Pionierinnen der Neuen Frauenbewegung

Sabine Zurmühl

Pionierinnen der Neuen Frauenbewegung

Sabine Zurmühl ist Journalistin und Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift Courage, die von 1976 bis 1984 erschien. Die Idee entstand im Berliner Frauenzentrum in der Hornstraße und war eine der wichtigsten feministischen Zeitschriften, die aus der Frauenbewegung hervorgingen.

„Meine Mutter hat das Geld verdient“

Sabine Zurmühl wurde 1947 in Berlin geboren. Der Vater war Schauspieler und arbeitete vor dem Krieg als Sprecher und Hörspielregisseur. Aufgrund einer Kriegsverletzung war er nach dem Krieg arbeitsunfähig und betreute zu Hause Sabine und deren Schwester. „Mein Vater kam mit einer schweren Verwundung aus dem Krieg zurück, war zu Hause und hat mich sozusagen erzogen, mit mir gesprochen, gespielt und so weiter, mich zum Kindergarten gebracht und mir die Welt erklärt – was sehr schön war – und meine Mutter hat das Geld verdient.“[1] Die Mutter, die vor dem Krieg beim Funk als Aufnahmeleiterin und Disponentin gearbeitet hatte, verdiente nach Kriegsende als Protokollantin bei Gericht den Unterhalt für die Familie. Die Botschaft der Mutter an das Mädchen lautete: „Es gibt keinen, der für dich sorgt, das musst du schon selber tun.“[2] Dass „bei uns zu Hause sozusagen ein anderes Rollenbild herrschte“[3], trug dazu bei, dass das Mädchen „sehr sensibel“[4] auf Ungleichbehandlung aufgrund ihres Geschlechts reagierte.

Vom Tomatenwurf nichts mitbekommen

Es war selbstverständlich, dass Sabine Abitur machen durfte. Danach absolvierte sie zwei Volontariate beim RIAS Berlin und beim Westdeutschen Rundfunk und begann 1966 ein Studium der Germanistik, Romanistik und Pädagogik an der Freien Universität Berlin. Dort engagierte sie sich, erschüttert durch den Tod von Benno Ohnesorg, in der Studentenbewegung. Vom gleichzeitigen Aufbruch der Frauen im Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), die 1968 in West-Berlin den Aktionsrat zur Befreiung der Frau gründeten, und Sigrid Rügers berühmtem Tomatenwurf auf die SDS-Genossen blieb Sabine Zurmühl weitgehend unberührt: „Ich glaube, dass den nur diejenigen mitbekommen haben, die mit dem SDS was zu tun hatten.“[5] Zurmühl konnte mit der Rigidität und dem elitären Gebaren der SDS-Wortführer nichts anfangen und blieb auf Abstand.

Sabine Zurmühls feministisches Engagement begann im Berliner Frauenzentrum in der Hornstraße, das im Januar 1973 eröffnet wurde. Im selben Jahr heiratete Zurmühl, hatte aber schon bald danach ihre erste Frauenbeziehung. „Also ich hab einfach immer ganz viel Freundinnen gehabt, die in Männerbeziehungen lebten. Aber in diesem Jahr entstand, ich würde mal sagen, so ein erotischer Blick der Frauen aufeinander. Die mussten deshalb kein Verhältnis miteinander beginnen, aber es war ein liebevoller Blick, oder es war ein Blick, der gesagt hat: Du bist schön. Ja, wer hat denn das vorher gesagt? Und das war eben… Das schwamm auch mit, wenn man diese Räume betrat.“[6]

Aus der Zeitungsgruppe entsteht Courage

Im Frauenzentrum engagierte sich Zurmühl im Kampf gegen den § 218, organisierte Demonstrationen und andere Aktionen gegen das Abtreibungsverbot. Außerdem war sie als Journalistin in der Zeitungsgruppe, einer der Arbeitsgruppen, die sich im Frauenzentrum zu verschiedenen Themen gegründet hatten: Sexualität, Psychologie und Psychiatrie, Gewalt gegen Frauen – und eben auch ‚Zeitung‘.

Aus dieser Zeitungsgruppe ging schließlich die Courage hervor. Am 17. Juni 1976 erschien die Nullnummer der Zeitschrift, zu deren Gründerinnen auch Barbara Duden sowie Sabine Zurmühls damalige Lebensgefährtin Sybille Plogstedt gehörten, mit einer Auflage von 5.000 Exemplaren. Courage, benannt nach Brechts Mutter Courage, erschien zunächst als Berliner Frauenzeitung – so der Untertitel an Berliner Kiosken und im Bahnhofsbuchhandel.

