Der Kampf um das Prostitutionsverbot

Ausschnitt aus Fotoprojekt, Copyright: Bettina Flitner

Warum gilt Deutschland inzwischen als ‚Bordell Europas‘?  „Prostitution: Weder Sex noch Arbeit“ war das Motto des 3. Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen in Mainz im April. Ein Überblick über den hiesigen Kampf gegen die Prostitution in sechs Fragen – und Antworten.

Ausschnitt aus Fotoprojekt, Copyright: Bettina Flitner

Welche Maßnahmen wurden getroffen im Kampf gegen Prostitution?

Im Dezember 1949 einigt sich das Internationale Übereinkommen auf Artikel 6 der UN-Frauenrechtskonvention:
„Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Abschaffung jeder Form des Frauenhandels und der Ausbeutung der Prostitution von Frauen.“
Allerdings wird der Artikel von der Bundesrepublik Deutschland „aus rechts- und kriminalpolitischen Gründen“ nicht ratifiziert.1

1999 führt Schweden als erstes Land in Europa ein ,Sexkaufverbot‘ ein, wodurch Prostituierte entkriminalisiert und Freier bestraft werden. Weitere Länder folgen dem ’nordischen Modell‘. In Deutschland hingegen wird Prostitution im Jahr 2002 uneingeschränkt legalisiert. Warum wählt Deutschland diesen Weg? Antworten dazu gibt es im FMT-Online-Themendossier zur Prostitution sowie vor Ort in unserer umfassenden Pressesammlung zum Thema Prostitution ab 1970. (hier gibt es den Überblick zu den FMT-Beständen)

Warum engagieren sich Feministinnen gegen Prostitution?

EMMA Cover 06/2013 Prostitution abschaffenIn ihrem Buch Das verkaufte Geschlecht: Die Frau zwischen Gesellschaft und Prostitution bringt es die amerikanische Autorin Kate Millett auf den Punkt: „Was die Prostituierte in Wahrheit verkauft, ist nicht Sex, sondern ihre Entwürdigung. Und der Käufer, der Kunde, kauft nicht Sexualität, sondern Macht: die Macht über einen anderen Menschen. […] Der bloße Umstand, dass dies möglich ist, zeigt das Verhältnis zwischen der Position des Mannes und der Frau.“2

Die Zeitschrift EMMA kämpft seit Anfang der 1980er Jahre entschieden gegen Prostitution. Im Oktober 1980 titelt EMMA mit der Frage Macht Prostitution frei? und reagiert damit auf einen gleichnamigen taz-Artikel.3 2013 fordert EMMA gemeinsam mit vielen prominenten UnterstützerInnen in einem Appell an die Bundeskanzlerin und den Bundestag ein Prostitutionsverbot in Deutschland. 2019 ist EMMA beim 3. Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen in Mainz vertreten und berichtet hierüber ausführlich in der Mai/Juni Ausgabe.

Was sagen wissenschaftliche Studien zum Thema Prostitution?

Zwei frühe Beispiele aus Deutschland: Die Soziologin Dorothea Röhr veröffentlicht 1972 eine Studie zu Werdegang, Selbsteinschätzung und Alltag von Prostituierten.4 Hierfür führt sie in Frankfurt mit 98 Prostituierten Interviews. „Die Prostituierten geben die Verachtung, die ihnen von der Gesellschaft zuteil wird, an andere diffamierte Gruppen weiter.“5, lautet ihr Fazit.
1980 erscheint außerdem das Buch An der Front des Patriarchats von Rose-Marie Giesen und Gunda Schumann. Die beiden Soziologinnen befragen 20 Prostituierte in West-Berlin und kommen zu einem ähnlichen Ergebnis: „Prostitution ist weder ein Ausdruck für die ‚Naturhaftigkeit‘ der Geschlechterrollen noch ‚Epiphänomen‘, sondern der offensichtlichste und gleichzeitig subversivste Ausdruck von Frauenunterdrückung in der patriarchalischen Gesellschaft.“6

Terre des Femmes gibt hier einen Überblick über sieben Mythen der Prostitution, unter Beiziehung aktueller Studien und Zahlen. Die einschlägige Literatur dazu kann in der FMT-Literaturdatenbank gesucht und gefunden werden.

Welche Rolle spielt die Kirche Saint Nizier in Lyon innerhalb des Kampfes gegen das ‚System Prostitution‘?

