Adresse eines Mädchens, an den hochverehrten Herrn Minister-Oberländer, an die durch ihn berufene Arbeiterkommission und an alle Arbeiter

Louise Otto-Peters, 1848

Meine Herren!

Indem ich mir erlaube, eine Adresse an Sie zu richten, welche weiter keine Unterschrift trägt als den einfachen Namen eines Mädchens, so kann diese Freiheit nur entschuldigt werden durch das unbegrenzte Vertrauen, welches ich in das Ministerium des Innern setze, durch die Wichtigkeit, welche ich der Arbeiterkommission beilege, und durch den Anteil, welchen ich von jeher an dem Lose der arbeitenden Klassen genommen habe.

Meine Herren! Mißverstehen Sie mich nicht: Ich schreibe diese Adresse nicht trotzdem, daß ich ein schwaches Weib bin. – Ich schreibe sie, weil ich es bin. Ja, ich erkenne es als meine heiligste Pflicht, der Sache derer, welche nicht den Mut haben, dieselbe zu vertreten, vor Ihnen meine Stimme zu leihen. Sie werden mich deshalb keiner Anmaßung zeihen können, denn die Geschichte aller Zeiten hat es gelehrt, und die heutige ganz besonders, daß diejenigen, welche selbst an ihre Rechte zu denken vergessen, auch vergessen wurden. Darum will ich Sie an meine armen Schwestern, an die armen Arbeiterinnen mahnen! Meine Herren – wenn Sie sich mit der großen Auf gäbe unserer Zeit: mit der Organisation der Arbeit, beschäftigen, so wollen Sie nicht vergessen, daß es nicht genug ist, wenn Sie die Arbeit für die Männer organisieren, sondern daß Sie dieselbe auch für die Frauen organisieren müssen.

Sie wissen es alle, daß unter den vorzugsweise sogenannten arbeitenden Klassen die Frauen so gut wie die Männer für das tägliche Brot arbeiten müssen. Ich will mich hier nicht dabei aufhalten, nachzuweisen wie, weil die Frauen nur zu wenig Arten von Arbeiten zugelassen sind, die Konkurrenz in denselben die Löhne so herabgedrückt hat, daß, wenn man das Ganze im Auge behält, das Los der Arbeiterinnen noch ein viel elenderes ist als das der Arbeiter. Sie werden es alle wissen, daß es so ist, und wenn Sie es noch nicht wissen, so setzen Sie Kommissionen ein, die es Ihnen werden bestätigen müssen. – Nun kann man zwar sagen: Wenn die Männer künftig besser als jetzt bezahlt werden, so können sie auch besser für ihre Frauen sorgen und diese sich der Pflege ihrer Kinder widmen, statt für andere zu arbeiten. Einmal, fürchte ich, wird das Los der arbeitenden Klassen nicht gleich in diesem Maße verbessert werden können, und dann bleibt immer noch die große Schar der Witwen und Waisen, auch der erwachsenen Mädchen überhaupt, selbst wenn wir die Gattinnen und Mütter ausnehmen. Ferner heißt dies aber auch, die eine Hälfte der Menschen für Unmündige und Kinder erklären und von den andern ganz und gar abhängig machen. Es heißt dies, um es gerade herauszusagen: die Sittenlosigkeit, das Verbrechen begünstigen. Ein Mädchen, das als Arbeiterin ihr Dasein nur kümmerlich fristen kann, wird ihr ganzes Bestreben darauf richten, einen Mann zu bekommen, durch den sie diesem Sorgen enthoben wird – ist sie schon verderbt, so gibt sie sich aus Berechnung dem ersten besten Mann hin, damit er sie, wenn auch nicht um ihrer selbst, doch um ihres Kindes willen heirate – oder wenn sie auch nicht so tief gesunken, heiratet sie doch den ersten besten, gleichviel ob sie ihn liebt und zu ihm paßt oder nicht. Auf alle Fälle wird die Zahl der unglücklichen, unmoralischen, leichtsinnig geschlossenem Ehen, der unglücklichen Kinder und der unglücklichsten Proletarierfamilien auf eine bedenkliche Weise gerade dadurch vermehrt, daß das Los der alleinstehenden Arbeiterinnen ein so trauriges ist. Ich habe hier noch gar nicht auf die schlimmste Folge des weiblichen Proletariats aufmerksam gemacht – es ist die Prostitution. Ich erröte, daß ich dies Wort vor Ihnen nennen muß – aber mehr noch als darüber er- röte ich über die sozialen Zustände eines Staats, der Tausenden seiner armen Töchter kein anderes Brot zu geben vermag als das vergiftete eines scheußlichen Gewerbes, das sich auf das Laster der Männer gründet!