Das Konzept der Redaktion war, möglichst viele gesellschaftliche Themen unter dem Geschlechteraspekt abzubilden. „Es gab nichts, was wir nicht interessant fanden. (…) Wir wollten gerne die Arbeitswelt drin haben. Frauen kriegen zu wenig Geld, Frauen kriegen blöde Berufe (…). Wir hatten zwei, nachher drei wunderbare Historikerinnen: Barbara Duden, Irene Stoehr und Eva Epplen, die alles durchforschten, was sich irgendwie mit Frauenbewegung oder überhaupt mit dem Vorhandensein von Frauen in der Geschichte beschäftigte. Dann Kultur natürlich, ich war ja auch eine Kulturtante. Und dann der ganze Bereich Gewalt gegen Frauen, Selbstverteidigung. (…) Und die ganze Frauenliteratur explodierte ja (…). Und eben Themen, die die Frauenbewegung selber betrafen. Und das haben wir dann eigentlich sehr sorgfältig alles beobachtet und versucht, gut reinzubringen.“[7]

Courage sollte ohne Hierarchien funktionieren

Sabine Zurmühl wurde geschäftsführende Redakteurin. Die Courage-Macherinnen arbeiteten zunächst ehrenamtlich. Als der Verkauf des Heftes genügend Geld abwarf – die Auflage der Nr. 3 lag bei 20.000 – zahlten sich die Redakteurinnen ein flexibles Gehalt: „Wir haben gesagt: Jede Frau soll sagen, wieviel Grundausgaben sie hat im Monat. Die waren sehr verschieden, ob du in einer WG wohntest, ob du Kinder hattest. Und da drauf wurden tausend Mark gepackt.“[8]   

Das Konzept der Courage war es, dass die Redaktion, die nur zu einem kleinen Teil aus professionellen Journalistinnen wie Sabine Zurmühl bestand, ohne Hierarchien funktionierte und alle eingehenden Artikel vom Kollektiv diskutiert wurden. Informelle Hierarchien existierten, so Zurmühl, allerdings trotzdem. „Sybille (Plogstedt, Anm.d.Autorin) und mir kam in gewisser Weise eine Sonderstellung zu. Wir waren – nicht durchgängig, aber dennoch – das ‚Mütterpaar‘ der Zeitung. Wir haben das lange abgestritten und wollten es zeitweise auch nicht wahrhaben. Aber wenn wir beide fanden, dass etwas nicht stattfinden sollte, dann kam man kaum an uns vorbei.“[9] In der Courage sollten sich Gruppen und Standpunkte wiederfinden, die aus der Frauenbewegung an die Redaktion herangetragen wurden.

Aufruf zum EMMA-Boykott

Im Sommer 1976 hatte Alice Schwarzer angekündigt, eine Zeitschrift gründen zu wollen: eine feministische Publikumszeitschrift, die von Journalistinnen gemacht wurde und klar eine universalistische, anti-biologistische Haltung beziehen wollte. Drei Monate vor Erscheinen der ersten Ausgabe erschien in der Schwarzen Botin ein Aufruf zum Informationsboykott gegen EMMA, dem sich die Courage anschloss. Darin hieß es unter anderem: „Wir Unterzeichnerinnen rufen alle Frauengruppen, Zentren und einzelne Frauen dazu auf, keinerlei Materialien Adressen, Aktivitäten und Gelder für EMMA sprich Alice Schwarzer zur Verfügung zu stellen.“[10] Die Unterzeichnerinnen befürchteten „(…) die drohende Vermarktung der Frauenbewegung durch ‚Emma‘ als kommerziellem Unternehmen.“[11] Und weiter: „Solidarität der Frauenbewegung kann es nur geben, wenn die Frauen auch bereit sind, sich solidarisch gegen Frauenprojekte zu stellen, die der Frauenbewegung durch ihr männlich-kapitalistisches Marketing schädlich sind.“[12]

Rückblickend sagte Zurmühl: „Das war einfach (…) Kränkung, dass es da noch eine Zeitung geben sollte, die ja anders losging oder die da einen anderen Ansatz hatte.“ Und weiter: „Also (…), man hätte es finde ich nebeneinander gut belassen können. Aber ich glaube, diese Größe hatten wir nicht, so sehe ich das heute.“[13]

