzelung schmerzlich empfindet und derselben entgegenzuarbeiten strebt durch Gründung eines Organs, das vorzugsweise den weiblichen Interessen gewidmet sein soll. So sagt L. Dittmar in ihrer Einleitung: „Soll die Umgestaltung des Lebens eine auch dem weiblichen Geschlecht entsprechende Form annehmen, dann müssen Vereinigungspunkte erstehen, von wo aus mittelbar und unmittelbar sich dieser Einfluß geltend machen kann. Zu einer solchen, zum Anfang eines Anfangs bieten wir die Hand und fordern gleichgesinnte Frauen wie Männer auf, uns in unsern Bestrebungen zu unterstützen.“
Mit Freuden begrüße ich diese Monatsschrift, da ich dadurch das Werk, welches ich mit dieser Zeitung begann, zugleich von einer ändern Seite in Angriff genommen sehe, und zwar auf eine solche Weise, daß beide Zeitschriften, statt miteinander in Konkurrenz oder gar sich feindlich gegenüberzutreten, vielmehr einander ergänzen werden im Anstreben eines gemeinschaftlichen Zieles.
Während es zunächst die Aufgabe dieser Zeitung ist, auf dieses Ziel in populärster Weise, mit Berücksichtigung aller gegebenen Verhältnisse hinzuarbeiten, geschieht dies in der „sozialen Reform“ auf mehr philosophischem Gebiet. Mögen hier einige Stellen aus dem Programm folgen:
„Bei der allgemeinen Schild-Erhebung persönlicher Forderungen ist endlich der Augenblick erschienen, in welchem auch die Ansprüche des weiblichen Geschlechts, wie dessen notwendige Beteiligung an der Entwickelung unsrer Zeit-Aufgaben zur Anerkennung und Wirksamkeit gelangen müssen. Nicht nur den Frauen, auch den Männern muß die Überzeugung werden, daß nur durch diese letzte und schwierigste Entfesselung der Menschheit das Ziel erreicht wird, daß nur durch Anerkennung und Würdigung, durch ungehemmte Entwickelung jeglicher Eigentümlichkeit der innerste Gedanke der Freiheit erfaßt und verwirklicht werden kann. Möchten die Männer nicht zu selbstvertrauend sich allein auf eigne Kräfte stützen wollen. Die Verknüpfung aller Verhältnisse ist so ineinandergreifend, daß die leiseste Nichtachtung gegen einen Teil der Menschheit sich rückwirkend an allen Teilen rächt. Möchten daher die Männer, statt wie bisher durch böswillige Auffassung jeder weiblichen Erhebung, in welchen man so selten ein höheres Streben sehen will, sich nunmehr diesen Bestrebungen anschließen, sie unterstützen und so gemeinschaftlich dem Ziel entgegengehen. Allein nach der Ansicht der Unterzeichneten muß der Impuls hierzu von Frauen selbst ausgehen; nur diese vermögen als Beteiligte die Widersprüche zwischen ihrem Wollen und Können, zwischen ihrer aufgedrungenen Stellung und ihrer selbstgewählten Bestimmung gehörig zu würdigen; nur sie vermögen durch die emporstrebendsten Antriebe wie durch die schmerzlichsten Lebenserfahrungen belehrt, die ungeheure, das ganze Leben durchziehende Kluft in ihrem Dasein zur Anschauung zu bringen. – Die große allumfassende Welt-Bewegung hat plötzlich die künstlich erhaltene Ruine der auf Privilegien gestützten Vorurteile in ihren Grundfesten erschüttert. Nur die am tiefsten und verderblichsten ins Leben eingreifenden, die geistigen und materiellen Fesseln des ganzen weiblichen Geschlechts sind bis jetzt kaum angetastet. Und doch ist keinem Verhältnis der wankende Boden so unter den Füßen entschwunden wie diesem. Hilf dir selbst, so wird Gott dir helfen, heißt es hier wie überall. Dem Blindesten muß endlich die Notwendigkeit einleuchten, selbst Hand anzulegen an die Errichtung einer eignen unabhängigen Lebensstellung, die auch der ändern Hälfte der Menschheit, der der gegenseitigen Unterstützung am Bedürftigsten, eine freie Verfügung über das eigne Selbst, eine selbstgewählte Beteiligung im Leben möglich macht.“ –
Folge hier noch eine Inhaltsangabe des ersten Heftes. – ,,Plan der Zeitschrift. – Die monarchische Welt-Anschauung. – Die Girondisten. – Der Selbstzweck der Menschheit. – Die Kunst in der Kirche. – Der Graf und der Bettler. – Die männliche Bevormundung. – Die Konsequenzen für die Freiheit des Geschlechtsverhältnisses. – * Mein Programm als Mitarbeiterin einer Frauen-Zeitung. – Das Ideal und die Wirklichkeit. – Charlotte Corday.“ – Der mit * bezeichnete Artikel ist von mir. – Diese Mitarbeit an einer Schrift, die ich hier als eine fremde bespreche, kann auch befremdend erscheinen. Ich muß deshalb noch einige erklärende Worte hinzufügen. Die Herausgeberin lud mich schon vor längerer Zeit zur Mitarbeit an einer Frauen-Zeitung ein, über deren nähern Plan ich jedoch nicht unterrichtet war. Ich genügte der Aufforderung und gab aus eben diesem Grunde der Unbekanntschaft „Mein Programm“, weil ich nicht wissen konnte, ob ich das der Herausgeberin würde unterschreiben können. Ein längeres Schriftstellertum macht uns in manchen Dingen so vorsichtig und mißtrauisch. – Später hörte ich nichts wieder von dem Unternehmen, bis dies Heft erschien, und noch, ehe ich es gesehen, diese Frauen-Zeitung. –
Ich empfehle die soziale Reform allen denjenigen, die philosophische Schriften zu lesen pflegen. Sie andern zu empfehlen würde mir nichts nützen – denn sie würden sie doch nicht lesen – ich kenne das! – L. O. (Quelle: Otto, Louise (1849): Bücherschau : Soziale Reform ; eine Zeitschrift für Frauen und Männer. – In: Frauen-Zeitung : ein Organ für die höheren weiblichen Interessen, Nr. 5, S. 7 – 8)