Tatsachen, Erkenntnis, Hoffnung und Glaube

Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg, 1941

Seit Jahrhunderten ist Europa der Schauplatz vernichtender Kriege!

Immer waren es die Machtgelüste einzelner Despoten und ihrer Helfer, welche durch Intrigen und Verleumdungen in den Völkern Haß und Chauvinismus entfachten, um sie mit Erfolg zu Kriegen gegeneinander aufzuhetzen.

Die Kampfmethoden steigerten sich von einem Jahrhundert zum anderen an Scheußlichkeiten und nahmen im 20. Formen an, die nur in kranken, dem Wahnsinn verfallenen Männergehirnen entstehen konnten und jeder Vernunft und Menschenwürde Hohn sprachen. Alles: Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Erziehung, Leben und Sein der Völker, wurde auf das Ziel gegenseitiger Unterdrückung und Vernichtung durch Gewalt und ihr letztes Mittel: Krieg, eingestellt. Man glaubte, den Teufel durch Beelzebub überwinden zu können. Auf jede Gewalt wurde mit verstärkter Gewalt reagiert.

Dem Moloch Krieg wurden die höchsten Güter der Menschheit: Freiheit und Recht, geopfert.

So kam es zum totalen Krieg, in dem nichts als unmöglich galt. Durch ihre Gewaltmethoden (Eroberungen, Kolonien) bedrohten europäische Herrscher die ganze Welt, schufen allüberall zersetzende Unruhen.

Im 20. Jahrhundert schickte man sich an, in allen Erdteilen die gleichen Gewaltmethoden zu übernehmen. Es kam zum Wettrüsten aller gegen alle! – Die Menschheit lernte NICHTS aus der vielhundertjährigen Geschichte des Abendlandes. Der Männerweisheit letzter Schluß blieben Gewaltmethoden, Kriege. Gewalt aber kann niemals durch Gewalt überwunden werden, sondern nur, und zwar im Keime ohne Zaudern, durch Vernunft und Geist. Diese einzig richtige Erkenntnis hat sich nicht rechtzeitig durchsetzen können – jetzt in letzter Stunde der Gewalttotalität aller gegen alle gibt es kein Aufhalten mehr – eine in ihrer Mehrheit dem Wahnsinn verfallene Menschheit ist weder durch Verstand noch Vernunft zu meistern; sie muß letzten Endes an ihrer eigenen Tollheit zerschellen – »Stirb und werde«. Totaler Krieg hat der Vernunft eine heilsame Lehre erteilt: Nichts ist unmöglich! Das sei unser rettender Anker in dem Chaos; eine Leuchte zum Neuaufbau einer besseren Welt. Nach diesem totalen Kriege gilt es, ein wahrhaft geeintes Europa, eine geeinte Welt zu schaffen und Freiheit, Recht und Menschenwürde zur Grundlage allen Seins zu erheben. Ein solches Europa wird überall Beunruhigung bannen, neue Kulturwerte schaffen; in der Welt Achtung gewinnen. Streitigkeiten, gleich welcher Art, sind im Abend- wie im Morgenlande nie wieder mit Waffengewalt oder unter Vergewaltigung der Gesinnung auszutragen.

Um Anreiz zu Gewaltanwendung auszuschalten, ist die erste aller Forderungen: alle Völker der Erde rüsten restlos ab: zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Nach dem gleichen seit Jahrzehnten betätigten Prinzip:

Nichts ist unmöglich! wenn es galt aufzurüsten, heißt es jetzt: Nichts ist unmöglich! wenn es gilt abzurüsten. Die Ordnung wird in jedem Lande durch unbewaffnete Polizei aufrechterhalten. Kein Bürger darf Waffen tragen: Nichts ist unmöglich! So lange auch nur ein Mann Waffen trägt, könnte er sie zu feiger Gewaltanwendung benützen.
Unter völliger Gleichberechtigung beider Geschlechter ist alles! und jedes, Erziehung in Haus und Schule, Wirtschaft, Wissenschaft Kunst, Technik soziale und politische Maßnahmen in allen Ländern der Welt einer vernunftgemäßen Aufbauarbeit dienstbar zu machen.

Nach dem Grundsatz: Nichts ist unmöglich! ist eine Weltwirtschaft zu schaffen, die jedem Individuum ein Recht auf gerecht entlohnte Arbeit, Erholung und einen sorgenlosen Lebensabend schafft; ohne dabei zu verweichlichen oder zu degenerieren oder seine Mitmenschen zu schädigen.

Zum Schluß die Erkenntnis, getragen von lebendiger Hoffnung und unerschütterlichem Glauben: würden alle guten geistigen wie physischen Kräfte der Völker und Regierungen aller Länder nach dem Grundsatz Nichts ist unmöglich darauf verwandt in gegenseitiger Hilfe eine vernunftgemäße Völkergemeinschaft zu errichten, so würde bald ein neues Zeitalter geschaffen, welches die Menschheit lichteren Höhen, wahrer Menschenwürde entgegenführt. Dann würden die Menschen endlich reif werden zur Freiheit, sie recht zu nützen wissen.

(Quelle: Heymann, Lida Gustava ; Augspurg, Anita (1941): Tatsachen, Erkenntnis, Hoffnung und Glaube. – In: Frauen gegen den Krieg. – Brinker-Gabler, Gisela [Hrsg.]. Frankfurt/M. : Fischer-Taschenbuch-Verl., 1980, S. 314 – 316)

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