Die Courage am Scheideweg

Die erste Ausgabe der EMMA erschien am 26. Januar 1977, kurz zuvor hatte die Berliner Courage auf bundesweiten Vertrieb umgestellt. In der Folge bearbeiteten Courage und EMMA häufig ähnliche Themen, bei einigen zentralen feministischen Fragen wie Lohn für Hausarbeit, Prostitution oder dem Militärdienst für Frauen vertraten sie jedoch konträre Positionen, die sie teilweise auch in Pro & Contra austrugen.[14] 

Die Auflage der Courage stieg Ende der 1970er Jahre auf rund 70.000.[15] Dann begann sie kontinuierlich zu sinken. „Der Zusammenbruch der Zeitung war furchtbar, aber auch abzusehen“[16], erklärte Sabine Zurmühl. „Dass sich bestimmte Themen gesellschaftlich etablieren, ist ein Ergebnis der Frauenbewegung und war auch unser politisches Ziel. Doch in dem Ausmaß, in dem die Themen auch anderswo etabliert wurden, kamen wir ins Hintertreffen. Die Courage war an einem Scheideweg angelangt, an dem man sie hätte professionalisieren müssen. Die Zeiten einer blühenden Alternativkultur, in denen du mit einer Farbe auf bescheidenem Papier eine Zeitung machen und deine Überschriften per Hand hineinschreiben konntest, waren vorbei. (…) Auch die Aufbauphase, in der du dich auspowerst, war zu Ende.“[17]  

Am 2. Juni 1984 meldete die Courage Konkurs an. Sabine Zurmühl arbeitete weiter als Journalistin für Printmedien, Hörfunk und Fernsehen. Sie schrieb unter anderem die einzige Biografie über die DDR-Schriftstellerin Maxie Wander[18] und setzte sich in ihrem 1984 erschienenen Buch Leuchtende Liebe – lachender Tod. Zum Tochter-Mythos Brünnhilde mit dem Frauenbild Richard Wagners und ihrem eigenen Tochter-Vater-Verhältnis auseinander.[19] 1987 wurde sie Gründungsmitglied des Journalistinnenbundes und war anschließend bis 1993 dessen Vorsitzende. Ab 1996 absolvierte sie eine Ausbildung am Berliner Institut für Mediation. Sie arbeitet heute in eigener Praxis als Mediatorin.

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Videoclips

Interviewtranskript

Fußnoten

[1] P21-Zurm-01, Interview mit Sabine Zurmühl, Transkript, S. 1.

[2] Ebenda, S. 1.

[3]Ebenda.

[4] Ebenda.

[5] Ebenda, S. 3.

[6] Ebenda, S. 7.

[7] Ebenda, S. 11.

[8] Ebenda, S. 12.

[9] Zurmühl, Sabine: Grande Dame Courage: In: Klaus, Elisabeth: Zum Umbruch, Schätzchen. Lesbische Journalistinnen erzählen, Pfaffenweiler 1995, S. 64 f.

[10] Konflikt um Alice Schwarzers neue Zeitung „Emma“: In: Courage, vom 15.11.1976, S. 42, URL: http://library.fes.de/courage/pdf/1976_03.pdf/ Zuletzt besucht am: 24.10.2020.

[11] Ebenda.

[12] Ebenda.

[13] Zurmühl, a.a.O., S. 15.

[14] Plogstedt, Sybille; Schwarzer, Alice: Frauen ins Militär? Feministinnen kontrovers. In: EMMA 12/80, URL: https://frauenmediaturm.de/neue-frauenbewegung/sybille-plogstedt-alice-schwarzer-frauen-ins-militaer/ Zuletzt besucht am: 12.08.2020.

[15] Notz, Gisela (Hrsg.): Als die Frauenbewegung noch Courage hatte. Die „Berliner Frauenzeitung Courage“ und die autonomen Frauenbewegungen der 1970er und 1980er Jahre, Bonn 2007.

[16] Zurmühl, Sabine: Grande Dame Courage. In: Klaus, Elisabeth: Zum Umbruch, Schätzchen. Lesbische Journalistinnen erzählen, Pfaffenweiler 1995, S. 46 f.

[17] Ebenda.

[18] Zurmühl, Sabine: Das Leben, dieser Augenblick. Die Biografie der Maxie Wander. Berlin, 2001.

[19] Zurmühl, Sabine: Leuchtende Liebe – lachender Tod. Zum Tochter-Mythos Brünnhilde. München, 1984.

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