Meine Herren! im Namen der Moralität, im Namen des Vaterlandes, im Namen der Humanität fordere ich Sie auf: Vergessen Sie bei der Organisation der Arbeit die Frauen nicht!

Sie, hochverehrter Herr Minister, werden sie nicht vergessen, denn Sie haben ein Herz für alle Leiden des Volks! – Sie haben an die armen verhungernden Klöpplerinnen, an den allgemeinen Notstand schon damals gedacht, als Ihr prophetisches Wort: daß es, wenn es so fortgehe wie bisher, nur noch hundert Reiche und Millionen Arme geben werde, innerhalb der Kammer spurlos verhallte und nur draußen in die dankbaren Herzen der Armen und ihrer Freunde fiel! – Auch das Los der armen Arbeiterinnen werden Sie jetzt in Ihre und darum in die besten Hände nehmen und werden auch mir nicht zürnen, daß ich meine schwache Stimme für einen Teil des Volks erhob, der noch nicht gewagt, seine Interessen selbst zu vertreten.

Und Sie, meine Herren, die Sie zur Prüfung und Regelung der Arbeiterverhältnisse mit berufen sind – denken Sie auch an das schwächere Geschlecht, das, weil es sich nicht selbst zu helfen vermag, ein heiliges Recht hat, diese Hülfe von Ihnen, dem stärkern Geschlecht, zu fordern! Vergessen Sie auch die Fabrikarbeiterinnen, Tagelöhnerinnen, Strickerinnen, Näherinnen usw. nicht – fragen Sie auch nach ihrem Verdienst, nach dem Druck, unter dem sie schmachten, und Sie werden finden, wie nötig hier Ihre Hülfe ist.

Und auch für Sie, meine Herren, auch für Sie, die ganze große Schar der Arbeiter, habe ich diese Adresse geschrieben. Auch Sie haben als das stärkere Geschlecht die Pflicht, sich des schwächern anzunehmen! Sind es nicht Ihre Frauen, Schwestern, Mütter und Töchter, deren Interessen es zu wahren gilt, so gut wie Ihre eigenen? – Statt dessen hat es in Berlin geschehen können, daß die Fabrikarbeiter, die eine Verbesserung ihres Loses begehrten, darauf drangen, daß aus den Fabriken alle Frauen entlassen würden! – Das ist ein Mißbrauch des Rechts des Stärkern! – Arbeiter! ich bin überzeugt, die Mehrzahl von Ihnen ist von einem andern Geist erfüllt! – Nein, geben Sie nicht zu, daß fortan noch das Elend Ihre Töchter zwingt, noch ihr einziges Besitztum – ihre Ehre, da man ihre Arbeitskraft verschmäht, an den lüsternen Reichen zu verkaufen! – Dulden Sie nicht ferner, daß diese Schande im Geleit der Armut ist! Denken Sie nicht nur daran, wie Sie sich selbst, sondern auch wie Sie Ihren Frauen und Töchtern Brot verschaffen können! Ich bin gewiß, meine armen Schwestern teilen meine Gefühle, aber ihre Tage gehen so in Not und Stumpfheit dahin, daß sie nicht wagen, wie es die Männer tun, ihre Bitten und Wünsche öffentlich auszusprechen. So habe ich dies allein für sie zu tun gewagt durch das einzige Mittel, durch das es mir möglich ist, eine Wirkung für das Allgemeine wenigstens zu versuchen – durch die Presse. – Möchte es mir gelungen sein, Ihre Aufmerksamkeit auf die Lage der Arbeiterinnen und der Notwendigkeit einer Verbesserung derselben gelenkt zu haben!

(Quelle: Otto-Peters, Louise (1848): Adresse eines Mädchens. – In: Frauenemanzipation im deutschen Vormärz : Texte und Dokumente. – Möhrmann, Renate [Hrsg.]. Stuttgart : Reclam, S. 199 – 202)

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