Simone de Beauvoir beim Protest von Prostituierten in Lyon, 1975 © Artault-Gamma, Michel
Beauvoir bei Protest in Lyon, 1975

1975 besetzen Feministinnen und Prostituierte gemeinsam die Kirche Saint Nizier in Lyon, Frankreich, um gegen die Doppelmoral der gesellschaftlichen Handhabe von Prostitution zu demonstrieren. Sie prangern an, dass Prostituierte innerhalb der Gesellschaft diskriminiert werden, während Freier und Zuhälter hingegen nicht ausreichend bestraft werden. Der Protest findet unter dem Motto statt: „Der Staat ist der größte Zuhälter“. 7

Im FMT-Bildarchiv sind die Bilder von Demonstrationen und Aktionen von Frauen im Kampf gegen Prostitution.

Welche Ziele verfolgen Pro-Prostitutionsvereine wie Hydra und was ist die deutsche Hurenbewegung?

Erster Berliner Hurenball, 1988, © Bettina Flitner (FMT-Signatur: FT.02.1963)
Erster Berliner Hurenball, 1988

Der Verein Hydra e. V. wurde 1980 als Deutschlands erste ‚autonome Hurenorganisation‘ in Berlin gegründet. Die AnhängerInnen von Hydra kämpfen für eine Entstigmatisierung und für mehr Rechte von Prostituierten. Für ihre Haltung stehen Hydra und andere Prostitutionsverbände häufig in der Kritik. 1988 veranstaltete Hydra den ersten deutschen Hurenball. Neben Prostituierten wurden Freier und Zuhälter dort ebenfalls als Gäste eingeladen.

Wie positionierte sich die historische Frauenbewegung zum Thema Prostitution?

Bereits um 1900 kämpfen Frauenrechtlerinnen in der sogenannten Sittlichkeitsbewegung gegen die Reglementierung der Prostitution in Deutschland. Die Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann sagt auf einer Rede im Jahr 1903:

„Was nützt uns alle Frauenbewegung, was nützt uns wirtschaftliche Gleichheit, wenn wir Frauen uns nicht aus der Geschlechtssklaverei befreien?“8

Auch die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm hat eine klare Haltung zum Thema Prostitution:

FT.01.Dohm.02, Public Domain
Hedwig Dohm, 1870

„Dass ich die Beseitigung der Prostitution, dieser abstoßenden Karikatur der Erotik, will, ist ebenso selbstverständlich wie mein Wille zur Aufhebung der Schranken, die den vollen politischen Rechten des weiblichen Geschlechts entgegenstehen.“9

Für Recherchen haben wir montags bis freitags von 10-17 Uhr geöffnet, mit Voranmeldung.

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Quellen

1 Frauenrechtskonvention. Verfügbar unter: https://www.frauenrechtskonvention.de/prostitution-und-frauenhandel-23546/

2 Millett, Kate (1973): Das verkaufte Geschlecht. - München: Verlag Kurt Desch, S. 73 (FMT-Signatur: SE.15.103).

3 Macht Prostitution frei? (1980). - In: Die Tageszeitung, 22.08.1980, siehe Pressedokumentation Prostitution : Prostituiertenorganisationen und Prostituiertenzeitungen (FMT-Signatur: PD-SE.15.01, Kap.1). 

4 Röhr, Dorothea (1972): Prostitution : eine empirische Untersuchung über abweichendes Sexualverhalten und soziale Diskriminierung. - Frankfurt am Main: Suhrkamp (FMT-Signatur: SE.15.072).

5 Der Spiegel: Dirnen - Männer als Trophäen (1972). In: Der Spiegel, Nr. 42, 09.10.1972. Verfügbar unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42805138.html

6 Giesen, Rose-Marie ; Schumann, Gunda (1980): An der Front des Patriarchats : Bericht vom langen Marsch durch das Prostitutionsmilieu. - Bensheim: päd.extra Buchverlag, S. 183 (FMT-Signatur: SE.15.001).

7 Barbara; Christine de Conick (1980): Die geteilte Frau. - Berlin : Lorez, S. 319 (FMT-Signatur: SE.15.009).

8 Heymann, Lida Gustava (1903): Die rechtliche Grundlage und die moralische Wirkungen der Prostitution. In: Die Frauenbewegung: Revue für die Interessen der Frauen, Heft 21, S. 161-164 (FMT-Signatur: Z-GE003-a).

9 Dohm, Hedwig (1917): Der Missbrauch des Todes. In: Frauen gegen den Krieg. Brinker-Gabler, Gisela [Hrsg.] - Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag (FMT-Signatur: ST.19.063-a).

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